Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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Wilfried hatte die frohe Unbefangenheit, in welcher Herr Barlow nur eine ihn kränkende Verstellung gesehen, nicht zu heucheln brauchen. Wer würde jetzt noch zu behaupten wagen, er habe unbesonnen und frivol gehandelt, als er Ebba ihr Wort zurückgab! Konnte man sich je früh genug von einer lossagen, die nur das Äußere einer Dame hatte! Wie richtig Frau von Haida sie beurteilt! Freilich, wer selbst mit falschen Karten spielt, durchschaut den andern Falschspieler bald. Und diese wurmstichigen Früchte waren nun das bewunderte Produkt der Gesellschaft, die sich mit Emphase die gute nannte und nun und nimmer zugeben würde, daß die andern Menschen ihresgleichen seien! Gott sei Dank, daß sie es nicht waren! Daß es Lotte beleidigen hieß, ihren Namen mit dem Ebbas zu nennen! Wie lange war es schon, daß er die Geliebte nicht gesehen! Ein paar Tage, und es dünkte ihm eine Ewigkeit. Aber seine Robinsoninsel, noch vor wenigen Tagen in fernen Meeren versunken, wie tauchte sie hell und heller aus den Fluten! Früher hatte er stets gemeint, sollte sich sein Traum jemals verwirklichen, es würde ein Geschenk himmlischer Gnade sein. Jetzt wußte er, daß man dem Himmel seine Gaben abtrotzen muß.

371 Und abtrotzen kann, wenn man sich resolut zum freien Menschen macht: frei von den läppischen Vorurteilen der Geburt und des Standes; frei von der feigen Furcht vor dem Qu'en dira-t-on? uns im Grunde gleichgültiger, vielleicht verächtlicher Menschen; frei vor allem auch von den schönen sieben Sachen, mit denen wir unser Leben ausstaffieren und von denen man sagt: sie gehören mir, während man doch ihnen gehört mit Leib und Seele. Hatte er nicht eine nach der andern diese Fesseln abgestreift? war da nicht eben der brave Levy an der Arbeit, ihm die letzte durchzufeilen? Er würde wohl inzwischen damit fertig geworden sein.

Als er auf einem langen Umwege, den er geflissentlich gemacht, seine Wohnung wieder erreicht hatte und das Arbeitszimmer betrat, fand er Herrn Levy dort sitzen, den kahlen Kopf in die Hand gestützt, so vertieft in seine Berechnungen, daß erst seine Anrede ihn emporblicken machte.

Ich komme Ihnen zu früh?

Doch nicht, Herr Graf.

Und wie steht die Sache?

Er hatte den Händler wieder auf seinen Sitz genötigt und ihm gegenüber Platz genommen.

Herr Levy blickte in das kleine Notizbuch, das er offen in der Hand hielt.

Man könnte sie auf dreierlei Weise anfassen, sagte er. Das Rationellste und auch für Sie, Herr Graf, Vorteilhafteste wäre, wenn man das Ganze in drei Teile teilte: Möbel, Bibliothek, Kunstsachen, und sie einzeln an den Mann zu bringen suchte. Zusammen schädigen sie einander: wer die Bibliothek wohl erstehen möchte, dem ist vielleicht an den Möbeln und Kunstsachen wenig, oder nichts gelegen; ein anderer hätte wohl die Kunstsachen gern gehabt, weiß aber mit den beiden andern Items nichts anzufangen. Der Herr Graf verstehen mich?

Vollkommen, sagte Wilfried.

372 Der zweite Modus wäre, fuhr Herr Levy fort, eine allgemeine Versteigerung. Aber abgesehen davon, daß die Notorietät, die man dann der Sache geben müßte, nicht nach dem Geschmack des Grafen sein dürfte –

Ganz und gar nicht, sagte Wilfried.

– ist eine Auktion immer ein Risiko. In diesem Augenblick, wo so viele Herrschaften schon verreist sind, könnte man mit Sicherheit nur auf die gewerbsmäßigen Händler rechnen und – Sie wissen, Herr Graf: eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus.

Also, sagte Wilfried, bliebe nur der dritte Fall.

Es ist aus Gründen, die ich bereits andeutete, für den Herr Grafen der am wenigsten günstige. Ich zum Beispiel habe ein wirkliches Interesse nur für die Kunstsachen; das andere ist mir mehr oder weniger eine Last. Nicht, als ob ich verzweifelte, die Sachen wieder los zu werden, auch wohl mit Vorteil; aber ich werde – da es nicht meine Branche ist – viel Mühe davon haben, auch nicht unbedeutende Kosten. Ein sicherer Handel ist es für mich jedenfalls nicht.

Da werden wir denn wohl nicht zusammen kommen, sagte Wilfried, an seinem Stuhl rückend.

Vielleicht doch, Herr Graf, wenn nur der Herr Graf die Güte haben wollen, bei dem Preise, den ich etwa bieten kann, die für mich ungünstigen Umstände in Erwägung zu ziehen.

Und welches wäre nun der Preis?

Herr Levy warf wieder einen Blick in sein Notizbuch; sah, kalkulierend, nach der Zimmerdecke, abermals in das Notizbuch, endlich auf Wilfried und sagte langsam:

Sechzigtausend Mark.

Das dürfte etwa die Hälfte sein von dem, was meine Einrichtung ungefähr gekostet hat.

Ganz meine Annahme, Herr Graf.

Gut! sagte Wilfried, ich nehme ihr Gebot an, 373 vorausgesetzt, daß die Zahlung auf einmal und sofort erfolgt.

Ich vermutete, daß es die Bedingung des Herrn Grafen sein werde. Ich hätte sonst die Summe etwas höher normieren können.

Lassen wir es also, wie es ist!

Herr Levy war gegangen, nachdem man noch einige Verabredungen getroffen hatte, besonders über die Räumung der Wohnung, die bis übermorgen abend spätestens ausgeführt sein sollte. Um sechs Uhr wollte man sich bei dem Justizrat Berner treffen, da Herr Levy die Angelegenheit notariell erledigt zu sehen wünschte.

Nicht sowohl meinethalben, als Ihrethalben, Herr Graf, damit Sie nach jeder Seite die wünschenswerte Sicherheit haben.

Wilfried war es zufrieden. Er hatte noch ein anderes Anliegen an den alten Rechtsfreund, das bei dieser Gelegenheit schicklich vorgebracht werden konnte.

* * *

Die Ausfertigung des Kontraktes mit den nötigen Formularien hatte nur kurze Zeit in Anspruch genommen.

Haben Sie noch eine Viertelstunde für mich? fragte Wilfried, als Herr Levy sich empfohlen hatte.

Ich selbst wollte Sie darum bitten, sagte der Justizrat. Setzen wir uns also wieder! Sehen Sie, lieber Graf, ich habe Ihnen in die Sache so wenig hineingeredet, als ob Sie mir ein wildfremder Mensch wären, und die Sache selbst mir so gleichgültig, wie die meisten, die hier verhandelt werden. Einmal sind Sie alt genug, um zu wissen, was Sie zu thun haben, und in schlechte Hände gefallen waren Sie nicht. Der Levy ist ein durchaus ehrlicher Mann. Natürlich hat er seinen Vorteil bei dem Geschäft; aber er hat Sie glimpflich behandelt; ein anderer hätte Ihnen zweifellos die Haut über die Ohren 374 gezogen. Und nun erlauben Sie Ihrem alten Freunde und Rechtsanwalt die wohl aufzuwerfende Frage: da Sie gegen Tante Adele so weiter frondieren wollen; sich also selbst die Ressourcen von daher abgeschnitten und andre, so viel ich weiß, nicht haben: glauben Sie alles Ernstes von den Zinsen Ihrer sechzigtausend leben zu können?

Ich denke sie im Gegenteil gar nicht anzugreifen, entgegnete Wilfried; ja, ich darf es nicht, da ich sie ausschließlich zur Unterstützung einer verarmten Familie, für die ich mich interessiere, bestimmt habe.

Der Familie Schulz, warf der Justizrat ein.

Sie wissen? rief Wilfried erstaunt.

Wie Sie sehen, Verehrtester. Es geht mir, wie dem guten Mephisto, als der ich Tante Adele und noch andern biedern Leuten unverdienterweise gelte: Allwissend bin ich nicht, doch viel ist mir bewußt. Übrigens in diesem Fall kein Kunststück: weiß doch, außer der Polizei, sogar Tante Adele schon von Ihren Beziehungen zu der Familie! Sie durch Ihren Mathis, der von früher her ein guter Bekannter des Vater Schulz ist, und dem er nur auf der Straße zu begegnen brauchte, um das Lob des großmütigen Herrn Grafen in allen Tönen singen zu hören. Sie mögen sich denken, wie eilig er es gehabt hat, das Lied mit den nötigen Variationen zu den Ohren seiner Gnädigen gelangen zu lassen! Aber, auf unser Thema zurückzukommen: Sie haben wirklich andre, mir bis dahin geheime Hilfsquellen?

Was man gewöhnlich so nennt: nein. Ich denke jedoch: die Arbeit ist auch eine.

Der Justizrat zog die buschigen Augenbrauen hoch auf die kahle Stirn.

So, so! »Nur unter dem Streben der eigenen Hand« – sehr brav! ungeheuer ehrenwert! Sie wollen sich also reaktivieren lassen. Das dürfte, abgesehen von verschiedenem andern, zum Beispiel: daß Sie nicht mehr als reicher Mann kommen, nach Ihrem Auftreten in der 375 Versammlung des Pfarrer Römer seine erheblichen Schwierigkeiten haben.

Auch denke ich nicht daran, erwiderte Wilfried; aber Sie sagten mir gelegentlich, daß Ihr Assessor seiner angegriffenen Gesundheit wegen am ersten Juli – also übermorgen – eine längere Reise antreten müsse, und Sie um einen Substituten in Verlegenheit seien. Wenn die Stelle also noch offen wäre – es kann sich ja nur um ein Provisorium handeln – und Sie sie mir anvertrauen wollten – meine juristischen Kenntnisse weisen freilich bedeutende Lacünen auf – vielleicht aber versuchen Sie es mit mir. Es würde mein Ehrgeiz sein, und ich würde meine ganze Kraft daran setzen, Ihre Nachsicht nicht zu sehr in Anspruch zu nehmen.

Und da sagt man, daß es heute keine Zeichen und Wunder mehr giebt!

Der kleine Herr hatte mit beiden flachen Händen auf die Arme seines Lederfauteuils geschlagen; war aufgesprungen und mit zappligen Schrittchen ein paarmal durch das Zimmer gerannt. Jetzt blieb er vor Wilfried stehen:

Darauf muß ich Sie mir wirklich noch einmal ordentlich ansehen: Graf Wilfried Falkenburg, Bruder seiner Durchlaucht des Fürsten Dagobert Falkenburg auf Falkenburg, will bei dem Justizrat Berner provisorischer Hilfsarbeiter werden für das königliche Gehalt von zweihundertfünfzig Mark pro Monat! Heiliger Bebel! Wenn Deine Zeit jetzt noch nicht gekommen ist! Gut, gut! Sie sollen Ihren Willen haben. Übermorgen können Sie bei mir eintreten. Eine Sinekure wird Ihre Stelle nicht sein – das versichere ich Sie. Und was die Behandlung betrifft – Justizrat Berner ist als einer der gröbsten, hämischsten, uuverträglichsten Menschen stadtbekannt.

Darauf will ich es gern ankommen lassen, sagte Wilfried.

Ja, worauf lassen Sie es denn nicht ankommen, Don Quixote Sie! Aber das gefällt mir! Das ist eine wahre Erquickung in unserer schwülen, engbrüstigen Zeit! Und ohne 376 den Grad der Helligkeit untersuchen zu wollen, den der Drang hat, der Sie treibt – es müßte mich alles täuschen, oder Sie haben just den rechten Weg getroffen. Was ich damit meine? Ja, Herr Assessor, ein wie großes Vertrauen Ihnen auch Ihr Chef schenkt – alles dürfen Sie doch nicht wissen. Einiges muß er schon für sich behalten. Also noch einmal: übermorgen neun Uhr erwarte ich Sie. Bis dahin Gott befohlen!

Er hatte Wilfried die kleine Hand gereicht und ihn fast zum Zimmer hinausgedrängt.

Um, sobald die Thür hinter dem jungen Mann geschlossen war, sich lachend in seinen Fauteuil zu werfen, dessen Arme er mit beiden Händen bearbeitete, einmal über das andre rufend: Der Spaß ist zu gut! wirklich zu gut.

* * *


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