Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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Der Wunsch des Getreuen ging nicht in Erfüllung: in Wilfrieds Augen kam kein Schlaf. Viertelstunde um Viertelstunde hörte er durch die stille Nacht die Kirchenuhr unten im Städtchen schlagen. Es ist die Hitze, sagte er. Von dem Wühlen in seiner Seele wollte sein Stolz nichts wissen. Das waren Dinge, die da nach Belieben rumoren mochten. Ihn gingen sie nichts an.

Als es unten drei Uhr schlug und er sich an seiner Repetieruhr überzeugt, daß er sich nicht verhört, stand er von dem zerwühlten Lager auf, kleidete sich an und ging die breite Marmortreppe hinab, über den Flur, durch den Salon auf die Terrasse, die auf der Hinterseite dem Schlosse vorgebaut war. Dort wandelte er, die Stunde erwartend, auf und nieder. Die Sonne war noch unter dem Horizont, doch dämmerte es bereits stark, wenn auch die Blumen unter ihm in dem Terrassengarten, selbst die auf der Brüstung in Steinvasen aufgestellten, noch keine deutlichen Farben hatten. Aus den Bosketts zwischen den Beeten kamen einzelne verworrene Vogellaute. In der Ferne nach Osten zeichnete sich die Gipfellinie der Harzberge, die schon ein helleres Licht der aufsteigenden Sonne treffen mußte, in seltsamer Klarheit von dem noch grauen Himmel ab.

Wie das alles so erquicklich war! Und die köstliche, kühle Morgenluft nach der heißen, schlaflosen Nacht!

Von Zeit zu Zeit wandte sich sein Blick nach der Schloßseite, wo er durch die offenen Fenster in die Flucht der Salons sehen konnte. Aus dem dort herrschenden 466 Dämmer hob sich nur hier und da ein besonders stark vergoldetes Prunkmöbel heraus. Es stammte von dem Großvater her, wie die ganze Herrlichkeit, wie das Schloß selbst, das er neu aufgebaut hatte mit maßloser Verschwendung, die sein Vater und noch der Bruder dann so hart büßen sollten. Die Ruinen der alten Falkenburg, hatte er gesagt, stammen aus einer Zeit, als zu dem Bergfried auf dem Kyffhäuser da drüben kein Stein gelegt war. Wir müssen den Leuten zeigen, daß die Falkenburger heute noch leben.

Nun, er selbst hatte auch auf seine Weise neues Leben aus den Ruinen schaffen wollen. Es war ihm übel gelungen. War wohl nicht die Falkenburger Weise gewesen. Man soll eben nicht mit neuen Lappen alte Kleider flicken. Besonders, wenn es prächtige, fürstliche Kleider sind. Die muß man so lassen, bis sie in Staub zerfallen.

Zunz kam, um Entschuldigung bittend, daß er sich verschlafen, und zu melden, daß für den Herrn Grafen im Frühstückszimmer Kaffee serviert sei; der Herr Graf habe noch gut zehn Minuten. Wilfried hieß ihn vorausgehen und im Hotel Bristol telegraphisch für ihn Quartier bestellen; womöglich Salon und Schlafzimmer, die der Fürst bei seiner letzten Anwesenheit inne gehabt.

Er ging hinein und trank eine Tasse Kaffee, welche ihm die Haushälterin in Person reichte.

Als er wieder auf die Terrasse kam, war es heller geworden. Er konnte jetzt die Farben der Blumen wohl unterscheiden; in den Bosketts zwitscherten die Vögel eifriger und lauter; die Gipfel des Gebirges leuchteten im rosigen Licht.

Mein Gott, wie wundersam schön das ist!

Der Bahnhof lag eine ziemliche Strecke vor dem Städtchen seitwärts am Fuß des Schloßberges, nach einer scharfen Wendung durch die oberen Terrassen, auf einer etwas steilen, wohlgehaltenen Treppe schnell zu erreichen. So beeilte sich Wilfried eben nicht, wiederholt stehen bleibend, da jeder Schritt eine neue entzückende Aussicht bot.

467 In Begriff, von der zweiten auf die dritte Terrasse hinabzusteigen, vernahm er aus der Jasminlaube, die dort angebracht war, bereits halb hinter seinem Rücken, ein leises Knistern auf dem feinen Kies und das Rascheln eines Frauengewandes. Verwundert wandte er sich. In der Öffnung der Laube stand Gisela.

Aber, Kind! Du hier?

Ich mußte Dich noch einmal sehen, Onkel Wilfried.

Sie hatte es kaum hörbar gesagt, und die feine weiße Hand, in der sie ihm einen Strauß von roten Rosen entgegenhielt, zitterte; aber die großen, wundervollen dunklen Augen blickten mit schwärmerischer Klarheit ihm gerade ins Gesicht.

Du Liebe!

Er hatte mit dem Strauße ihre Hand gefaßt, und wollte, sie an sich ziehend, ihr einen Kuß auf die Stirn drücken. Sie aber warf sich an seine Brust, ihn mit den Armen umschlingend, und küßte ihn auf den Mund in heißer Leidenschaft.

Dann hatte sie ihn losgelassen und schritt mit ihren seltsamen und doch anmutigen Bewegungen den Gang hinauf, mit der Hand zurückwinkend, daß er ihr nicht folgen dürfe.

* * *


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