Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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In der großen Villa des Kommerzienrat Bielefelder in der Tiergartenstraße war heute bereits von sechs Uhr nachmittags an ein reges Treiben. Auf den Kandelabern der Gesellschaftsräume, die sämtlich zu ebener Erde lagen, wurden frische Wachskerzen aufgesteckt; von den Prunkmöbeln, den Rahmen der vielen Bilder, Gestellen und Etagèren letzte Staubrestchen gewischt; im Speisesalon vier Tafeln je für sechzehn Personen prunkvoll gedeckt; die Silberaufsätze und Krystallschalen mit Blumen gefüllt – jeder Tisch mit einer besonderen Sorte: Nelken, Levkojen, Rosen, Lilien. An dem Ballsaal, der an den Speisesaal stieß, war nichts mehr zu thun. Das Parkett hatte man bereits am Morgen frisch gebohnert; die Divans und Sessel zurechtgerückt; für die Beleuchtung brauchte man nur auf die verschiedenen Knöpfe zu drücken, und Wände und Plafond glänzten im Licht von hunderten elektrischer Birnen. Im Garten, zu dem man direkt aus dem Ballraum über eine breite Terrasse, fünf Stufen abwärts gelangte, gab es desto mehr zu schaffen: die Baumgänge waren erst zur Hälfte mit Drähten überspannt, an denen farbige Ballons hingen; in die beiden Lauben, in die Pergola wurden noch immer Blattpflanzen aus dem 275 Gewächshaus getragen, das rechtwinklig an den Ballraum stieß und mit diesem durch eine breite Thür kommunizierte. Dann war noch eine kleine niedrige Bühne, an welche die Zimmerleute eben die letzte Hand legten, als auch schon die Stufen, die zu ihr hinaufführten, mit Teppichen bedeckt und mit Oleander- und Orangenbäumen umstellt wurden. Der Haushofmeister war in einer Aufregung, daß er wiederholt erklärte, nicht mehr zu wissen, wo ihm der Kopf stehe. Was Joseph, der Kammerdiener des alten Herrn, dem er diese interessante Mitteilung vertraulich machte, durchaus begriff. Traf ihn doch die ganze Verantwortung des so komplizierten Arrangements! Daß sich in diesem Hause die Damen schlechterdings um nichts bekümmerten, galt als selbstverständlich; und die beiden Herren, der alte und der junge, waren, nachdem sie heute morgen ins Geschäft gefahren, ganz gegen die Gewohnheit, zu Mittag nicht wieder nach Haus gekommen und selbst jetzt, da es doch bereits auf neun ging, nicht zurück.

Es war zwanzig Minuten vor neun, der Stunde, zu welcher man eingeladen hatte, als Else, die aus ihrem Garderobezimmer kam, bei ihrer Cousine Chlotilde – der zwei prächtige Gemächer auf der anderen Seite des Treppenflurs eingeräumt waren – anpochte.

Bist Du fertig?

Statt einer Antwort wurde von der französischen Kammerjungfer, die sie auf ihren Reisen stets begleitete, die Thür weit geöffnet und mitten im Zimmer stand Chlotilde, ihr berühmtes müdes Lächeln auf den üppigen Lippen.

Mein Gott, bist Du schön!

Else hatte es in voller Extase gerufen und hätte sich ihrer Cousine in die Arme gestürzt, nur daß diese angstvoll mit beiden Händen abwehrte.

Aber ansehen darf man Dich doch!

Mit Kenneraugen prüfend, umschritt Else die prachtvolle Gestalt, die regungslos wie eine Wachspuppe dastand. 276 Der hochmoderne Pariser Schnitt der Foulardrobe mit den mattgelben Blumen auf weißem Grunde; die herrlichen Arme, von denen nur ein schmaler Streifen zwischen den hohen Handschuhen und den Puffärmeln sichtbar war; die stolze Büste, deren Formen das hohe geschlossene Kleid so decent accentuierte; die schön geschwungenen Hüften, von denen die Falten des Gewandes so melodisch – sagte Else – herabflossen – alles und jedes wurde in überschwänglichen Ausdrücken bewundert, gepriesen; vor allem das üppige, wie poliertes Gold glänzende und schimmernde, gegen die Mode über der Stirn apollinisch aufgebaute Haar, dessen einziger Schmuck ein funkelnder, zwischen den beiden Haarwellen gerade über der Stirn befestigter haselnußgroßer Diamant war.

Ich werde neben Dir wie eine Vogelscheuche aussehen, rief Else.

Du mit Deinem Kameengesicht und der Tanagrafigur! sagte Chlotilde.

Es kam nicht aus ihrem Kopf: das Kameengesicht war ein bonmot Falkos, die Tanagrafigur eines von Rentlow bei ihrer gleichzeitigen Visite vorgestern. Das schadet nichts. Wer so schön war, brauchte nicht auch noch klug zu sein, meinte Else, und hübsch hörte es sich an.

Mademoiselle dans sa jolie robe blanche est extrêmement charmante – tout à fait à ravir, sagte die Kammerjungfer. Seulement – si vous me permettez – un peu de rouge –

Das lassen Sie man, sagte Else, das Mädchen, das mit dem Puderquast auf sie zukam, abwehrend.

Rien qu'un soupçon –

Is nich. Ich sehe so schon nach dem ersten Walzer aus wie ein gekochter Krebs.

Mais avec les yeux de jet de mademoiselle et ses superbes cheveux noirs un peu plus de couleur c'est toujours très chic.

277 Na, denn man zu! sagte Else und ließ lachend ihren rundlichen Wangen un soupçon de rouge geben.

Fifi war mit einem Arm voll Garderobegegenstände ihrer Gebieterin in das Nebenzimmer gegangen.

Du, sagte Else, es ist die höchste Zeit, daß wir uns einigen. Wen willst Du denn nun eigentlich: Graf Falko, oder Baron Rentlow?

Am liebsten nähme ich den Grafen Wilfried.

Das ist ja Stuß, lieber Schatz. Du bist hierher gekommen, Dir einen Mann zu holen, und er ist in festen Händen – das weißt Du.

Chlotilde seufzte.

Es ist schrecklich: man bekommt nie, was man haben will.

Sehr richtig, aber die Tischkarten müssen darum nicht weniger gelegt werden. Also?

Ist es Dir denn gleich?

Völlig schnuppe. Der eine ist so nett wie der andere; und haben thun sie beide nichts, sagt Arthur.

Dann Herrn von Rentlow, sagte Chlotilde nach einigem Besinnen. Er steht mir, als Blondine, besser, glaube ich.

Else meinte, daß die Farbenfrage doch am Ende eine der Zeit sei, sagte aber nur:

Bon.

Und vielleicht giebt man mir Graf Wilfried an die andere Seite.

Der reine Graf von Gleichen!

Werden wir noch einen Grafen haben? fragte Chlotilde aufhorchend.

Du liebe Unschuld! rief Else lachend. Nein! der ist schon seit so und so viel hundert Jahren mausetot. Aber, Schatz, es ist die höchste Zeit.

* * *


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