Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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278 Als die beiden jungen Damen nach unten gelangten, hörte Else zu ihrem nicht geringen Schrecken, daß die Herren noch nicht nach Hause gekommen waren. Der Haushofmeister, dem dieser herrenlose Zustand, je näher die Gesellschaftsstunde heranrückte, immer bänglicher geworden war, hatte bereits einen der Diener nach dem Geschäft geschickt. Der Mann hatte die Nachricht zurückgebracht: der junge Herr werde sofort dasein, der Herr Kommerzienrat wohl etwas später.

Das war vor einer Stunde sagte Engelbrecht; und der junge Herr ist noch immer nicht hier.

Ja, aber, was kann das zu bedeuten haben? fragte Else. Erst nicht zu Tisch und jetzt wieder nicht, wo jeden Augenblick jemand kommen kann – da muß doch etwas vorgefallen sein?

Engelbrecht zuckte die Achseln. Wie konnte er das wissen? Er war Haushofmeister; das Geschäft gehörte nicht zu seinem Ressort.

Wenn doch wenigstens Leo käme, sagte Else zu Chlotilde, die sich während der Zeit unverwandt im Spiegel betrachtet hatte. Aber der trödelt immer.

In diesem Augenblick hörte man das dumpfe Rollen eines Wagens in der Eingangshalle.

Großer Gott! rief Else.

Es ist bloß unser Coupé, sagte Engelbrecht, aus dem Salon eilend, in dessen Thür denn auch wirklich Arthur alsbald erschien, hinter sich hinausrufend:

Das Coupé zurück zum Geschäft!

Nun vollends eingetreten, begrüßte er lebhaft die Damen.

Na, Ihr Mädels, wie geht's? Bißchen geängstigt? Ja, liebe Zeit: Geschäft geht vor Gottesdienst, wollte sagen: Damendienst. Donnerwetter, Cousine! hast Du Dich aber schön gemacht! Einfach großartig! Really, you are a stunner!

Arthur hatte das in seiner gewöhnlichen, sich 279 überstürzenden Weise hingeschleudert; aber es klang nicht lustig und seine Augen waren düster geblieben. Else sah ihn fragend an. Er warf einen schnellen Blick auf Chlotilde, die bereits wieder vor dem Pfeilerspiegel stand und in ihrem Haar nestelte, trat dicht an Else heran und sagte leise, schnell:

Erfahren würdest Du es heute abend doch: Schulz ist uns mit cirka einer Million durchgebrannt. Bis jetzt keine Spur, fürchten, es wird eine lange Jagd werden. Nun thue mir die Liebe und laß Dir nichts merken! Die Gesellschaft heute abend paßt mir ganz famos: wir machen uns nichts daraus. Verstehst Du? Da ist Leonor! Du Leo, Du kannst Chlotilden hernach anschmachten. Komm mit mir hinauf, während ich mich anziehe! Ich habe mit Dir zu sprechen.

Er hatte den Bruder, der eben eingetreten war, mit sich genommen.

Was giebt es denn? fragte Chlotilde. Ihr seht ja alle so komisch aus.

Gar nichts, Schatz: Bißchen Verdruß im Geschäft, glaube ich. Geht uns nichts an. Was giebt's, Engelbrecht?

Ein Rohrpostbrief.

An mich? Sicher eine Absage. Immer im letzten Augenblick.

Sie hatte das Couvert aufgerissen:

Mein gnädiges Fräulein!

In Ihrer unendlichen Güte haben Sie mir erlaubt, Ihnen heute abend noch einen und den anderen Freund zuführen zu dürfen mit Dispens der vorhergegangenen obligaten Visite. Ich bitte von dieser Erlaubnis Gebrauch machen zu dürfen für den Major von Bronowski, einen sehr lieben Freund von mir. Sodann für Frau von Haida, eine junge Witwe aus Schlesien, die sich nur einige Tage 280 in Berlin aufhält, vor Begierde brennt, eine veritable Berliner Gesellschaft kennen zu lernen, und der ich geschworen habe, daß Sie, mein gnädiges Fräulein, in diesem Schritt – den sie selbst mehr als gewagt nennt – nichts erblicken werden als einen Beweis des unbedingtesten Vertrauens zu Ihrer über alle kleinlich konventionelle Rücksichten erhabenen Denkungsart. Ich werde mir die Ehre geben, die liebenswürdige Schlesierin persönlich Ihnen zuzuführen; mein Freund Falko Falkenburg wird Herrn von Bronowski denselben Dienst erweisen.

Es legt sich Ihnen und Ihrer anbetungswürdigen Fräulein Cousine zu Füßen

Curt Baron von Rentlow.

Nun wird die Wildnis helle! rief Else lustig, das Billet, das sie Chlotilden vorgelesen hatte, in der Hand schwingend. Mit Herren von waren wir assortiert; fehlte schmerzlich eine Frau von – die hätten wir nun auch. Es wird großartig. Anbetungswürdiges Fräulein Cousine, besehen Sie Ihre Huldgestalt noch ein kleines Weilchen im Spiegel; ich will nur schnell die beiden irgendwo bei Tisch placieren – natürlich zusammen. Wetten, daß sie darauf rechnen? Engelbrecht! Engelbrecht! Ah, da sind Sie ja!

Else war mit dem Faktotum in den Speisesaal geeilt. Chlotilde nahm das Billet, das Else auf ein Tischchen geworfen hatte, und las es flüchtig noch einmal bis auf die letzte Zeile, die sie wiederholt andächtig studierte.

Anbetungswürdige Cousine, murmelte sie, während sie das Billet in eine antike Vase gleiten ließ, die auf dem Tischchen stand: ich habe mich entschieden: Chlotilde, Baronin von Rentlow.

Ihr Spiegelbild, dem sie die große Neuigkeit mitteilte, gab ihr getreulich das berühmte müde Lächeln zurück.

* * *


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