Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die herzueilenden Kellner hatten, so gut es gehen wollte, Ordnung an dem kleinen viereckigen Tisch geschafft; die beiden Ankömmlinge blätterten in den Speisekarten.

Ihr trinkt doch mit? fragte Falko.

Versteht sich – selbstredend! riefen Leßberg und Rentlow. Also Kellner –

Die Herren hatten ihre Aufträge erteilt.

Natürlich in Räubercivil, rief Falko, die Kameraden, die sich jetzt zu ihnen gewandt hatten, ironisch betrachtend. Steht Euch ganz famos. Freilich, habt Übung darin.

15 Allerdings, erwiderte Leßberg. Könnte Ihnen auch nicht schaden, Falkenburg, wenn Sie hier in Civil anträten. Gesellschaft ein wenig sehr gemischt.

Möchte ich nun nicht behaupten, sagte Rentlow, das Glas ins Auge klemmend. Ich sehe nur Leute vom Stamme Abraham. War zu erwarten.

Aber wenn die Herren das so genau wußten, meinte Wilfried.

Lag auf unserm Wege, Graf, sagte Rentlow entschuldigend.

Und wohin führt der Weg weiter? fragte Falko

Diskretion Ehrensache, mon cher.

Na, denn nicht! Möchte nur freundlichst raten, die Sache nicht zu lange auszudehnen. Morgen früh um sechs: ›Die Herren Offiziere‹!

Er hatte die letzten Worte in einem ärgerlich-schnarrenden Nasenton gesagt.

Na, Falkenburg, schweigen Sie man ganz stille! Wenn es nach der Übung ›Die Herren Offiziere‹ heißt, sollen nicht immer alle gut abschneiden.

Ich dachte, Diskretion sei Ehrensache, erwiderte Falko scharf.

Bitte gehorsamst! Habe mit keinem Gedanken an Sie gedacht. Wüßte keinen unter uns, der immer gut abschnitte.

Ja, und der Alte wird mit jedem Tage womöglich schlimmer.

Wenn er doch nur erst die Brigade hätte!

Hat sich was: Brigade! Noch vier Vormänner!

Bitte: drei!

Vier: paré?

Pariere nicht, wenn ich meiner Sache sicher bin. Übrigens ich dächte: drei wären gerade genug. Das kann noch ein Jahr dauern.

Oder auch nicht. Um die Oberstecke weht es mal wieder verdammt scharf.

16 An der Generalsecke hängt das Sturmzeichen.

Wird bei einer Mobilmachung noch ganz anders kommen –

Mobilmachung! Woher? Gegen wen? Haben viel zu viel Respekt vor uns, die Herren Franzosen und – aber das geht mir doch über den Spaß!

Wilfried, der auf das Geplauder der Herren nur mit halbem Ohr hingehört hatte, blickte erstaunt auf.

Da sitzt so ein Judenbengel, der mich nun schon zum drittenmale fixiert hat – ganz unverschämt. Ich hätte große Lust –

Graf Leßberg machte eine heftige Bewegung; man wußte nicht, ob, um aufzustehen, oder einem Kellner, der vorbei eilte, einen Befehl zu geben. Wilfried hatte die Richtung der zornigen Blicke des Grafen aufgenommen. An einem entfernteren Tische, der inzwischen geräumt war, hatte eine neue Gesellschaft Platz genommen: ein älterer Herr mit einem prächtigen, stark angegrauten Vollbart, zwei jüngere, sehr brünette Männer und zwei junge Damen, die eine mit höchst üppigem, rötlichem, die andre mit kohlschwarzem Kraushaar – alle, Herren und Damen, tadellos elegant.

Verzeihung, Graf, sagte Wilfried. Ich vermute, die Blicke des Herrn haben nicht Ihnen, sondern mir gegolten. Ich bin mit den Herrschaften bekannt. Entschuldigen mich einen Augenblick!

Er war aufgestanden und hatte kaum ein paar Schritte gemacht, als ihm Arthur Bielefelder, der den Grafen Leßberg so geärgert hatte, eilends entgegenkam.

Pardon, Herr Graf, wenn ich Sie derangiere! Wir sahen Sie da sitzen, und meine Cousine – Chlotilde Bielefelder, wissen Sie – aus Dortmund – sie ist seit heute morgen bei uns auf Logierbesuch – hatten bei Tisch von Ihnen gesprochen – brennt darauf, Ihnen vorgestellt zu werden. Wollen Sie mir den Gefallen erweisen?

Aber gern.

Sie schritten zusammen auf den Tisch zu, von dem 17 sich die Herren zur Begrüßung des Grafen bereits erhoben hatten.

Na! sagte Leßberg, sich wieder bequem in seinem Stuhl zurechtrückend; nehmen Sie mir's nicht übel, Falkenburg, aber Ihr Herr Vetter hat eigentümliche Bekanntschaften. Wie kommt er denn dazu?

Wollte nur, ich hätte die Bekanntschaft, erwiderte Falko, mit gespielter Gleichmütigkeit – im Grunde war ihm der Zwischenfall nicht ganz recht – die neue Flasche in dem Kübel drehend. Der Banquier seiner Tante, respektive sein eigener: Bielefelder, Kommerzienrat und unanständig reich. Die Frau – übrigens nicht dabei – geht nie aus – Gicht, Rollstuhl und so was – eine Freiin von Kesselbrook nebenbei – ist mit der Mutter meines Vetters, der Fürstin, und deren Schwester, seiner Tante, der Erbtante, wissen Sie – zusammen in einem Erziehungsinstitut gewesen – irgendwo in Westfalen – die Fürstin und ihre Schwester sind ebenfalls von daher – Komtessen Reckeberg – nicht zu verwechseln mit der württemberger Linie – na, und die Freundschaft ist denn so weiter kultiviert, als die Kesselbrook Herrn Bielefelder heiratete, dito aus Westfalen, wo er seine Bergwerke hat, wenn er auch schon lange in Berlin lebt – Tiergartenstraße –

Judenviertel! selbstverständlich!

Na ja! Das heißt: die Bielefelders sind getauft. Ob auch der Alte, weiß ich nicht. Die Kinder jedenfalls.

Das bißchen Wasser!

Jedenfalls hat es die Leute bis zu einem gewissen Grade gesellschaftsfähig gemacht; dem jüngeren Bruder sogar zum Reserveoffizier verholfen – irgendwo in der Provinz.

Wie Majestät so was zugeben kann!

Es war noch unter Kaiser Friedrich.

Na, da!

Und in dem Hause verkehrt Ihr Herr Vetter? schnarrte Rentlow dazwischen.

18 Warum nicht? Wiederhole: verkehrte gern selber da, vorausgesetzt, daß ich so freien Zutritt zu der Kasse hätte, wie mein Vetter. Aber wollen wir nicht von was anderm reden?

Na, Falkenburg, Sie können einem doch nicht verdenken, wenn man sich auf dem Terrain etwas orientieren will. Kann da vielleicht mal einem, der's nötig hat, einen Avis geben. Übrigens so weit ein paar nette Käfer. Töchter?

Die eine, die mit dem schwarzen Haar; die andere kenne ich nicht.

Hat ein bißchen Ähnlichkeit mit Ihrer Schwester. Finden Sie nicht? meinte Leßberg.

Keine Spur!

Na ja! Bis auf den Unterschied der Rasse, an dem sich Ihr Herr Vetter nicht zu stoßen scheint.

Leßberg stierte mit einem wütenden Blicke nach dem Tische, an welchem Wilfried mit der jüdischen Familie saß.

Sie können ihn nun einmal nicht leiden, sagte Falko gleichmütig.

Wüßte auch nicht, daß ich Ursache dazu hätte.

Na, Leßberg, wir wollen an die alte Geschichte nicht rühren. Hätten Sie zur rechten Zeit den Mund aufgethan, vielleicht wär's anders gekommen.

Wenn alle Welt mir sagte, daß Ihre Schwester seit Kindesbeinen mit ihm verlobt sei!

Nonsens: seit Kindesbeinen. Gekannt haben sie sich so lange. Das stimmt; verlobt sind sie erst seit einem Vierteljahr. Eine forcierte Rekognoscierung Ihrerseits hätte die Sache klar gemacht; aber wer nicht wagt, nicht gewinnt.

Hätte ich gewonnen, wär's Ihnen recht gewesen?

Warum nicht? Ich dächte, wir waren immer gute Kameraden.

In Leßbergs grauen Augen blitzte es auf. Er hatte Ebba seiner Zeit wütend den Hof gemacht, mehr als 19 einmal auf dem Punkte gestanden, um sie anzuhalten, seine Freiheit aber doch nicht daran geben mögen. Dann war ihm Wilfried zuvorgekommen. Jetzt hätte er den Menschen, der ihm von jeher aufs äußerste unsympathisch gewesen war, morden mögen, um Ebba wieder frei zu haben. Brauchte er am Ende doch noch nicht alle Hoffnung verloren zu geben? Ebba war ein solcher Durchgänger! Ein sehr intimes Gespräch, das er vor ein paar Tagen mit ihr gehabt, als sie sich bei Excellenz Hostewitz trafen – in ihr elterliches Haus kam er jetzt nur noch selten – hatte ihn darüber aufgeklärt, wieviel man bei ihr wagen durfte. Wenn er Falko, der so großen Einfluß auf sie zu haben schien, noch auf seine Seite brachte!

Er streckte Falko über die Tischecke, die sie trennte, die Hand hin.

Gute Kameraden, sagte er. Und das wollen wir bleiben!

Kinder, werdet nicht sentimental, bemerkte Rentlow trocken. Ihr wißt, wie leicht mir die Thränen kommen. Übrigens, Leßberg, es ist hohe Zeit, daß wir aufbrechen.

Was habt Ihr eigentlich vor? fragte Falko.

Wenn Sie es durchaus wissen wollen: ein kleines Jeuchen bei Schulenberg, nota bene mit Damen. Sie sollten mitkommen.

Da Schulenberg mir kein Wort gesagt hat –

Muß es rein vergessen haben. Daß er es wollte, weiß ich. Können ruhig mitkommen.

Falko brannte vor Begierde, von der Partie zu sein. Seine Chance für das in Aussicht gestellte Jeuchen bestand allerdings nur in den etwa zehn Mark, die er noch in seinem Portemonnaie hatte. Die konnten sich verzehn- und verhundertfachen – war alles schon dagewesen. Nur ohne Wilfried durfte er nicht fort, schon der »Addition« wegen, die nach einem flüchtigen Überschlag, den er bei sich machte, immerhin vierzig Mark betragen mochte. Und Wilfried schien bei den Bielefelders festwachsen zu wollen, 20 während die Kameraden bereits mit dem Kellner abrechneten. Na, endlich!

Bitte tausendmal um Entschuldigung, sagte Wilfried, wieder herantretend. Sehe, die Herren wollen aufbrechen.

Müssen leider, sagte Leßberg.

Schon über die Zeit geblieben, sekundierte Rentlow.

Aber Du bleibst doch, Falko?

Das heißt – ich möchte Dich nicht gern –

Genier' Dich nicht! Wollte, so wie so, vorschlagen, aufzubrechen.

Na, dann – die Geschichte hier – Du bist so freundlich –

Und Falko machte eine Handbewegung über den Tisch, auf welchem Flaschen, Gläser, Schüsseln, Teller durcheinander standen.

Selbstverständlich –

Das heißt, wir – sagte Leßberg, das Wechselgeld, das ihm der Kellner auf dem Teller mit der Rechnung präsentierte, abstreifend – 's gut! – Sind Sie fertig, Falkenburg? Also – war mir sehr angenehm, Graf –

Sehr – sekundierte Rentlow.

Ganz auf meiner Seite.

Die Herren schüttelten sich die Hände.

Kommen Sie, Falkenburg?

Einen Moment! rief Falko, seinen Säbel umschnallend. Reitest Du morgen früh mit Ebba?

Wir haben es wenigstens verabredet.

Und ich muß mich auf dem Exerzierplatz schinden! Na, dann grüß' sie schönstens. Und sie solle den Wallach nicht so scharf auf Kandare reiten. Es giebt sonst noch einmal – ich komme ja schon! Adieu, Wilfried, adieu!

Er war den Kameraden nachgeeilt durch den heute nicht eben breiten Gang zwischen den Tischen, vorbei an dem der Bielefelder, deren sämtliche Gesichter sich nach der schmucken Erscheinung wandten.

Wenn es nicht um die prächtige Frau wäre, murmelte 21 Wilfried, der nun seinerseits mit dem Kellner abgerechnet hatte.

Ich komme sicher nicht so vorbei.

Wirklich hatte er kaum ein paar zögernde Schritte gethan, als auch Arthur Bielefelder wieder eilends auf ihn zukam.

Jetzt müssen sie aber mit an unsern Tisch, Herr Graf!

Thut mir herzlich leid – bin todmüde – Ihre Damen haben sicher genug von mir.

Keine Idee, im Gegenteil! Die Damen haben noch eine spezielle Bitte an Sie. Nur einen Augenblick, Herr Graf!

Der Geschäftige hatte bereits einen Stuhl, den ein Kellner auf seinen Wink schnell herbeigetragen, für Wilfried zurechtgerückt.

Die Sache ist die, sagte Arthur, der sich nun mit seinem Stuhl halb aus der Reihe gedrängt sah, über Wilfrieds Schulter, die jungen Damen brennen darauf –

Aber Arthur! rief Else, ihn derb mit dem Fächer schlagend.

Welche Übertreibung! lispelte die schöne Cousine, müde lächelnd.

Also die jungen Damen brennen nicht darauf –

Mais cher cousin

Immer der reine Clown!

Ja, aber, Chlotilde, Else, wie soll ich denn –

Die Sache ist, nahm der Kommerzienrat das Wort, Sie waren so liebenswürdig, Herr Graf, uns für Donnerstag zuzusagen. Nun finde ich für mein Teil, es ist eine starke Zumutung an die Herren, in dieser Jahreszeit – indessen –

Ach, Papa, Du holst auch so weit aus, rief Else. Laß mich! Also, Herr Graf, wir möchten so schrecklich gern noch einmal tanzen. Da sind wir aber mindestens unser zehn Mädchen und meine Herren Brüder hier rechnen 22 nur sechs Herren heraus, höchstens acht. Und da wäre es nun furchtbar nett von Ihnen, Herr Graf, wenn Sie –

Es wäre wirklich sehr nett, versicherte Arthur.

Sehr charmant, rief Leonor.

Bezaubernd, lispelte Chlotilde mit ihrem müden Lächeln, während der Blick der großen mattglänzenden schwarzen Augen unverwandt auf Wilfried ruhte.

Hätte ich nur eine Ahnung, meine Herrschaften, sagte er.

Gott, die Geschichte ist furchtbar einfach, rief Else, den schwarzen Lockenkopf lebhaft vorschiebend. Es handelt sich um Ihren Herrn Vetter, Herr Graf, der eben hier vorbei ging. Ob Sie ihn nicht veranlassen möchten, einen Besuch bei uns zu machen? Wollen Sie? Bitte, bitte!

Ach ja! bitte! Please! lispelte Chlotilde.

Wenn es nicht um die herrliche Frau wäre! dachte Wilfried. Und laut sagte er:

Weiter nichts, meine Damen? Ich bin überzeugt, mein Vetter wird Ihre gütige Einladung mit Dank annehmen. Ich sehe ihn spätestens übermorgen mittag und werde nicht verfehlen –

Wie lieb! flüsterte Chlotilde.

So ist er immer, rief Else.

Es wird famos, sagte Arthur.

Großartig, sagte Leonor.

Verbindlichsten Dank, Herr Graf, sagte der Kommerzienrat. Meine Frau wird sich sehr freuen –

Bitte, ihr meine ergebenste Empfehlung auszurichten, sagte Wilfried, sich erhebend.

Ah! hauchte Chlotilde, sichtlich enttäuscht.

Na, aber, sagte Else schmollend.

Ich bliebe gern, meine Gnädigen. Eine böse Migräne, die mich schon den ganzen Abend geplagt hat – also, meine Herrschaften, auf Wiedersehen Donnerstag –

Mit Ihrem Herrn Vetter!

Ich glaube bestimmt –

23 Und wenn er noch den einen oder andern Herrn Kameraden mitbringt –

Ich werde es ihm sagen –

Er hatte eine Verbeugung gemacht, in die sich die Gesellschaft teilen mochte. Der Gruß wurde allseitig lebhaft erwidert. Else war im Begriff, ihm eine Kußhand nachzusenden, unterließ es aber auf einen warnend erhobenen Finger ihrer Cousine.

Ob ich wohl jemals werde Nein sagen lernen, grollte Wilfried bei sich, während er nun schnellen Schrittes durch den leeren Vorsaal das Restaurant verließ.

* * *


 << zurück weiter >>