Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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Herrlichste Sommertage waren über Schloß Falkenburg hingegangen. In dem Garten, der in mächtigen Terrassen ringsum den Schloßberg hinabgebaut war, sangen in den frischeren Morgenstunden noch die Vögel, kam von den Rabatten der Duft der Rosen, Nelken und Levkojen in süßen Wolken. Heißen Mittagen folgten erquickende Abende mit glorreichen Sonnenuntergängen; den weichen Abenden 451 schimmernde Sternennächte. Tag für Tag prangte die Natur in hochzeitlichem Schmuck; aber von den Menschen, die sich in ihr bewegten, schienen Freude und Lust für immer gewichen. Die Mägde selbst in der Küche, die Diener in den Zimmern, die Kutscher und Knechte in den Ställen verrichteten ihre Dienste schweigsam, wortkarg; auch die Gemütlosesten fühlten, daß ein Lachen, ein Pfeifen in diesem Hause der Trauer eine strafwürdige Rohheit sein würde.

Und sie hatten ihn ausnahmslos geliebt, den toten Herrn, von dessen Lippen nie ein hartes Wort kam, dessen Güte unerschöpflich schien.

Sie haben viel verloren, sagte Margarete zu Wilfried; ich alles. Er war die Sonne meines Lebens. Nun, da er von mir geschieden, wie grau und öde ist mir die Welt! Ich nehme meine ganze Kraft zusammen, es die Kinder nicht merken zu lassen. Es gelingt mir nicht. Ich sehe ihre traurig fragenden Blicke: Mama, liebst Du uns denn nicht mehr? Wollte ich antworten: Ja, wie man mit gebrochenem Herzen lieben kann, sie würden es nicht verstehen. Da bist Du ihnen ein Gottgesandter. Du bist ihrem Vater so ähnlich: in den Bewegungen, im Ton der Stimme. Es durchschauert mich oft. Und bringst ihnen so viel herzliche Liebe entgegen! Gott segne Dich dafür! für all das Viele, was Du jetzt an uns thust; noch in Zukunft thun wirst!

In Zukunft thun wirst!

Eine wie lange Reihe peinlicher Gedanken und Bedenken die Worte in Wilfried aufregten!

Sein Bruder hatte ihn zu einem der beiden Testamentsvollstrecker und Vormünder der Kinder gemacht. Der andere war ein Bruder Margaretens, Gutsbesitzer in Schlesien, Reichstags- und Landtagsabgeordneter; so von seinen vielen Geschäften in Anspruch genommen, daß er bereits am Tage nach der Beisetzung wieder hatte abreisen müssen. 452 Offenbar würden auch in Zukunft die Verantwortung und Last der Vormundschaft ganz wesentlich auf ihn fallen.

Eine Aufgabe, durchaus schicklich für den Grafen in der seinem Range entsprechenden gesellschaftlichen Stellung mit Tante Adeles Millionen hinter sich; völlig unpassend, ja undurchführbar für den Socialdemokraten, der, auf die Vorrechte seiner Geburt verzichtend, die praktischen Konsequenzen seiner neuen Lehre zu ziehen entschlossen war, zu einem nicht kleinen Teil bereits gezogen hatte.

Entweder hatte der Bruder, was er an jenem Abend im Hotel Bristol zur Verteidigung dieser Lehre vorgebracht, nicht für vollen Ernst genommen; war von dem grundmäßigen Wandel, den er seitdem in seinen Verhältnissen geschaffen, nicht unterrichtet gewesen. Oder aber, bei der hohen Unwahrscheinlichkeit einer solchen Annahme: er hatte sich gesagt: ich will ihn in ein Ehrenamt bringen, das er nicht ablehnen kann, und an dem er wieder lernen wird, was es heißt: noblesse oblige.

Es war, als ob die Kinder, die sich mit ihrer Liebe zu ihm drängten; die Dienerschaft, welche nur noch auf seine Befehle und Anordnungen zu warten schien; die Ackerbürger des Städtchens, die ihn so ehrfurchtsvoll grüßten, ihm so vertrauensvoll ihre Angelegenheiten zutrugen, zur Entscheidung vorlegten, – als ob alle ihm vom Morgen bis zum Abend, wo er nur ging und stand, das gewichtige Wort zuriefen, nicht damit er es von ihnen lerne, sondern, was er wisse und im Herzen trage, an ihnen beweise.

Er that es nach Kräften und bemerkte zu seinem Erstaunen, wie leicht es ihm wurde, ja, welche Freude und Befriedigung ihm aus der Übung seiner neuen Pflichten erwuchsen. Und dann, seine alte Liebe für das Landleben kam ihm wieder mit seltsamer Kraft. Wenn er mit den Inspektoren durch die Felder ritt, von den Förstern sich durch die Wälder geleiten ließ; den Reden der wackeren Männer lauschte; auf ihre Ansichten, Vorschläge, Wünsche einging, soweit seine Einsicht reichte, und zu seinem Staunen 453 wahrnahm, daß sie viel weiter reichte, als er zu hoffen gewagt; ihm dann das Leben eines ländlichen grand seigneur ganz ideal erschien, und er daran dachte, wie nahe er schon der Erfüllung dieses Ideals gewesen war, als ihm der Bruder zum Kauf jener rügenschen Güter seinen Beistand anbot – war denn, was seitdem geschehen, nur ein wirrer Traum, jetzt süß und schrecklich jetzt? und es koste nur eine kraftvolle Anstrengung, aus ihm zur Wirklichkeit zu erwachen?

Einer sonnig klaren Wirklichkeit, in welcher Huttens: es ist eine Lust zu leben, ihm aus dem vollen, beruhigten Herzen kam?

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