Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Assessor von Bösching war ein guter Bekannter von Breslau her. Sie hatten dort als Referendare ein halbes Jahr zusammen bei der Regierung gearbeitet. Wilfried hatte ihn gern gehabt: – eine elegante Erscheinung, wie sie seinem ästhetischen Gefühl zusagte, mit den angenehmsten Formen; – und sich eine freundliche Erinnerung an ihn bewahrt. So fiel die gegenseitige Begrüßung trotzdem zwanglos, fast herzlich aus.

Kurioses Wiedersehen das, sagte der Assessor, nachdem sie Platz genommen; nicht ganz so harmlos wie bei Hansen in dem lieben alten Breslau; aber tragisch wollen wir die Sache auch nicht nehmen, sagt mein Herr Chef, und sage ich auch, der ich speziell darum gebeten habe, mich mit der Mission zu betrauen. Keinen Dank, Graf! Selbstverständlich! Alte Kollegen. Also, Graf, Sie wissen, um was es sich handelt: Ihre Rede in der Versammlung vorgestern abend. Herr von Gronau – unter uns: ein unbequem heftiger Streber – hat Sie der Staatsanwaltschaft angezeigt. Der Staatsanwalt muß sich schlüssig machen, ob er öffentliche Anklage erheben will oder nicht. Das hängt, wie Sie wissen, von dem Resultat des Ermittlungsverfahrens ab, für das in unserem Falle der Staatsanwalt die Hilfe der Polizei in Anspruch nimmt. Es gilt also, den Sachverhalt aufzuklären. Ich denke, wir werden ihn so aufklären, daß der Herr Staatsanwalt seine schätzenswerte Thätigkeit andern Dingen zuwendet.

Der Assessor lächelte, behaglich die Spitzen seines Schnurrbartes womöglich noch weiter nach oben zwirbelnd.

Bitte, stellen Sie Ihre Fragen, sagte Wilfried ernst.

Die Sie selbstverständlich nicht zu beantworten brauchen, 326 wenn Sie sich dadurch zu belasten fürchten müssen. Zuerst also: hatten Sie ein Manuskript?

Ich habe völlig frei gesprochen; wußte in der That eine Minute vorher nicht, daß ich sprechen würde.

Ausgezeichnet. So können wir uns die Haussuchung sparen, die zu nichts führen würde, und sind auf die Notizen des Wachtmeisters angewiesen, die der Mann allerdings auf seinen Diensteid zu nehmen bereit ist. Indessen, da läßt sich abwinken. Auf Gronaus Aussage legen wir so gut wie kein Gewicht, brauchen es wenigstens nicht: er hat notorisch ein Gedächtnis, wie ein großlöcheriges Sieb. Hier eine Abschrift der Notizen des Wachtmeisters. Würden Sie die Güte haben, einen Blick darauf zu werfen?

Wilfried nahm das Blatt, las es aufmerksam und sagte, es zurückgebend:

Soweit ich mich erinnere, hat der Mann, was ich gesprochen habe, wörtlich wiedergegeben.

Soweit Sie sich erinnern! Verehrter Graf! Sie wissen, ich hatte und habe als Tischredner einigen Ruf. Aber am nächsten Morgen, keinen Schimmer. Höchstens die blasse Erinnerung an ein paar Phrasen, die so, aber auch anders gelautet haben können.

Meine Erinnerung aber ist sehr deutlich. Ich wiederhole: ich erkenne in diesen Aufzeichnungen durchaus meine Rede wieder. Ich könnte die Lücken sogar unschwer ergänzen.

Das fehlte noch gerade! Aber, Graf! Graf! Das heißt doch, sich dem Staatsanwalt recta in die Hände liefern! Ohne alle Not. Im Gegenteil! Sie sehen, daß uns alles daran liegt, die Sache zu vertuschen.

Meinethalben?

In erster Linie. Ein Graf Falkenburg, der mit dem Paragraph hundertdreißig des Strafgesetzbuches in Konflikt gerät! Das geht doch nicht! Das geht bei Gott nicht! Wir haben mit den Socialdemokraten und dem Freisinn, 327 weiß der Deibel, schon unsere liebe Not. Wenn nun gar der Adel – es ist nicht auszudenken. Ein Novum – novum horribile.

Und Herr von Egidy?

Ach! diese sogenannte ethische Bewegung – die kann man doch nicht ernsthaft nehmen.

Ich möchte aber durchaus ernsthaft genommen sein.

Der Assessor entfärbte sich.

Verzeihung, sagte er, den weltmännisch behaglichen Ton, in welchem er bis jetzt gesprochen, fallen lassend; das hat mein Herr Chef nicht vermutet, als er mich, anstatt einen untergeordneten Beamten, mit dieser Mission betraute; und wahrlich auch ich nicht, als ich sie mit Freuden annahm.

Ich bedaure aufrichtig, erwiderte Wilfried, Ihrem Herrn Chef und Ihnen diese Enttäuschung bereiten zu müssen.

Mein Gott, rief der Assessor fast heftig; von den Unannehmlichkeiten zu schweigen, die Sie sich auf diese Weise fraglos bereiten – Sie bringen uns da in die größte Verlegenheit. Die Sache wird oben auf das peinlichste berühren. Das vermeidet man doch, wenn es irgend möglich ist! Aber es ist nicht möglich, wenn Sie uns nicht entgegenkommen. Hätten Sie Ihre Rede im Reichstag gehalten – à la bonheur! Da schwatzen die Herren à tort et à traveres und sind überdies durch die verd– wollte sagen: durch die Immunität gedeckt. Oder auch nur in einer Adelsversammlung! Es hätte böses Blut gegeben, natürlich; aber man war unter sich; unter Verwandten muß ein freies Wort verstattet sein; einer und der andere hätte vielleicht sogar gemeint, es könne nicht schaden, sich mal die andere Seite der Medaille zu besehen. Aber in einer öffentlichen Versammlung, heutzutage, wo der Zündstoff überall bergehoch aufgehäuft ist; man gar nicht wissen kann, ob ein achtlos hingesprühter Funke nicht einen ungeheuren Brand erregt – das ist 328 doch nicht zu dulden; da müssen wir doch einschreiten, wir mögen wollen oder nicht!

Ich begreife das vollkommen, erwiderte Wilfried; und bin Ihnen aufrichtig dankbar für Ihren guten Willen. Von meiner Überzeugung kann ich nicht abgehen. Ich habe sie einmal vor Hunderten ehrlicher Menschen ausgesprochen. Dabei muß es bleiben.

Ich bin leider mit meiner Mission noch nicht zu Ende, sagte der Assessor, dessen Miene sich bei Wilfrieds letzten Worten stark verfinstert hatte und der jetzt den Beamtenton wieder scharf anklingen ließ. Ich habe Sie noch dienstlich nach Ihren Beziehungen zu der Familie Schulz zu fragen, deren eines Mitglied, wie Sie wissen werden, den kolossalen Kassendiebstahl bei Bielefelder und Sohn verübt hat; flüchtig geworden ist und bereits steckbrieflich verfolgt wird.

Ich kann darauf nur erwidern, entgegnete Wilfried, daß meine Beziehungen zu der Familie noch keine Woche alt und die loyalsten von der Welt sind: die des Beschützers gänzlich verarmter, unglücklicher Menschen. Jede andere Auskunft muß ich verweigern, nicht, weil sie mich belasten würde, sondern weil, sie zu geben, ich mit meiner Ehre unvereinbar finde.

So hätte ich meine dienstliche Obliegenheit erfüllt, sagte der Assessor, sich erhebend. Daß meine Mission nicht nach meines Herrn Chefs und meinem eigenen Wunsch ausgefallen ist, ist nicht meine Schuld. Sie werden mir das zugeben.

Gewiß, sagte Wilfried, und ich wiederhole meinen aufrichtigen Dank für die liebenswürdige Weise, in der Sie sich Ihres, für Sie so wenig erfreulichen Auftrags entledigt haben.

Die Herren standen bereits an der Thür. Der Assessor fingerte, wie unschlüssig, an seinem Hut und, den gesenkten Kopf mit einer entschiedenen Bewegung hebend, sagte er:

Graf, wollen Sie sich von einem alten Bekannten und Kollegen, mit dem Sie seiner Zeit in bestem Einvernehmen 329 gelebt, einen Rat gefallen lassen? Nicht wegen der Affaire vorgestern abend! Das wird sich, muß sich applanieren lassen. An die Ernsthaftigkeit Ihrer Socialdemokratie kann man ja vernünftigerweise nicht glauben; glauben Sie ja selbst nicht. Nein! Die zweite Sache geht mir viel ärger durch den Kopf. Und da sage ich: geben Sie diese Beziehungen zu dieser Familie Schulz schleunigst auf! Ich bin nicht älter als Sie; aber – ich will mich dessen, weiß Gott, nicht rühmen – ich glaube, an gewissen Erfahrungen bin ich Ihnen eine lange Strecke voraus. Glauben Sie mir: in solchen liaisons ist man in neunundneunzig Fällen unter hundert der Düpe seiner gutmütigen Leichtgläubigkeit, und hat es hernach bitter schwer zu bereuen. Und diese Familie gar! Der Alte ist nur eben so noch am Zuchthaus vorübergestreift; der Sohn ein Dieb, der, wenn wir ihn haben, was ja nur eine Frage der Zeit ist, sicher ins Zuchthaus kommt; die eine Tochter steht schon seit Jahren unter Polizeiaufsicht. Die andre –

Ist ein Mädchen, das jede Achtung verdient – jede! Und für deren Ehre ich mit meinem gräflichen Wort einstehe.

Der Assessor hatte die größte Lust zu lachen. Aber ein Blick in Wilfrieds bleiches Gesicht und seine funkelnden Augen sagte ihm, daß er damit eine fürchterliche Scene hervorrufen würde. So denn erwiderte er ruhig, in seiner verbindlichen Weise:

Wenn man jemand den besten Rat giebt, den man selber hat, will man ihn gewiß nicht kränken, oder gar beleidigen. Das wissen Sie, Graf. Nun also: auf Wiedersehen! Ich wünsche und hoffe zuversichtlich: bei einer freundlicheren Gelegenheit, als uns heute beschieden war.

Er war gegangen, von Wilfried höflich bis zur Flurthür begleitet, wo sie sich mit einem Händedruck voneinander verabschiedet hatten.

330 In sein Arbeitszimmer zurückgekehrt, klingelte Wilfried und hieß Zunz, ihm einen Promenadenanzug zurecht zu legen. Mit fieberhafter Hast klappte er die Rechnungsbücher zusammen und warf sie mit den übrigen Papieren in den Schreibtischkasten. Das Inventarmachen hatte Zeit. Falkos Besuch; seine Verlobung mit Else Bielefelder; ob Chlotilde Bielefelder sterben wollte, wenn er sie nicht wieder liebte – es war ja alles so gleichgültig. Aber wenn dem geliebten Mädchen Gefahr drohte; die gräßlichste, daß die schamlose Hand der Polizei sie anzutasten wagte – mein Gott, er war ja machtlos, ratlos! Aber, Frau Brandt, die kluge, thatkräftige, sie konnte sicher raten, helfen. Es war jetzt zwölf. Sie hatte ihn vorgestern um diese Stunde empfangen. Vielleicht, daß er sie auch heute zu Hause traf.

* * *


 << zurück weiter >>