Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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Die Gesellschaft, mit Ausnahme der Wirte und einiger weniger älterer, lauter jüngere und ganz junge Leute, mochte vierundzwanzig Personen zählen, zu je acht an drei Tischen verteilt. Unter Wilfried und Ebba war es hergebracht, daß sie sich bei solchen Gelegenheiten trennten. Wir sind ja doch keine Turteltauben, pflegte Ebba zu sagen; und Wilfried vermied nicht minder gern jedes geflissentliche Hervorkehren des Brautstandes. Dennoch empfand er es als eine starke Taktlosigkeit, ja geradezu als Beleidigung, daß sie Leßberg zu ihrem Tischherrn gewählt hatte. War es doch schon schlimm genug, daß der ihm so unsympathische Mensch hier im Hause wieder verkehren zu wollen schien. Ihn gar auf diese Weise auszuzeichnen, überstieg nach seiner Meinung jedes erlaubte Maß. Er war in freundlichen, friedlichen Absichten hierher gekommen. Unfreundlich, ja feindlich war man ihm begegnet. Wollte man Krieg? 192 Hatte der Verfasser des anonymen Spottgedichts von heute morgen es gewußt? ihm sagen wollen: Thor, der Du nicht siehst, wie gering, wie sogar nicht der Mühe wert der Preis des Kampfes ist!

Während er in so trübe Gedanken versunken war, hatte sich Frau von Haida mit ihrem Nachbar zur Rechten unterhalten, einem blutjungen Lieutenant, den ihr leises Geplauder weit mehr in Verlegenheit zu setzen als zu ergötzen schien, und der alle ihre Fragen beständig mit einem ängstlichen: Ja wohl, gnädige Frau! doch nicht, gnädige Frau! beantwortete. Und sichtbar erleichtert aufatmete, als sie, sich plötzlich zu Wilfried wendend, ihn seiner eigentlichen Tischdame überließ, die dann freilich in jeder Beziehung sehr viel besser zu ihm paßte, und mit der er alsbald in lebhaftes Gespräch kam.

Nun, sagte Frau von Haida, haben Sie sich ausgeschmollt, mein melancholischer Freund?

Zeit genug haben Sie mir gelassen.

Dafür haben Sie mich, wenn Sie wollen, für den ganzen großen Rest. Der Edelknecht zu meiner Rechten spränge lieber in die Charybdis, als daß er den geistreichen Mund wieder zu mir aufthäte. Dafür habe ich gesorgt.

Wenn Ihre Sorge sich nur lohnt.

Ich denke doch, Sie können Marie von Erlbach über Frau von Haida nicht ganz vergessen haben.

Und ich freue mich, in Frau von Haida Marie von Erlbach so völlig wiederzufinden.

Das Gewerbe des Schmeichlers überließen Sie sonst anderen. Ich bin mit meinem alten Mann eine alte Frau geworden.

Schade, daß die Schicklichkeit so streng verbietet, den Leuten ins Gesicht zu lachen.

Ich entbinde Sie mir gegenüber feierlich von den Gesetzen der sogenannten Schicklichkeit. Sie ist schon das dümmste, was die Menschen erfunden haben.

193 Goethe war anderer Meinung, der für das, was sich ziemt und schickt, uns Männer gerade an die edlen Frauen verwies.

Wenn Sie doch gestern abend bei Ihrer Frau Tante so gesprochen hätten!

Also die Historie von dem Frosch-Mäusekrieg ist schon bis zu Ihnen gedrungen!

Die ganze Stadt ist voll davon. Mir erzählte sie Bronowski, der mich heute vormittag besuchte.

Ah!

Und heute nachmittag, als ich hier vorsprach, zu erfahren, in welcher Toilette man zu kommen habe, konnte ich die Wundermär von den anmutigen Lippen der Frau von Wiepkenhagen, die sie Ihrer Tante zum besten gab, noch einmal im Detail hören.

Das erklärt mir denn freilich manches.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel die Anwesenheit des Herrn von Bronowski.

Er bat mich, ihm eine Einladung zu verschaffen.

Was ich sehr begreiflich finde. Er folgte seinem Stern, der über diesem Hause stillstand.

Soll ich ihn darum schelten? Es gab Zeiten, in denen der Stern auch anderen leuchtete. Sie haben sich alle in der Wüste des Lebens verloren. Er allein ist treu geblieben.

Es steht ja jetzt bei Ihnen, ihn für seine Treue zu belohnen.

Als ob es das nicht immer gethan hätte! Als ob man wohl Hauptmanns-, aber nicht Majorsepauletten widerstehen könne! Als ob ich gewußt hätte, daß Herr von Haida so bald sterben und das arme Mädchen als reiche Frau zurücklassen würde! Oder meinen Sie das etwa?

Ich habe in diesem Falle weder ein Amt noch eine Meinung.

194 Ja, Sie waren immer der Vorsichtige! Man nannte Sie ja damals schon den Philosophen! Der unnahbar in den Wolken schwebte, hoch über uns anderen armen Menschenkindern, die auf der Erde herumkrabbelten. Und dem der Puls nicht um einen Schlag schneller ging, während unsereinem vielleicht das Herz brach. Dafür habe ich Beweise.

Auf die ich begierig wäre.

Sind Sie? Par exemple: erinnern Sie sich vielleicht eines Abends vor vier Jahren. Der General hatte eben seinen blauen Brief erhalten und wollte in der nächsten Zeit Breslau verlassen, hierher überzusiedeln. Sie hatten Ihre Station an der Regierung absolviert und standen ebenfalls auf dem Sprunge zu gehen. Was Ihre Verwandten veranlaßte, in dieser kritischen Zeit noch einen Ball zu geben, weiß ich nicht. Vielleicht wollte man zeigen, daß man sich aus der Kalamität nichts mache. Jedenfalls gab man einen Ball, der sogar sehr glänzend ausfiel. Sie hatten zusammen mit Bronowski die Arrangements übernommen und mir die Auszeichnung erwiesen, mich zum Kotillon zu engagieren, den Sie auch mit mir eröffneten. Sie erinnern sich?

Wie sollte ich nicht, gnädige Frau!

Sehr schön. Wir hatten ein paar Touren fertig und wollten eben eine neue beginnen. Da wurde ich ohnmächtig. Erinnern Sie sich?

Aber gewiß!

Welch' Gedächtnis Sie haben! Und wissen Sie, warum ich in Ohnmacht fiel?

Sie kamen leider nicht wieder zum Vorschein. Man nahm allgemein an: die Hitze im Saal.

Nahm man das an? Sie auch?

Ich hatte keine andere Erklärung. Wie sollte ich?

Freilich. Sagen Sie mir einmal jetzt aufrichtig: liebten Sie Ihre Cousine schon damals?

Aber gnädige Frau!

195 Sie war eigentlich noch ein Backfisch. In die pflegen sich doch nur alte Männer zu verlieben.

Ich weiß wirklich nicht, gnädige Frau, ob –

Thuen Sie mir den Gefallen, und kommen mir nicht wieder mit der Schicklichkeit. Ja, oder nein! Liebten Sie Ebba schon damals?

Damals und, ich glaube, bereits zwei Jahre früher.

Das war eine ehrliche Antwort. Ich danke Ihnen. Übrigens würde Ihnen eine Lüge auch nicht geholfen haben. Ich hatte mir immer gesagt: es ist nicht möglich; er kann doch ein Kind nicht lieben. An jenem Abend durfte es – ausnahmsweise – den Ball mitmachen. Sie hatte ein weißes Kleid an – halb lang, wie es sich gehörte – keinen Schmuck außer ihren großen, lebenshungrigen Augen und ihrem rotblonden Männerfischerinhaar. Es blieben viele darin hangen. Sie war unglaublich begehrt, flog von einem Arm in den andern. Einer tanzte nicht mit ihr; er war wütend, daß sie tanzte; biß sich auf die Lippen, so oft sie in einem flotten Galopp vorüberflog, in der Quadrille à la cour ihre verführerisch tiefen Knixe mit frommem Kindergesicht machte. Denn er verwandte kein Auge von ihr; antwortete auf die Fragen seiner Tänzerin à tort et à travers. Sie hatte es den ganzen Abend mit ansehen müssen. Endlich konnte sie nicht mehr; das Herz krampfte sich ihr in der Brust und – wissen Sie jetzt, warum ich ohnmächtig wurde?

Aber, gnädige Frau –

Sie können einen ungeduldig machen mit Ihrer ewigen »gnädige Frau«. Ich hatte auch die Geduld verloren. Vier Wochen später war ich Frau von Haida.

Sie hatte ihre leise Stimme nicht erhoben; keine Miene in ihrem schmalen Gesicht mit den feinen, geistvollen Zügen sich verändert; sprachlos vor Erstaunen und Schrecken starrte Wilfried sie an.

Nun spielte doch ein Lächeln um ihren reizenden Mund.

Er hatte ja schon lange um mich geworben. Meine Eltern hatten mir sehr zugeredet; alle Tanten und Basen hatten mir zugeredet: es war eine so glänzende Partie und ich ein so armes Mädchen! Und er war auch ein guter Mann. Aber wäre er noch einmal so reich und gut gewesen, ich hätte ihn nicht geheiratet – ihn nicht und keinen anderen, wenn – ah bah! weshalb beständig in der alten Liebesasche rühren, wie die Plaudertasche, die dem guten Heine so auf die Nerven fiel! Es wird ja doch kein Fünkchen wieder lebendig. Sprechen wir lieber von der Gegenwart, oder der jüngsten Vergangenheit, von der vergangenen Saison. Waren Sie recht vergnügt? Sind im Herbst die beiden Schnitzeljagden mit geritten? Flotten Galopp? Wie? Haben im Winter die Hofbälle besucht? Den Contretanz auf dem Eise des neuen Sees bei Fackellicht und Militärmusik? in der klirrenden Nacht? von dem die Zeitungen voll waren? Aber was ist Ihnen? Sie sind ja ganz blaß geworden! Ist Ihnen nicht wohl?

Sie sah ihm gerade ins Gesicht. In den blauen feuchtschimmernden Augen schienen flackernde Irrlichter zu tanzen.

Gnädige Frau, sagte Wilfried, mit bebender Stimme, das Gedicht, das ich heute morgen erhielt, ist von Ihnen. Leugnen Sie es nicht!

Thue ich es denn?

Aber wie konnten Sie –

Wie ich das konnte? Im Kriege und in der Liebe gelten alle Mittel.

Und auf welchen Zweck zielten Sie mit diesem Mittel ab?

Die reizende Frau bog sich ganz nahe zu ihm und sagte mit leiser, wie von Leidenschaft gepreßter Stimme:

Aus Ihrem Herzen eine Liebe zu reißen, mit der Sie eine nicht beglücken wollten, die freudig ihr Leben für Sie gelassen hätte, sie einer anderen zu schenken, die heute ihren frivolen Scherz damit treibt. Vor Ihren Augen treibt. Blicken Sie doch nur einmal hin!

197 Ebba und Leßberg saßen an dem dritten Tisch; die Länge des Saales lag dazwischen. Doch durch eine Lücke an der zweiten Tafel konnte man gerade das Paar deutlich sehen: wie der Graf in bedenklich vertraulicher Nähe eifrig auf Ebba einsprach und sie, mit geröteten Wangen und flackernden Augen, nicht minder eifrig zuhörend, eben ihr Taschentuch gegen den geöffneten Mund drückte, offenbar, um ein Lachen, in das sie ausbrechen wollte, nicht allzulaut werden zu lassen.

Wilfrieds Herz war von Zorn und Scham erfüllt; aber die Scham trug es über den Zorn davon: die Scham, daß die klugen Augen dieser Frau die Elendigkeit seiner Lage mit so unbarmherziger Klarheit durchschauten. Sie hatte ihm eben mit einer Kühnheit ohnegleichen ihre Liebe von damals, vielleicht von heute gestanden. Aber konnten denn diese Weltdamen lieben? War nicht alles bei ihnen Berechnung? Eifersucht? Koketterie? Beim Himmel! mußte er unwürdige Ketten brechen, er wollte es nicht, um sich in so plump gestellten Netzen zu verstricken!

Und wie er sich jetzt wieder zu ihr wandte, waren das nicht die grausamen Augen des Finklers, der in Begriff steht, das Netz über dem gefangenen Gimpel zuzuziehen?

Es gab ihm im Nu die verstörte Ruhe wieder.

Ich vermute, sagte er mit vornehmer Kühle, die gnädige Frau erwarten jetzt für die große Mühe, die Sie sich um mich gegeben haben, meinen gehorsamsten Dank. Aber gnädige Frau wissen: wer Lohn begehrt, der hat seinen Lohn dahin.

Sie wurde bleich bis in die Lippen, und mit den bleichen Lippen murmelte sie:

Das Wort werden Sie zu büßen haben.

Der Anflug von Reue, den er denn doch über seine Grausamkeit empfunden, war sofort verschwunden. So spricht Liebe, auch die gekränkte, nicht.

Sie machen mich auf den nächsten Akt der Komödie neugierig, erwiderte er, jetzt mit offener schneidender Ironie.

198 Er dürfte nicht ganz lustig ausfallen; mais vous l'avez voulu.

Der General, der, sich vom zweiten Tisch erhebend, damit das Zeichen zum Aufbruch der Tafel gab, überhob Wilfried der Antwort. Da sie dem Salon zunächst gesessen hatten, waren es glücklicherweise nur ein paar Schritte bis dahin. Im Salon trennten sie sich unter stummer gegenseitiger Verbeugung.

* * *


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