Katharina Elisabetha Goethe
Briefe – Band II
Katharina Elisabetha Goethe

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245. An Goethe.

den 22ten Juli 1796

Lieber Sohn!

Aus den Zeitungen wirst du die jetzige Lage deiner Vatterstadt erfahren haben – da aber das Tagebuch von Frau Aja zuverläßig nicht darinnen steht und ich doch mit Zuversicht glaube daß es dir nicht gleichgültig ist wie ich diese Epoche überstanden habe; so werde eine kleine Relation davon abstatten. Vor denen Frantzosen und ihrem hereinkommen hatte ich nicht die mindeste Furcht daß sie nicht Plündern würden war ich fest überzeugt – wozu also einpacken? ich ließe alles an ort und stelle und war gantz ruhig – auch glaubte kein Mensch daß die Kayerlichen sich hir halten wollten – es war wie die Folge auch gezeigt hat wahrer Unsinn – da sie es aber doch thaten; so fing die Sache an bedencklich zu werden – das Hauß wo ich wohne ist in Zeiten der Ruhe eins der schönsten in der Stadt – aber desto fürchterlicher in solchen Tagen wie die vergangenen wahren – der Kayerliche Commandtant wohnte gegen mir über, nun sahe ich all den Specktackel – die Frantzosen mit verbundenen Augen – unsern Burgemeister – alles in Furcht was das werden solte u. s. w. den 12ten gegen Abend fing das Bombardement an wir setzen uns alle in die untere Stube unsers Haußherrn wie es etwas nachließ ging ich schlafen – gegen 2 uhr früh morgens fings wieder an wir wieder aus den Betten – nun fing ich an auszuräumen nicht vor den Frantzosen aber wohl vor dem Feuer – in ein paar Stunden war alles im Keller biß auf die Eißerne Kiste die uns zu schwer war – ich ließ meines Schwager Major Schuler seinen Fourirschütz nebst noch einem starcken Mann holen – die brachten sie denn glücklich in Keller. Biß an diesen periodt war ich noch gantz berugigt – jetzt kamen aber so schreckliche Nachrichten wie der wie jener |: es waren Leute die ich kante :| der von einer Haupitze Todt geschlagen dem der Arm dem der Fuß vom Leibe weg u. d. g. nun fing mir an Angst zu werden und ich beschloß fortzugehn freylich nicht weit – nur dem Bombardement aus zuweichen – da war aber kein Fuhrwerck ums Geld zu haben – endlich hörte ich, daß in meiner Nachbahrschaft eine Familie nach Offenbach führe – ich ließe sie bitten mich mitzunehmen – und es wurde mit vieler Höfflichkeit bewilliget. Ich bin keine von den verzagten Seelen, aber diese schreckliche Nacht die ich gantz ruhig in Offenbach bey Mama la Roche zubrachte, hätte mir in Franckfurth vielleicht Leben oder doch Gesundheit gekostet – den 12ten 13ten und 14ten bliebe ich also in meiner Freystadt – den 15ten früh kam die Nachricht daß die Capitulation geschloßen und nichts mehr Leib und Leben betrefendt zu befah[r]en sey – nur müßte mann machen den Tag noch zurückzukommen weil den 16ten die Frantzosen einrücken würden und als dann die Thore geschloßen seyn würden – nun wäre ich um keinen Preiß in Offenbach geblieben – einmahl weil mann mich vor Emigrirt hätte halten können – zweytens weil meine schöne Zimmer als gantz lehr stehend |: denn meine Mägde hatte ich auch mitgenommen :| hätten weggenommen werden können. Nun war wieder Holland in Noth! war wieder kein Fuhrwerck zu haben – Da erbarmte unser alter Freund Hans Andre über mich, gab mir sein artiges Küschgen und rasch war ich wieder im goldenen Brunne danckte Gott von gantzem Hertzen vor meine und vor die Bewahrung meiner Wohnung. Es ist gantz begreiflich daß ein größerer Unglück das kleinere verdrängt – wie die Canonade aufhörte – waren wir wie im Himel – wir sahen die Frantzosen als Retter unsers Haab und Beschützer unserer Heußer an – denn wenn sie gewolt hätten so stünde kein Hauß mehr – und zum löschen spantten sie ihre Pferde vor die Spritzen die von den Dorfschafften zum löschen herbey eilten. Gott! Schencke uns den Frieden! Amen! Lebe wohl! Grüße alles in deinem Hauße, und behalte lieb

Deine
treue Mutter
Goethe.

N. S. vor die überschickten jounarle und Mercure dancke bestens – villeicht finden sich die 3 fehlende Mercure noch, bemühen solst du dich aber deßwegen nicht.


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