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Koralleninseln

Dieses Gedicht, das die Sammlung gleichen Namens einleitet, ist eines der schönsten und bezeichnendsten aus der letzten Zeit vor dem Zusammenbruch. Hier rafft sich der Dichter aus den bangen Zweifeln noch zu festem Vertrauen in seine Kraft auf.

Im Morgendämmer durch des Meeres Weiten
Zog hin das Schiff, die Luft bewegungslos,
Der Wellen Fläche glatt nach allen Seiten
Und hinterm Boot ein einziger Streifen bloß.
Da droben ein paar Wasservögel flogen,
Vom Aug' noch kaum erkannt,
Indes die Wellen ihre Straße zogen
Bis zu des Horizontes Wolkenwand.

Soweit der Blick vom Bug aus mocht gelangen,
Rund überall der Wasserwüste Reich,
Ein tückisch Netz, gebreitet, einzufangen
Das kleine Schiff, dem schwachen Falter gleich.
So wie ein Tiger springt aus dem Verstecke,
Sprang jäh die Angst sie an,
Die wochenlang gefurcht die öde Strecke
Und weiter fahren – und das Ende, wann?

Die Angst, denn jede Leere weckt das Grauen,
Der Alten horror vacui drückte schwer –
O eine Spur von Leben nur zu schauen!
Vergebens, jeder Laut starb ringsumher.
Nur Wellen, Wellen, die dem Blick sich zeigen
So fremd, so grau, so kalt,
Und aus der Ferne neue Fernen steigen,
Es rollt die Flut, und Nebel stehn geballt. –

Seither vergingen Monde, wieder gleitet
Das Schiff dahin, es fährt zurück nach Haus,
Derselbe Ozean ringsum gebreitet,
Der Möwen Schrei, der Wellen dumpf Gebraus,
Dieselbe Szenerie unten und oben,
Rings Wasser nur zu sehn,
Doch von der Karte hat den Blick erhoben
Verwundert jetzt der alte Kapitän.

Ein dunkler Punkt erhebt sich aus den Wellen,
Der unter seinen Blicken wächst empor –
Wer kam dazu, das Wunder hinzustellen,
Wie aus den Tiefen kam der Gast hervor?
Und näher stets, schon baut sich auf das Ganze,
Des Nebels Schleier sank,
Und in der Sonne, leuchtend voll im Glanze,
Sieht ragen er eine Korallenbank.

Da sieht Geäst er baumgleich sich erheben,
Sich Bogenringe von Korallen baun,
Sieht durch den Bruch das Gras die Bänder weben,
Ein neues Reich der Flora ist zu schaun,
Und Möwen, Gänse, Adler schreiend fliegen,
Und Samen trägt die Flut,
Die Luft herbei – die Insel sieht er liegen,
Auf deren Reiz sein Aug' geblendet ruht.

Und »Leben, Leben;« ruft es aus der Tiefe,
Und durch den ganzen Kosmos dringt das Wort,
Als ob nur dies aus Wind und Welle riefe,
Tönt es in Wolken und in Wirbeln fort.
O Wunderkraft, die Welten baut und mächtig
Sich zeigt und zauberhaft,
Wo Samen ist, da blühn bald Blumen prächtig,
O Kraft des Stoffes, die das Weltall schafft!

*

So pflegt es einem Dichter oft zu gehen:
Sein Leben nur ein grauer Ozean,
Er fährt und fährt, von seines Geistes Wehen
Getrieben auf die unbekannte Bahn.
Die Welt scheint leer, ungastlich, unzugänglich,
Wie eine starre Wand,
Der Nebel steigt, des Liedes Flug stockt bänglich,
So wie die Flut, von Schatten überspannt.

Kein Schwung, kein Atem, der ihn aufwärts triebe,
Und was sein Aug' erblickt, verblaßt und matt,
Irrlichter sind der Ruhm, Tatkraft und Liebe,
Die er erstrebt in seiner Jugend hat.
Begraben alles auf des Herzens Grunde,
Die Hoffnung selbst schon tot,
Bis auf einmal in früher Morgenstunde
Ihm leuchtet der Koralleninseln Rot.

Mit vollen Segeln fliegt sein Herz entgegen,
Und ein Columbus ruft er jubelnd »Land!«,
Hinstrebt er mit der Möwe Flügelschlägen,
Daß von dem Jauchzen hallend bebt der Strand.
Das sind die Inseln neuer, hehrer Sänge,
Die er verdorrt gedacht,
Der heiligsten Gefühle heiß Gedränge,
Wie vom Vulkan emporgejagt mit Macht.

Wie sollt ich euch nicht grüßen, neue Ufer,
Von denen mir des Liedes Blüte winkt,
Ich grüß euch, Inseln, ein beglückter Rufer,
Des Seele über euch sich singend schwingt.
Mein Gram ist überschwemmt vom Meer der Lieder,
Von Schönheit überweht,
Der Jubel schwillt, es tönt die Klage wieder –
Ich komme – ich bin wieder ein Poet!


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