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Der Geist der Einsamkeit

Im Wall der Berge, in der Föhren Waldnacht,
In welcher kaum der langgezogne Schrei
Des Adlers aus den Wolken dringt ans Ohr,
An einer Tanne wildzerrissnen Stamm
Lehnt er, versunken in sein stilles Träumen ...
Schlummert der Wald in voller Glut des Mittags,
Dann heftet auf des Mooses bunten Teppich
Er gern sein Aug', das forschend scharfe Auge,
Und sucht im dünnen Gras, des Mooses Blättchen
Die großen, ewig dauernden Gesetze,
Die das Getriebe der Natur bewegen.
Da netzt des Waldes Blumen er mit Perlen,
Da zeichnet auf die Flügel eines Falters,
Der, von der Sonne Mittagspfeil getroffen,
Auf einem aufgeblühten Farne schlummert,
Die Form er eines Totenschädels hin,
Da löst er eine Fliege aus dem Netze,
Da glättet er im Moos ein blaues Glöckchen,
Das eines flüchtigen Rehes rascher Fuß
Im eiligen Lauf zu Boden hat gebeugt,
Da flicht die Fäden eines Spinngewebs
Von Zweig zu Zweigen mit gewandter Hand
Er spielend in ein regelrechtes Netz.
Doch wenn der nebeldüstre Abend ihm
Die Sonne reißt vom Haupte, seine Krone,
Da fängt für ihn erst recht die Arbeit an.
Sei's, daß er an dem dunklen Firmament
Der Sterne ewig Fackellicht entzündet,
Sei's, daß er Ambra gießt in Blütenkelche,
Auf daß am Morgen sie mit holdem Atem
Die frische Luft des jungen Tags versüßen.
So spinnt auch oft, in grauer Nebelwolke
Auf einen Felsen tief sich niederneigend,
Er um den Stein des Epheus freundlich Laub,
Oder umzieht die kahle Stirn der Blöcke
Still mit der Hauswurz immergrünen Rosen.
Und wenn der Sternenmantel sich der Nacht
Auf seine Schultern sanft und willig legt,
Des Mondes Spange auf der Stirne ihm
Des Abends Schatten zauberhaft verbindet,
Da fliegt er durch das weite Reich des Weltalls,
Und die Natur erbebt, berührt die Thale,
Die schlummernd liegen, seines Kleides Saum.
Was ist der Mensch ihm, was die ganze Erde?
Was unsrer Schmerzen kleinlich bange Seufzer?
Was ihm der Sterne Reich, des Meeres Tiefen?
Was die Gedanken ihm, in deren Wirbel
Bebt der Verstand, wie Funken in der Asche?
All dies durchschaut sein helles, klares Auge,
Die Rätsel alle, jegliches Geheimnis
Liegt vor ihm da – ein aufgeschlagnes Buch!
Und wenn er dieses Buches Blätter wendet,
Wälzt sich am Himmel hin des Donners Stimme,
Und wenn der Blitz der Bäume Wipfel spällt,
Gräbt er in dieses Buches Felsendeckel
Die Runen ein, die Schrift der Ewigkeit!
Die gierige Hast der Welt ist ihm ein Greuel,
Und so gesellt er sich nur allzu selten
Dem Sterblichen; und schon durch seinen Schritt
Emporgescheucht aus seinem stillen Sinnen,
Fliegt er, ein Falter, in des Äthers Reich.
Nur manchmal eines Sehers, Dichters Traum
Erregt er mit der Schönheitssehnsucht Stachel
Und facht den Funken aus dem Auge Gottes
Zur mächtigen, erhabnen Flamme an.
O selig der, der seiner milden Führung
Den Adlerflug der Phantasie vertraut!
Empor zur Höhe leitet er sie stets
Und mit dem goldnen Schlüssel echten Fühlens
Schließt er das Reich der Ideale auf.
Ein andermal dringt in der Herzen Grund
Er tief hinein, wo die krystallnen Wellen
Der Menschheit frische Quelle rinnen läßt.
Da ruht er nun in sanftem Selbstvergessen,
Erleuchtet mit der Wahrheit ewiger Fackel
Das dunkle Ziel des menschlichen Geschlechtes,
Und sucht die Pfade auch, das Ziel zu finden.
Den bittern Kelch der schmerzlichen Verkennung,
Den oft der Dichter leert bis auf den Grund,
Kränzt er mit unvergänglich hellen Rosen
Und gießt hinein den Nektar ewigen Ruhms.

So sah ich ihn im stillen Wald der Föhren
Und überm Sturzbach, der herniederschäumte,
Wies er im Blitz mir sein erhabnes Antlitz.

Du hehrer Geist, der aus dem Groll des Sturmwinds,
Wie aus dem Duft der Blumen zu mir spricht,
Du hobst empor mich aus dem Staub des Alltags
Und gabst mir ein fast unerreichbar Ziel,
An das zu denken mich schon beben macht.
Du hast belebt mir das gesunkne Wollen,
Hast meines Herzens schlaffgewordne Saiten
Durchrauscht aufs neu mit mächtigem Accord
Und heute noch, wenn voll Ergriffenheit
In Thränen ich verstumme, schlägst du selbst
Die Saiten an mit deinen Sternenschwingen!
Du lehrtest kennen mich des Weges Ziel,
Du rütteltest mich auf, wenn ich die Tage
In leerem Schmerz unthätig ließ verrinnen.
Du zeigtest mir, daß jener weiche Sang,
Von dem die Kehle bebt der Nachtigall,
Die Schwester meiner träumerischen Lieder,
Und daß mein Geist, der Funke voller Glut,
Ein Teil der ganzen mächtigen Natur ist,
Die selbst in ihrer immer neuen Wandlung
Der Abglanz ist vom ewigen Gottesantlitz!
Du lehrtest mich, daß all die Wälder, Wasser,
Die Berge in des Herbstes buntem Schmuck,
Des Himmels Wölbung, reich von Sternen schimmernd,
Ob heiter oder aufgewühlt vom Sturme,
Ein kostbarer Besitz sind meiner Seele,
In dessen schauergroße Symphonie
Ich mischen darf der Lieder Lust und Leid!
Du wehst durch mich, ob mir die Freude gütig
Des Lebens Dornen mit der Sehnsucht Epheu
Und mit der Liebe Rosen, hold durchflicht,
Ob mich die Trauer in die offnen Arme
Empfängt mit einem Kranz von herbem Wermut
Und Gift mir in des Herzens Wunden träufelt.
Nach dir hin wendet immer sich mein Lied,
Du steh bei mir im Mißgeschick des Lebens
Und drück' im Sterben mir das Auge zu,
Und über meinem Grab, mag auch gestürzt sein
Der Stein, der mein Gedächtnis soll verkünden,
Und ganz verwischt, was Freundeshand drauf schrieb,
Du schütte Rosen auf die dunklen Trümmer
Und winde Epheu um den armen Stein,
Und in den Dämmer an der Kirchhofsmauer
Setz' eine ganze Schar von Nachtigallen,
Daß sie auch dann mit ihrem süßen Lied
Im Sehnsuchtslaut zu meiner Seele sprechen!


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