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Die Prüfung Wiswamitras

Voll Güte war der König Wiswamitra,
Voll Mitleid und voll Rücksicht, keinem Käfer
Tat je ein Leid er an und keiner Blume,
Geschweige einem Menschen – doch was half's?
Ein böses Schicksal schwebte über ihm
Geheimnisvoll, daß all sein Tun und Trachten,
Wie gut es war, vom Volk ward mißverstanden,
Daß es den Guten schalt einen Tyrannen,
Den liebereichen einen schlau'n Despoten,
Den mitleidsvollen einen niedern Heuchler.
Doch nicht sein Volk nur, seine eigne Gattin
Vertraute seinem treuen Sinne nicht,
Verfolgte ihn mit schmählichem Verdacht,
Obgleich er keusch war wie die Lotosblume,
Die fern vom Ufer blüht im Grund des Wassers.
Verräter hieß sie ihn, obgleich er alles
Für sie zu tun bereit war und herbeitrug,
Was seines Reiches Fülle bieten konnte.
Umsonst. In ihren Augen war er untreu,
Wie oft die Tränen aus den seinen stürzten.

Und drum befiel ihn eine böse Trauer,
Er quälte schwer sich ab und fand nicht Ruhe.
Auf seinem Lager wälzt' er schlaflos sich
Und prüfte sein Gewissen streng und hart,
Doch fand er nichts. Und dennoch blieb das Volk
Und blieb die Gattin bei der üblen Rede.
Und unter dieser unverdienten Kränkung
Schwand Wiswamitra hin wie Laub im Herbst,
Und durch die Gärten seines Prunkpalastes,
Durch seine Hallen schlich er wie ein Schatten.
Da kam zu ihm der weise Narada,
Der würdige Brahmane weißen Barts,
Der tief im Urwald lebt als Einsiedler.
Ein weiser Mann, sah er des Königs Trauer.
Gehört nur wenige Worte seiner Beichte,
Kreuzte auf seiner Brust er still die Arme,
Verneigte sich und sprach zum König also:

»Mein guter König, höre meinen Rat.
Wandte dein Wesen, und der Sieg ist dein.
Sei hart gegen die Menschen, stoß den Bettler,
Der eitrig deine Straße kreuzt, zur Seite
Und fahre mit den Speichen deines Wagens
Über die Leiber deiner Knechte weg,
Die in den Staub sich neigen, und verschließe
Die Hand den Waisen, sei denn der Tyrann,
Den sie dich schelten, sei der Heuchler nicht nur
Vor deinem Volk, vor deiner Gattin auch,
Wenn sie's so wollen. Tausend Bajaderen
Laß dich umlagern, denn du darfst's, der König!
Wo eine Blüte steht, rauf wild sie aus,
Wo jemand leidet, tritt ihn in den Tod.
Und unter deiner Elefanten Füße
Wirf Unschuldige hin, je mehr, so besser –
Und glaube mir, in kurzem fliegt durchs Land
Das Rauschen deines Ruhms: Der große König!
Der Schrecken grinst auf seines Schrittes Spuren,
Es sitzt der Tod in allen seinen Gesten
Und in der Hand sitzt drohend ihm die Macht! –
Und auf die Knie dann sinken sie vor dir,
Wo immer nur dein Palankin sich zeigt,
Und deine Gattin wird auf ihrem Lager
Den königlichen Tiger froh begrüßen.
So halt es, und du wirst zufrieden sein –
Dies ist mein Rat!«

                Schon wollt' er Abschied nehmen
Und blickte auf der Schwelle noch zurück
Nach seinem König. Der saß tiefgebeugt
So wie ein Sünder, der zu schwerst gefehlt
Und über seine Wangen in den Bart
Flossen die Tränen und die Lippen bebten.

»Ich danke dir, mein guter Narada,
Den Rat hat dir Erfahrung eingegeben
Und Menschenkenntnis, er ist wohlbegründet
Und führte auch zum Ziele – doch vergib mir,
Ich kann kein andrer werden, als ich bin.
Ich dulde lieber alles Mißverstehen
Von Volk und Weib; in Leiden will ich lieber
Das Grab erwarten, vor der Zeit ergraut,
Als böse sein, der ich im Herzen gut.
Ich bring es nicht zuwege, und verzeih mir,
Daß ich mich überhaupt beklagen konnte.
Es soll ein jeder tragen sein Geschick,
Wenn er sein Wesen nicht verändern kann.«

Schon überschritt die Schwelle Narada,
Doch als er so in Tränen sah den König,
Wandt' er zurück sich. Seine Stimme bebte:
»Ich hab' dich schlecht beraten, ich seh's ein!
So leide weiter, aber bleibe gut,
Das ist das Höchste; glücklich wirst du sein
In deinem Unglück ...«

                Ihm zu Füßen sank er
Und beide Alten weinten miteinander ...


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