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Die Flagellanten

»Die Welt ist alt, dein Reich, o Herr, muß tagen,
Die Welt geht unter wie ein morscher Kahn,
Vergebens wurdest du ans Kreuz geschlagen
Und mit dem Ölzweig will kein Vogel nahn!

Wir sind verdammt, verflucht und wir gehören
Von der Geburt dem Satan schon als Raub,
Wie Schenkenlärm schallt rings ein Schmähn, Empören
Und deines Tempels Vorhang liegt im Staub.

Nur wenige sind berufen als die Deinen,
Die wissen, daß das Ende nahe schon,
In Asche neigen wir uns tief und weinen –
Wir wenige – die Verdammten Legion!

Wo, Herr, sind deine Engel? Vor der Schande
Der Welt verbergen sie ihr Haupt in Leid,
Ein Säufer ist die Welt, der schwankt zum Rande,
Ein Spieler, der verspielt die Ewigkeit.

Wer denkt noch des, was du an Qual gelitten
Auf Oliveta jenen düstern Tag?
Wer folgt noch auf dem Kreuzweg deinen Schritten
Und fühlt mit dir des bangen Herzens Schlag?

Verdammt sind heut die Priester am Altare,
Verdammt die Richter, streng und hochgelehrt,
Verdammt, was geht und steht, ob's die Tiare,
Ob es die Krone als das Höchste ehrt.

Verdammt sind, deren Fuß, vom Stolz gehoben,
Dem Volke grausam auf dem Nacken ruht,
Der Unterdrückten Seufzer fliegt nach oben,
Und teilt die Hostie man, so giebt sie Blut.

Verdammt ist alles, Banner und Patenen,
Das Kruzifix und in dem Kelch der Wein,
Verdammt im stillen Dom Gebet und Thränen,
Der Glocke Ton, der jubelnd klingt darein.

Zu Ende geht's. Das Grab der Welt ist offen,
Des Papstes Thron wankt vor des Sturmes Wucht,
Die ältsten Reiche sind vom Tod getroffen
Und leerer Schall sind Ehre, Tugend, Zucht.

O sauset nieder, unsrer Geißeln Hiebe,
Und treffet Schulter, Nacken, Hüfte, Brust,
Ihr Jäger aller sündig bösen Triebe,
Die stetig auf uns lauern in dem Dust.

O sauset nieder, netzt den Leib mit Blute,
Die Engel wohnen in der Geißeln Schlag,
Daß Gottes Gnade, die unendlich gute,
In alle Herzen sich ergießen mag.

O saust in das Geschrei, den Sang der Psalmen,
Je stärker, desto mehr der Seele Trost,
Aus unsrer Pein erwachsen uns die Palmen,
Die kühlen, was im Herzen glühend tost.

O sauset nieder, Thau ist euer Sausen,
Es ist das Fegefeuer, lodernd hell,
Ein jeder Hieb stumpft ab des Todes Grausen
Und führt uns an des Paradieses Quell.

Rinn, schwarzes Blut, den Leib herab in Bächen,
Du sündig Fleisch, in Fetzen brenne heiß,
Der Seele enger Käfig muß zerbrechen,
Und in den Wunden wohne das Geschmeiß.

Christus litt mehr! Schlagt und mit lautem Schalle
Erfüllet gegen Gott des Dankes Pflicht,
Dem Tuche der Veronika gleicht alle,
O schlaget, schlaget – doch es schmerzt ja nicht!

Dir Preis, o Herr, wir feiern dich mit Zagen,
Die Welt ist morsch wie ein verfaulter Kahn,
Sieh dieses Blut aus unserm Leib geschlagen –
Wird nun der Vogel mit dem Ölzweig nahn?«

*

So sang ein Zug von Männern, Kindern, Weibern,
Ein düstrer Zug, er ging zur Stadt hinein,
Mit Geißeln alle und entblößten Leibern
Und schlugen wo sie gingen, auf sich ein.

Und Lichter flammten und es schollen Glocken,
Vom roten Blute ward der Weg genetzt;
Am Thor des Dom's sahn alte Frau'n erschrocken
Den finstern Zug und starrten tief entsetzt.

Der Priester sah sie und verlor die Worte,
Es sah sie der Primator schreckensbang,
Es barg sich hinter seines Hauses Pforte
Der Bürger klug, allein der Chorus klang

Im Klageton durch Fenster und durch Wände:
»O Herr, die Welt ist wie ein morscher Kahn,
Wir sind verdammt, es naht das Ende, Ende,
Und mit dem Ölzweig will kein Vogel nahn.«

So klang es auf dem Markt, in Höfen, Hallen,
Und Seufzen, Schrei'n und Geißelschlag darein:
»Dein Reich ist nah, die alte Welt muß fallen –«
Und neue Wunden, neues Seufzen, Schrei'n.

Wer gläubig war, der nahm bei dieser Weise
Die Bibel, die Postille schnell zur Hand,
Es klang der Sang, er saß und seufzte leise:
Die alte Welt steht an des Grabes Rand.

Manch' einer, der dem Glauben lang entflohen,
Und in der Schenke bange sich verkroch,
So seltsam faßte ihn des Liedes Drohen, –
Er glaubte nicht, allein er bebte doch!

Die Schenke lag vereinsamt und verlassen,
Wo war die Maid, geneckt so manchen Tag?
Die Psalmen nur erklangen auf den Gassen
Und immer stärker fiel der Geißeln Schlag.

»Verdammt ist alles! Was dich tränk' und atze,
Dein Brot, dein Wein, bei jedem Mahl und Schmaus –
Aus deinem Lachen grinst des Satans Fratze,
Und dein Gehirn ist seiner Sippe Haus.

»O sauset nieder, Hiebe, sonder Schonung,
Je heftiger die scharfe Geißel schlägt,
So milder Gott in seiner Himmelswohnung,
Er öffnet uns die Wunden, die er trägt.

»Und unser Blut wird sich mit seinem mengen,
Und in dem Blute wäscht die Welt sich rein,
Und, eine Taube, fliegt aus düstern Engen,
Sie wieder auf zu Luft und Sonnenschein!«

Und bald sieh auf dem Markte sich entfalten
Den ganzen Zug bei düst'rer Fackeln Glut,
Vergebens suchen sie zurückzuhalten
Des Ortes Söldner, stärker ist die Flut.

Von einem Fasse ruft ein Mönch hernieder:
»Auf, in den Staub und in die Kniee fallt!«
Bloß bis zum Gürtel, geißelt seine Glieder
Er mitleidslos, bis Blut herunterwallt.

Die Hand, die sonst den Hammer mächtig führte,
Reißt nun vom Leib den letzten Fetzen Kleid,
Die leitete den Pflug, die Ruder rührte –
In Thränen steht der Henker selbst beiseit.

Die Weiber weinen, fassen wie Verzückte
Die Geißel all und rasend trifft die Schar
Den Busen, den der Brustlatz fast bedrückte,
Und der gewöhnt an süße Seufzer war,

Ja den auch, dran noch erst das Kind gelegen –
Das Blut fließt von den Wunden in den Sand,
An Satans Netz reißt jeder von den Schlägen
Und löscht der Hölle glühend heißen Brand.

Und weinend, seufzend, ziehen durch die Gassen
Der Bürger, Priester, Weib und Kind und Greis
Den Geißlern nach in langem Zug und lassen
Ihr Geld und Gut; wohin sie ziehn, wer weiß?

Und Thränen fließen, mit dem Blut verbündet,
Und hinter ihnen bleiben Städte leer,
Der Occident von düstrer Glut entzündet,
Wird überschwemmt vom Blute rings umher.

Öd' Haus um Haus, kein Fuß betritt die Schwelle,
Die Wiegen leer, des Herdes Feuer tot –
Der Hund hebt auf dem Markte sein Gebelle,
Und nur der Himmel ist so blutig rot.

Und in den Dunst und Rauch tönt lautes Klagen
Und schaurig hallt's, ein heulender Orkan:
»Die Welt ist alt, dein Reich, o Herr, muß tagen,
Und mit dem Ölzweig will kein Vogel nahn!«


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