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Giotto und die Seele

Als Abends einst in seiner Werkstatt Giotto
Stillträumend saß, erfüllt vom Trieb des Bilderns,
Dacht' er bei sich: Wie mal' ich wohl die Seele?
So saß er dort, die Nacht brach tief herein.
Die Gassen waren ruhig, auf den Dächern
Und Kuppeln spiegelte der Sterne Glanz.
Und Giotto träumte fort und dachte immer:
Wie könnte ich die Menschenseele malen?
Da schien es ihm, als ob ein leichtes Klopfen
Vernehmbar sei an seiner Werkstatt Thüre,
So leicht als klopfte eines Kindes Finger,
Oder ein Mädchen, dessen scheue Schritte
Halb Neugier lenkt und halb die erste Liebe.
Und Giotto kam's mit einem Mal in Sinn,
Die Seele selber käme her zu ihm,
Daß er sie male – und das leichte Klopfen
Klang auf dem Flur, wie eines Vogels Schnabel,
Der in des Winters Frost ans Fenster pickt,
Und Giotto lächelte in seinem Träumen.
Doch das Behagen und die Ruh des Traumes
Umschmiegten so sein Sinnen und den Körper,
Der von des Tages Werk ermüdet war,
Daß er nicht aufstand und nur lächelte,
Bewußt, der Gast käm' schon ein andermal.
Und horch, zum drittenmal erklang das Klopfen,
Und schwächer wieder, gleich der goldnen Fliege,
Die leicht im Flug der Winde Glocke rührt.
Er stand nicht auf und träumte, bis er einschlief.
Doch morgens fühlt' er gar so leer sein Herz,
Entsann sich seines Plans und wollte wieder
Die Seele malen – doch der Kopf blieb wüst.
Er wartete viel lange, lange Nächte,
Doch niemand kam und klopfte an die Thüre.
Die Gassen waren ruhig, auf den Dächern
Und Kuppeln spiegelte der Sterne Glanz
Und unser Giotto ach, verging vor Sehnsucht.

Du, der du denkst und sinnst und suchst die Schönheit,
Weißt du, warum dies Märchen ich erzählt?


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