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Die Laterne des Diogenes

An meinem Lager, schwand des Tages Strahl,
Steht manches Mal ein Greis, gebückt und kahl.
In seiner Hand bebt der Laterne Licht,
Er reicht sie mir und lacht dazu und spricht:
»Du suchst die Wahrheit? Nimm die Leuchte hier,
Und du siehst welk der Blüten reiche Zier,
Du siehst der Dinge Kern in ihrem Schein,
Durchs Lächeln in der Herzen Arg hinein,
Siehst kalt die Seele, die das Aug' erhellt.
Ein kahler Felsen wird dir sein die Welt,
In jeder Wiege schaust den Sarg du schon;
Des Waldes Brausen und der Vögel Ton
Wird dir zum Lied vom Bösen und von Qual.
Doch Wahrheit hast du! Der Begeistrung Strahl
Wird zu Gewinnsucht, Geisteswerk zu nichts,
Nun nimm die Leuchte, freue dich des Lichts!«

Ich schweige, doch mein Engel, der das Glück
Des Herzens schützt, giebt dies für mich zurück:

»Geh alter Thor! deine Laterne lügt!
Der Staub, den Jahre an das Glas gefügt,
Hat blind gemacht die Scheiben. Irr' ich auch,
So bringt der Irrtum mir des Glückes Hauch.
Und hätt' ich, wünschend, daß mir Wahrheit frommt,
Das Licht genommen, draus die Wahrheit kommt,
Dich hätt' ich mir zuerst dabei beschaut!«

Und er verschwindet. Rings umher kein Laut.


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