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Erzählende Gedichte.

Harut und Marut

Als schon die Macht des Salomo das Reich der Djins umspannte,
Am Himmel er der Sterne Zahl, der Meere Tiefen kannte,
Da raunte Sabas Königin, eh' sie besiegt, die Reise
Begann zurück ins Vaterland, ihm in die Ohren leise:

»Du kennst, mein König, alles schon! Den Himmel und die Hölle,
Und nur den Baum des Lebens nicht. Auf Babels Schuttgerölle,
Dort steht er, zwei der Engel sind in ihn gebannt, die geben
Dir Kunde, was die Quelle ist und was das Ziel vom Leben.

»Der eine ist in Nacht gehüllt und führt den Namen Harut,
Der andre strahlt in hellem Licht, das ist sein Bruder Marut.
Die beiden standen Gott zunächst, als er die Welten baute,
Dem Lehm, draus er den Menschen schuf, des Lebens Hauch vertraute.

»Der Mensch, so wollte Gott zuerst, sollt' auf zum Höchsten steigen,
Und alle Wesen sollten sich vor seiner Größe neigen,
Des Ew'gen Erbe sein und Sohn und ihm zunächst an Gaben,
Die Sonne als sein Diadem, den Mond zum Schemel haben.

»Und in den Lehm blies Gott der Herr, da kam in ihn Bewegung,
Im niedern Staube rief empor sein Hauch der Liebe Regung,
Und zu den Geistern sprach der Herr: ›Mein Hauptwerk will ich machen‹.
Doch Harut hob und Marut an ein ungestümes Lachen.

»Als Jahve blies, blies Harut auch und Marut haucht' dazwischen,
Und ihrem Neiderhauch gelang's, den Urplan zu verwischen,
Der Mensch erstand in seiner Kraft und Schönheit – nicht der ganze,
Halb Stoff, gefesselt alle Zeit, halb Seraph, hehr im Glanze.

»Da fuhr im Zorne Gott empor, weil er beim höchsten Werke
Gestört von bösen Iblis ward, gehemmt ward seine Stärke,
Er zwang sie nieder in den Baum, in dessen Näh' erschlagen
Den Abel Kain und Babel stand in spätrer Zukunft Tagen.

»Wie ich gesagt, kennst alles du, bist groß und bist der Weise.
Wie um den Mond in stiller Nacht die Sterne ziehn die Kreise,
So neigen sich die Völker dir ringsum in weiter Runde,
Nur von den beiden Engeln fehlt bis heute dir die Kunde.«

So sprach sie und zog fort im Zug der Mäuler und Kamele.
Der König blieb, den Sinn entflammt und voll des Leids die Seele.
Ihn freute nicht sein Scepter mehr, des Tempelbaus Gepränge,
Die Sprüche der Propheten nicht, nicht seiner Spieler Klänge.

Der Weinberg freute ihn nicht mehr, wo bei des Mondlichts Fluten
Er traf die dunkle Sulamith in heißen Liebesgluten,
Die goldnen Hallen mocht' er nicht, der Cedern Prachtpaläste,
Ägyptens Tänzerinnen nicht, die hüllenlos beim Feste.

Und Banaj rief er zu sich her im ersten Abendgrauen
Und überließ ihm Stadt und Reich mit fürstlichem Vertrauen,
Nicht wissen sollte wer, daß fort im härenen Gewande
Nach Babel hin der König zog durch weite, wüste Lande;

Daß einsam er von Dorf zu Stadt im Bettlerkleide wallte
Und als ein Fremder schüchtern frug, ob recht den Weg er halte,
Bis dem Ermatteten zuletzt der Wallfahrt Ziel erschienen
Und er im Schutt sich dehnen sah der Babelstadt Ruinen.

Ein Riesenturm in Trümmern zog sich hin mit dunklen Mauern,
Da spielte mit dem Gras der Wind und seufzte aus sein Trauern,
Ein Feigenbaum verkrüppelt stand, entfernt auf Steinwurfweite,
Von dem sich streckte das Geäst gleich Armen in die Breite.

In diesen Baum gen Westen war gebannt der schwarze Harut,
In diesen Baum gen Osten war gebannt der weiße Marut,
Da wohnten sie Jahrhunderte und ließen oft im Schweigen
Der Nacht empor zum Sternenchor die wilden Flüche steigen.

Zum Baum trat hin der Fürst von West, und mit dem Finger sachte
Anklopft' er: »Sieh, ein Fürst bin ich, der her die Reise machte;
Nun, schwarzer Engel, sprich zu mir: Was ist der Quell des Lebens
Und was sein Ziel? Gieb deinen Trunk, daß ich nicht schmacht' vergebens.«

Und aus dem Baume klang's heraus wie banger Seufzer Wehen,
Beginnt die Sichel, blitzend scharf, die Gräser abzumähen:
»Das Nichts ist aller Ziel, die Nacht. Was soll's mit all dem Drange?
Ist eine Rose doch das All, bestimmt zum Untergange!«

Verwundert hörte Salomo die trüben dunkeln Worte,
Dann pocht' er gegen Osten an, wie an verschlossne Pforte,
Er wiederholte, was er bat, und heimlich hört' er schallen
Den Ton so süß und wunderhold, wie Sang der Nachtigallen:

»Zu leben ist des Lebens Zweck, aus Staub und aus Gebeinen
Quillt neu die Ähre und das Gras in heller Sonne Scheinen,
Ein jeder Tag soll froh zur Lust und zum Genuß erglühen,
Ist eine Rose doch das All, bestimmt zu ew'gem Blühen!«

Da stutzte König Salomo und frug vom Westen wieder:
»Wo finde Einklang ich und Ruh', steigt Friede auf mich nieder?« –
Und aus dem Stamme scholl's zurück: »Im Grabe. Dort gewinnen
Wird Ruh' das Leid und dahin auch geht jedes Weisen Sinnen.«

Und auf der andern Seite that der Fürst dieselbe Frage,
Und fröhlich klang die Antwort ihm: »Ficht nur und sei nicht zage,
Der volle Becher lohnt die Müh', sie lohnt des Weibes Schöne,
Bestimmt, daß sie des Strebens Ziel als höchste Zierde kröne.«

Da stutzte König Salomo, erwog der Sprüche jeden:
»Marut ist Tag und Harut Nacht, so deut' ich ihre Reden.
Die beiden sind ein Ganzes erst; vereint giebt beider Walten
Den vollen echten Menschen erst. Den Rat will ich behalten.

»Ja, glüht der Tag in höchster Glut, dann kommt die Nacht gegangen,
Und wenn am reinsten ist die Lust, bricht Leid herein und Bangen,
Des Bechers Grund ist Bitterkeit, wie süß er sich auch nasche,
Verdrossen ist das schönste Weib so fahl und grau wie Asche.

»Und wahrlich, Gott vermochte nicht sein Werk in eins zu enden,
Harut und Marut mußten sein ein Hemmnis seinen Händen,
Denn Harut ist der Mann, der Kampf, Marut das Weib, die Wonne,
Aus beiden treibt des Lebens Kern empor zur hellen Sonne.

»Nicht konnt' in ein Geschöpf der Herr die beiden Kräfte legen,
Denn Harut war im Wege ihm und Marut stand dagegen,
Drum blieb der Mensch ein Bruchstück nur, drum muß er all sein Leben
Die Hälfte, die ihm ward versagt, sich zu gewinnen streben.

»Und beide sprachen Wahrheit mir, der Finstre und der Milde,
Ja, Staub ist all, doch ewig lacht das Glück im Frauenbilde;
Im Grab ist Ruh' und Friede nur, wenn alles Leid durchmessen,
Doch süßer, an des Weibes Brust die Erde zu vergessen.

»Und der nur, welcher beides weiß in eines zu umschließen,
Des Lebens Bitterkeiten kennt, sein Glück weiß zu genießen,
Kniet morgens vor den Göttern fromm und nachts vor seinem Weibe,
Bewußt, daß fern ihm Maruts Spott, der Fluch von Harut bleibe.«

Und wohl gedacht er dieses Rats nach seinem Wiederkehren,
Und höher hielt den Becher er, der Liebsten Reiz in Ehren,
Und da er küßte ihren Leib in sel'gen Glückes Ahnung,
Floß von den Lippen, herb und ernst, des Predigers bittre Mahnung.


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