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Kunst.

Der Aufruhr der Statuen

In seine Werkstatt nah an Mitternacht
Trat ein der Meister, wieder band die Macht
Ihn heute, welche lodernd stets im Hirne
Ihm saß und Furchen grub in seine Stirne,
Doch auch der Seele lieh des Genius Schein.
Selbst frug er sich: Was mag die Kraft wohl sein,
Die mir den Geist mit Adlerschwung bewegt,
Oft traut die Hand mir auf die Schultern legt
Und mehr lockt, als der Anblick holder Frauen?
Gespannt an ihr Gefährt muß ich mich schauen,
Und wo sie will, dahin muß blind ich jagen! –
O, er begriff erst recht an solchen Tagen
Das große Ringen Jakobs mit dem Engel,
Des Geistes Ringen mit dem Stoff voll Mängel,
Wie Licht mit Nacht, Tod mit dem Leben ringt.
Und so, wie wenn ein Stachel treibt und zwingt,
Stand rasch er auf, warf ab das stumpfe Bangen,
Die Sorgen wischt' er von der Stirn, vergangen
War alles Leid und, Sieger in dem Strauß,
Glaubt' er an sich und ging nach Schönheit aus.

So trat er in die Werkstatt. Rings lag dicht
Das Dunkel, nur des Mondes bleiches Licht
Fiel auf den Boden durch des Fensters Bogen,
Erlöschend, wenn vorbei die Wolken flogen.

Rings auf den Sockeln eingehüllt in Linnen,
Bildsäulen in den Ecken, Fenstern drinnen,
Abgüsse zahlreich, die das Licht umschmiegt,
So wie ein Schleier auf der Wiege liegt.
Und eine Wiege ist die Künstlerstätte.
Das Kind hat, der Gedanke, hier sein Bette.
Die Mutter Schönheit reicht die Brust ihm hier.
Wer eintritt, fühlt den warmen Atem schier
Von Schlafenden, ein mystischer Zauber spinnt
Um sie sein Netz. Des Künstlers Räume sind
Die Dome für die Zeit, die nicht mehr glaubt.
Was webt und träumt im Herzen und im Haupt,
Hier lebt es, steigt empor mit Adlerfluge
Und giebt sich kund im Arabeskenzuge,
Wie ihn die Hand gezogen, wissend kaum,
Berauscht vom Ideal, der Schönheit Traum.
Asyle waren sie und sind's geblieben
Für alle Götter, welche man vertrieben,
Wo in der Welt des Leidens, der Gemeinheit,
Der Hauch der Dichtung weht in edler Reinheit.

Hier fühlt' er sich befreit und neubelebt.
Der Traum, nach dem er jahrelang gestrebt,
Stand wieder groß und unerreichbar da,
Wie er in ewiger Schönheit oft ihn sah.
Er lächelte und setzte still sich nieder.

Das Haupt geneigt, gab er die Seele wieder
Dem Sturm preis der Ideen, dem Knaben gleich,
Der schickt den Drachen in der Wolken Reich.
Er glaubte nun an sich und fühlt' es froh.
Die Nacht war still. Da plötzlich war's ihm so
Als ging ein Atem aus von seinen Steinen.
Er sah sich um, und wieder wollt's ihm scheinen,
Es regt sich was, kommt näher – schwerer Traum!
Er will empor, – doch sah er's träumend kaum,
Steht's schon vor ihm lebendig in der Halle,
Und um ihn reihn sich die Gestalten alle.
Was jetzt ihm noch ein Block von Marmor schien,
Stellt sich als Aphrodite hell vor ihn,
Entstiegen so wie einst dem Meeresschoß.
Sinn ringen sich auch andre Bilder los,
Und bald umgiebt im vollen Mondenschein,
Der leuchtend durch das Fenster dringt herein,
Ihn der Olymp mit Göttern und Heroen,
Ob sie mit Schwertern oder Blitzen drohen,
Und Engel und die Heiligen und Propheten,
Madonnen – alle sieht er vor sich treten,
Die hehre Schar, die in der Seel' er trug,
Mit deren Herzensschlag das Herz ihm schlug,
Die Träume, die in Schmerzen er gehegt, –
Sie alle kommen, sammeln sich erregt,
Und rufen, während sie die Hände heben,
Zu ihm empor:

                »Wir wollen, woll'n nicht leben!
Wer gab das Recht dir, in des Schaffens Ringen
Uns aus dem Marmor an das Licht zu zwingen,
Drin wir durch Ewigkeiten still geruht?
Weil's schmeichelt deinem kleinlich stolzen Mut,
Weckt uns dein Meißel – sprich, zu welchem Ende?
Die Zeit, für welche deines Geistes Brände
Erglühn, ist schönheitsfeind und krämerhaft!
O Glückliche, die in der Erde Haft
In Hellas jetzt noch schlafen wohlgebettet,
Und deren Traum der dichte Schutt noch rettet!
Der schwerste Fluch der Hand, die einst sie findet
Und sie dem Lichte dieser Zeit verbindet!
Denn diese Zeit ist niedrig, roh und stumpf.
Nicht Götter kennt sie, ehrt nur Götzen dumpf,
Kniet vor dem Mammon, und der Schönheit speit
Ins hehre Antlitz sie; voll Nüchternheit
Sieht sie den Gott im Bild und im Gedichte!
O dreimal benedeit, die ihr zunichte
Geschmettert wurdet im Getos der Schlachten,
Daß ihr entgingt des Krämervolks Verachten,
Und nicht olympische Schönheit müsset zeigen
Auf offnem Markt zur Lust dem niedern Reigen.
Ihr glücklich auch, die ruhen noch im Haupt,
So lange euch der Schlummer nicht geraubt.
O wehe, wenn die Hand den Meißel hebt!
Was läßt du uns im Stein nicht unbelebt
Durch alle Zeit? Was zwingst du uns zum Leben?
Was drängt dich, preis der kalten Welt zu geben
Die Reinheit, die gehegt im Herzen du?
Fremd ist uns diese Welt – o gönn' uns Ruh! –
Wohl war's einmal, daß ohne Widerstreben
Gestalten traten aus dem Stein ins Leben,
Wo sie den Meistern in die Arme sanken,
Wie er sie trug im innersten Gedanken,
Wo die Madonnen sich enthüllt den Meistern,
Selbst kamen als Modell, sie zu begeistern.
Doch andre Leute lebten – diese Masse
Kennt Schönheit nicht, der Auswurf ist's der Gasse,
Nur nach Gewinn geht ihr unsinnig Streben,
Gönn' uns die Ruh, wir wollen, woll'n nicht leben!«

Wie Wogen brausen auf dem wilden Meer,
Wenn aus dem Winternebel sich umher
Gestalten ballen und der Sonne Licht
Gedämpft und trübe wie durch Thränen bricht,
Und wie bei vielen Klängen aus dem Chor,
Drin alle tönen, einer dringt hervor;
So klang es um den Bildner rings herum
Und aus Geflüster, Rufen und Gesumm
Drang eine Bitte, klagend fast, mit Beben:
»Gönn' uns die Ruh, wir wollen, woll'n nicht leben!«

So wie der Urwald, wenn der Wind, der schlief,
Nun plötzlich wach geworden, atmet tief,
Mit dem Geäst der Buchen, Birken, Föhren
Erst flüstert, dann, gewaltig anzuhören,
Errauscht, und mit im allgemeinen Tone
Die Ähre singt, der Lärchen dunkle Krone,
Und rings ein Brausen, Sausen, Seufzen bang,
Bis plötzlich hohl, wie der Trompete Klang,
Ein Laut sich über alle will erheben,
So klingt's im Sturm: »Wir wollen, woll'n nicht leben!«

Und eine Stimme spricht: »Kurz ist die Zeit,
Der Frauen Arme so voll Süßigkeit,
Laß deine unfruchtbaren Träume fahren!
Genieß die Jugend, so von Mädchenhaaren
Ein goldnes Netz die Stirn dir noch umflicht –
Du Thor, du suchst wohl größre Schönheit nicht
Und größres Glück als in des Weibes Minnen?«
Ein Zweiter: »Vor der Wirklichkeit zerrinnen
Muß deine Welt, o höre guten Rat:
Geh der Alltäglichkeit gepries'nen Pfad,
Der gar bequem und breit und ausgefahren.
So wirst du stets dich vor dem Neid bewahren,
Es treten Hohn und Spott dir nicht entgegen.
Auf deine Seele wird der Staub sich legen,
Dann bist du ihnen gleich, bist wohlgelitten,
Des Ideales Netz ist durchgeschnitten,
Du bist ein Bürger, brav – und das genügt
Dem Alltag, dem sich alle Welt jetzt fügt.
Das geben wir dir alles, laß uns ruhn,
Stör' uns nicht auf mit ungestümem Thun,
Wend ab von uns der Menge Blick, ihr Kritteln
Und ihr Geschwätze, das sie Ruhm betiteln.
Und willst du nicht – wir hindern's mit Gewalt!« –

Und Lärm erhebt sich, der wie Donner hallt.
Den Meister faßt ein ungeheurer Schrecken,
Denn hundert Arme sieht nach sich er strecken
Und hundert heben drohend auf die Hand,
Zu Furien sind die Götter jetzt entbrannt.
Er fühlt, wie ihre Arme ihn umschlingen,
Die eignen Träume schwer ihn niederzwingen –
Da steigt sein Zorn, die Kraft wird aufgeschüttelt
In ihm, dem Leu gleich, der die Mähne schüttelt,
Und dröhnend ruft er aus: »Ihr müsset leben!
Ich will es so. Ihr, die ihr tobend eben
Als Chaos mich umdrängt, als Sturmeswelle,
Ihr werdet Ruhe sein und frohe Helle,
In der erhaben meine Venus ragt.
Sagt, hat einst Gott in grauer Zeit gefragt,
Als er dem Stoffe seinen Hauch gegeben:
Sprich, Sklave, willst du auch erstehn zum Leben?
Bedachte er der spätern Leiden Brand?
Auch ich bin Schöpfer, mit des Schicksals Hand
Fass' ich euch, werf' euch in der Schönheit Essen,
Und eben, weil mir Tod ist zugemessen,
Müßt ihr für alle künft'gen Zeiten dauern!
Mein Leben für das eure!«

                An den Mauern
Brach wieder sich der trotzigen Stimmen Klang,
Der Zorn der Helden, die nun ewig lang
Paläste sollen und die Gärten hüten,
Der Zorn der Karyatiden, die im Wüten
Schon sinnen, wie der Lasten müd, zu Thale
Sie werfen all die Giebel und Portale,
Der Zorn der Götter, daß die freche Menge
Mit gierigem Blick an ihren Leib sich dränge,
Den reinen Leib. Die Flut des Zornes schwoll.

Durchs Fenster drang das Frührot wundervoll,
Als von dem Kampf mit seines Geists Gestalten
Der Meister auffuhr – rings der Stille Walten,
Wie's herrschte, als er heimgekehrt zur Nacht.
Der letzte Schritt der Nacht verlor sich sacht,
Ein frischer Wind durchwanderte die Gassen
Und freute sich, die Äste derb zu fassen,
Und aufzutreiben keck des Stromes Wogen.
Und er, der rang, fand wieder sich durchzogen
Vom Selbstvertraun – da draußen die Bewegung,
Die Skizzen hier, sie weckten neue Regung
Und frische Kraft, die Kraft, die nie versiegt,
Wie sehr der Zeiten Mißgunst sie bekriegt,
Die Kraft, der nie der Alltag nimmt die Stärke,
Und die nur eine Antwort giebt:

                Zum Werke!


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