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Felice Boni

Geht ihr den steilen Fußweg von Marano,
Wo der Panaro sich durch Felsen windet,
Darüber ragt das Kahlhaupt des Cimone,
Der Wolken Kleid zerreißend – haltet ein.
Und sprießet in der Brust euch noch die Blume
Des Mitgefühls, die Thränen hat als Thau
Und in die Seele gießt geheimen Duft:
Dann steigt den steilen, steinigen Abhang nieder,
Vom Wildbach aufgewühlt, dem wilden Kind
Der Frühlingswetter, nehmt als Halt die Wurzeln;
Dann in der Sonne aufwärts, bis wo still
Ein kleiner Kirchhof auf der Eb'ne liegt,
So wie ein Blümlein auf der flachen Hand.
Dort an der Mauer, unter einer Pinie,
Stoßt auf ein Grab ihr, jetzt wohl gleich dem Boden,
Seht ihr ein Kreuz, vom Sturmwind wohl gestürzt,
Drauf eine Inschrift, wohl schon blaß vom Regen.
Dort setzt euch, wischt den Schweiß euch von der Stirne,
Und öffnet fromm dem Frieden, der von hier
Ringsum hinausströmt wie ein mächtiger Fluß,
Das Herz, vergiftet von des Lebens Zwist.
Hier ist sein Quell, nun atmet auf recht tief,
Und in der Weiden und Oliven Schatten,
Die hier den stillen Traum der Toten hüten,
Erzähl' ich euch, warum hieher mein Lied
Euch hat geführt den steilen, steinigen Abhang
Bis an dies Grab ...

                Der in ihm schlummert, war
Ein alter Narr und hieß Felice Boni,
Der Kinder Liebling, und des Spottes Ziel
Den Größeren. Im Sommer und im Winter
Saß tagelang er auf dem Damm der Mühle
Mit kahlem Schädel in der heißen Sonne.
Stets barfuß war er, aber rein sein Kleid,
Ja fast gepflegt mit komischer Sorgsamkeit.
Stets saß er auf demselben Platz, sang leise,
Und Gott weiß, was. Nie bettelt' er, nur leicht,
Ging jemand in das Dorf an ihm vorbei,
Hob er den Kopf und wandte auf den Wandrer
Die großen grauen Augen, sinnend, träumend,
Und lächelte ganz stille vor sich hin.
Und jeder ließ – warf er ein Spottwort auch
Ihm erst entgegen – blühn in sich die Blume
Des Mitgefühls, die Thränen hat als Thau
Und mit geheimem Duft beglückt die Seele.

Froh war er stets, ihm lieb vor allem Kinder.
»Sieh da, der gute Narr!« so riefen sie ihn,
Weil er der Wächter Hiebe einst ertragen,
Um Kirschen, Beeren, Pfirsiche und Mispeln
Zu reißen und den Kindern auszuteilen.
Bekam er einen Heller, schüttelte
Den Kopf er, wandte hin und her das Geldstück
Und näht' es mürrisch in die Weste ein.
Doch wenn ein Landmann, der vom Felde eilte,
Im Arm trug eine saftige Melone,
Hier hielt, ein Stückchen abschnitt und ihm's gab –
Dann lachte Freund Felice wie ein Kind,
Und gierig hackt' er gleich die Zähne ein
Tief in den kühlen Karneol, darin
Die Kerne so wie weiße Perlen lagen,
Daß ihm der Saft über die Hände floß.
Dann lachte laut er auf und jauchzte hell. –
Wie oft hab' ich den alten Mann beneidet,
Der in der Sonne saß sein ganzes Leben,
Nichts wußte von der Menschen bittrer Not,
Vom öden Heut', vom grauenvollen Morgen!
Dort saß er, sah mit klarem Auge auf
Zur Sonne, zu des Himmels weiter Kuppel,
Sah nieder auf den Fluß, die fernen Berge,
Und etwas glühte, wie des Lichtes Abglanz,
In seinen Augen.

                Abend war's im Herbst.
Die Gegend hallte von Musik und Schüssen,
Von Sang und Tanz. Der erste Abend war's
Der Lese. O du großer Dionysos!
Ich weiß nicht, wo dein Grab ist, doch ich weiß,
Lang stiegst du draus, in Frohsinn umgewandelt,
Der aus den Seelen, Bechern, Augen lodert.
Sieh Körbe, voll mit Trauben, noch ganz frisch
Und doch so voll, so golden, bläulich duftig,
Im Lichte purpurn spielend, voll des Thau's,
Wie einer Maid noch ungeküßte Wange.
Auf steilen Leitern reihn sich wie im Tanze
Zu zwei und zwei die Bursche und die Mädchen;
Jetzt stellt den vollen Korb sie auf den Kopf
Dem Burschen, jetzt giebt er ihn leer zurück.
Und das geschieht so eilig, daß das Aug' nur
Die braunen Arme in Bewegung sieht.
Wo kam nur her der alte Pifferaro?
Das weiß kein Mensch, doch jeder sieht ihn gern.
Die Weinberghüter werfen übern Kopf
Tierhäute mit den Hörnern und sie schrecken
Die Mädchen und den fremden Eindringling,
In vielem gleich den Satyrn. Endlos Lachen,
Das Lied klingt in des Dudelsacks, der Pfeife
Tanzfrohen Takt, und wenn gefüllt die Körbe,
Dann krönt ein allgemeiner Tanz das Werk.

An diesem Tag wie immer saß nun Boni
Auf seinem Mühlendamm. Er lächelte,
Als teilt' er auch der Lese Lustbarkeit.
Da kam von ferne her zu ihm ein Zug.
Hoch auf den Köpfen Körbe voll von Trauben,
So gingen traut umschlungen Bursch und Mädchen,
Des Weines Hüter dann in der Vermummung.
»Der gute Narr! Seht, Boni! Er soll mit uns!
Nur er kann König unsres Weinfests sein!«
So scholl ein Ruf, und gleich rief's auch die Menge.
Allein der gute Boni rührt' sich nicht,
Er sah nach Westen, in den Zug der Wolken
Und lächelte.

                »Da hast du Trauben, Boni,
Komm' mit uns!« schrien sie, und in den Schoß
Flog ihm ein Traubenregen. Er blieb still,
Er zuckte nicht und sah nur fort nach Westen.

»Er will nicht gehn! So wollen wir ihn tragen!«
Sie stießen ihn, sie rissen, zogen an ihm –
Er aber rührte sich nicht, lächelte
Und sah nur nach der Rosenwolken Zug.

»Wir scheuchen ihn schon auf!« rief einer da.
Gleich sprangen fünf von ihnen auf die Schleuse,
Und blitzgleich schoß die Wassermasse nieder
Hin übern Damm, wo unser Boni saß.
Kein Aufschrei – auf den Wellen glänzte nur
Für einen Augenblick sein kahler Schädel.
Das Wasser toste laut und kochte wild
In seinem Bett – und längs des Ufers standen
Mit angehalt'nem Atem, tief erschrocken
Und wie vom Blitz gelähmt, die Übermüt'gen.
Heut war's vorbei mit Tanz und mit Gesang.

Sie fanden ihn, sein Angesicht war ruhig,
So lächelnd, wie nach Westen er geschaut ...
Und diesem Narren, der hier ward gebettet,
Schrieb ich aufs Kreuz mit ungeübter Hand:
»Hier liegt und ruht in Gott Felice Boni,
Für seine Seele bete einen Spruch,
Wer hier vorbeigeht!« ... Darum führt' ich euch
Mit meinem Lied auf steinig steilem Abhang
Zu dieser Eb'ne mit dem kleinen Kirchhof;
Der liegt, so wie ein Blümlein auf der Hand
Und wollte nur, es blüh' in euch die Blume
Des Mitgefühls, die Thränen hat als Thau
Und mit geheimem Duft beglückt die Seele.


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