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Faustulus

Der Sohn von Faust und Gretchen kam im Verließ zur Welt,
Der Mutter Pein und Jammer hat ihn zuerst umgellt.

Alt war er einen Monat, als sie gerichtet ward,
Der Kerkermeister nahm sich das Knäblein schwach und zart.

Er nahm's zu sich aus Mitleid! er hat sie wohl gekannt,
War hoffnungslos in Liebe zu Gretchen einst entbrannt.

So zog er auf nach Kräften das Knäblein elternlos,
Und wie die Blum' im Treibhaus, so wuchs es und ward groß.

Es hatte seiner Mutter rehäugig sanften Blick,
Doch auch das Kinn des Vaters, streng trotzend dem Geschick.

Des Vaters kühnes Trachten nach hohem Himmelsflug,
Doch auch der Mutter Weichheit, den trauten Heimatszug,

Des Vaters schlimme Nächte, der Träume wilden Drang,
Der Mutter stille Tage, ertönend von Gesang.

So zog der Kerkermeister es auf, als wär' es sein,
Doch starb er, und der Knabe war wiederum allein.

Nun fiel er der Gemeinde zur Last. Und man fing dann
In der Gemeinde Diensten ihn zu verwenden an.

Bei Hochzeit und Begräbnis gab's viel für ihn zu thun,
Und immer mußt' er eilen und niemals durft er ruhn.

Er war ein stilles Menschlein, war seelengut dabei
Und trug fürs allgemeine getrost die Plackerei.

In seinem Werktagshasten blieb die Musik ihm nur,
Die in die dunkle Seele ihm goß des Lichtes Spur.

Ihr klang die Saite wieder, die schon für tot er hielt,
Ob er zu Haus die Flöte, im Dom die Orgel spielt.

Still blieb er im Geburtsort, gebückt, gealtert ganz,
Nur in den blauen Augen glomm früh'rer Tage Glanz.

Nur manchmal wie ein Sturmwind ergriff ihn heißer Drang.
Hinaus! Empor vom Staube! da hört er seltnen Klang.

Der Wälder Brausen hört' er, der Sphären hehr Gedicht,
Und stark ertrug sein Auge der Mittagssonne Licht.

In solchen Augenblicken da griff er mit der Hand
Nur in die Luft, das Fühlen, das seltsame, verschwand.

Die Stirn bekreuzt' er leise und sprach ein still Gebet,
Und Klänge und Gestalten, sie waren weggeweht. – –

Doch einmal in dem Dome, da griff's ihm an die Brust.
Er spielte grad die Orgel, und Sonntag war es just.

Der Ostersonntag war es, von Traum und Klang erfüllt,
Der Tag, an dem der Erdgeist dem Vater sich enthüllt.

Und nach dem Sanktus war es, als Wunder er geschaut,
Das Auge leuchtend, weckt' er der Orgel Donnerlaut.

Wie Regentropfen klang es zuerst mit leisem Schall,
Dann wuchs und wuchs das Klingen zum Riesenwasserfall.

Des Domes Wölbung hallte vom Tönekatarakt,
Das Volk verlor den Atem, der Kantor drob den Takt.

Der Pfarrer wandte aufwärts zum Chor sich schreckensvoll,
Woher der Sturm der Töne gewaltig niederscholl.

Er aber spielte weiter, und aus der Orgel kam
Gebet und wildes Fluchen, und Übermut und Gram.

Das war der Stämme Ächzen, die tief der Sturmwind biegt,
Das Lied geschwätz'ger Ähren, die sanft das Lüftchen wiegt.

Des Meeres wildes Singen, der Wasser stark Gebraus,
Der Hörner Jagdfanfaren, erjubelnd laut hinaus.

Dann Ton von Engelsharfen, wie er im Traum erklingt,
Der Gruß, den fromm am Bitttag der Mund der Kinder singt.

Und Lärm und Tanz, das Schmettern der Gläser beim Gelag,
Und in des Pan Gelächter Centaurenhufeschlag.

Dann Psalmenton der Mönche und Abendglockenklang,
Der Aufschrei von Millionen, der Sphären Schauerklang.

Jetzt, als ob tausend Schlangen zur Decke kröchen, brach
Durch all den Klang ein Zischen und hallte schrecklich nach.

Den Dom durchflog ein Schatten, ein grell zerriss'ner Ton,
Und tot lag an der Orgel Faustulus, Faustens Sohn.


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