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Zwei Gedichte

Auf einer niedern Kirchhofmauer sitzend,
Las ich ein Buch von Liedern.
Das waren wilde schäumende Strophen,
In denen Lippen sich an Lippen drückten,
In denen nackte Arme
Die Lilienhüfte einer Fee umfingen,
Das Blut, gleichwie die Lava
Stieg zum Gehirn, des Herzens wilder Schlag
Die Brust fast sprengen wollte,
In denen Lieb' und Lust vereinigt sangen
Den trotzig jubelnden, den großen Päan!
Die Blüte sah des flammendroten Mohnes
Voll Neugier in das Buch mir
Und nickte wie zum Beifall,
Als wäre eine helle Lohe
Vom Buche ausgeflogen
Und hätte sich zur Blüte umgewandelt,
Die um das Haupt mir nickte;
Und ein verirrter Falter,
Die Schwingen lauter Purpur
Und Gold, flog eine Weile
Mir über der Zeilen Fülle,
Wie eine Strophe, die lebendig worden,
Des glühenden, des schäumenden Gedichtes.

Da fielen meine Blicke
Vom Buche über die Mauer
Und auf den Friedhof, von dem Wald umsäumt,
Und vor mir rauschten
Ganz andre Strophen
Der niemals ausgesungnen Epopöe,
So voll von Milde, Ruhe, sanfter Trauer,
So voll von Frieden, von Entsagen,
Des ewigen Gedichtes,
Das strenge singt der Tod – Und ich erbebte
Und schloß das Buch in Eile.
Der Freude Lied schwieg vor dem Sang des Todes
Und wie zum Einklang rauschten ringsumher
Die ernsten Buchen und die Silberbirken.
Der Falter flog hinweg und nur der Mohn
Stand wie ein Widerspruch im heißen Lufthauch
Und brannte in der Sonne ...


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