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Ilioneus

Ilioneus ist der kniende Knabe, als Sohn der Niobe gedeutet, dessen Torso in der Münchener Glyptothek ist. Er war seinerzeit im Besitze Kaiser Rudolfs II. in Prag. (Der Ton liegt auf dem zweiten i)

Was, beim Himmel, gibt es wieder?
Sind die Ketzer wieder störrisch?
Soll ich wieder unterschreiben?
Wann hab' ich denn einmal Ruh?

Und hier stehen neue Kisten,
Hab' nicht Zeit mehr, sie zu öffnen,
Jost und David schreibt aus Brüssel,
Hans von Aachen schreibt aus Rom.

Meine Löwen brüllen hungrig,
Kelley hockt bei seinen Tiegeln,
Doch ich komm nicht – meine Hengste
Wiehern ganz umsonst nach mir.

Draußen in der Kaisermühle
Bin ich Wochen nicht gewesen,
Wetzstein, Stichel, Meißel stehen
Lang bei meinen Schleifern still.

Kann mich nicht vom Platz hier rühren,
Spranger murrt, für meinen Kaltsinn
Sucht mit seinen Astrologen
Trost im Trunke Lomnický. –

Und dran schuld ist der verwünschte
Marmor, ist Ilioneus hier!
Was denn find ich an dem Kopfe,
An der Glieder Ebenmaß?

Niobe ist deine Mutter!
Les es klar aus deinen Zügen,
Und dein Vater ist wohl Skopas,
Du entzückend Wunderbild!

Und ich seh in deinen Zügen,
In des Götterleibes Linien,
In der Kraft und in der Weichheit
Alle Schönheit offenbart!

Was gilt mir all das Gezänke,
Adel, Pfaffen, Not des Volkes?
Ich seh dich nur – allwärts, immer,
Marmorschimmernd Wunder du!

Nicht das Weib und nicht der Ruhm gießt
Solchen Rausch mir in die Seele,
Weckt solch süße, tiefe Pein mir,
Die aus deinen Gliedern quillt!

Mit dir fühl ich, mit dir leb ich,
Ich nur Staub – und du unsterblich!
Ja, ein Märtyrtum ist Schönheit,
Heiliger Sohn der Niobe!

Was werd' ich sein? – Eine Fabel,
Nur ein Wort in alten Büchern,
Du wirst unvergänglich glühen,
Selbst als Torso ohne Haupt!

Was, beim Himmel, gibt es wieder?
Was hat neu verübt Don Cäsar?
Mädchenraub? Streit in den Schenken? –
Oder rührt der Landtag sich?

Ich will nichts von alldem wissen,
Macht euch fort! Ich will allein mich
In den Marmor hier versenken –
Was ist Leben mir und Zeit!

Laßt die Löwen brüllen, laßt den
Landtag grollen, schrein die Ketzer!
Soll ich nicht, um Ruh zu haben,
Alles unterfertigen?

Her die Feder! – Unterschrieben!
Und jetzt lärmt nur nach Gefallen,
Etwas Ruhe hab' ich – meinen
Majestätsbrief führt euch durch!

Ei, sie tragen durch die Stadt ihn,
Alle Prager Glocken läuten.
Laß sie läuten denn – mein Leben
Liegt in diesem Marmor hier!

Leben, Ruhm und Rausch umgibt mich –
Schönheit, Zaubermacht der Formen
Und ein Pulsschlag, unvergänglich! –
Wär's zu denken nicht erlaubt,

Daß die Glocken, daß der Jubel
Dir allein gilt, deiner Schönheit,
Daß statt meines Majestätsbriefs
Deinen Einzug Prag begeh? – –

Also träumte, in der breiten
Krause ganz den Kopf vergraben,
Kaiser Rudolf; mit dem Stocke
Hatt' er aufgestoßen wild,

Als gehoben aus der Kiste
Und enthüllt Ilioneus ward
Und unsterblich schön das Wunder
Marmorn sich vor ihm erhob.

Flog dem Kaiser ein Gedanke
Durchs Gehirn, wer kann ihn deuten?
Märtyrtum ist stets die Schönheit,
Schöpfern und den Jüngern auch! –

Unten wieder ein Getöse,
Wie ein Meer, das aufgewühlt ist,
Wie von Löwen, hungrig brüllend,
Tosen, Stürmen und Geheul!

Niobe gleich tief in Trauer
Liegt da unten Prag im Nebel,
In den Schenken Becherklingen,
Lachen und der Wehr Geklirr.

In den engen, dunklen Gassen
Tönen heimlich die Gitarren,
die spanischen Melodien
Mischt sich laut ein welscher Fluch!

An den abgefaulten Galgen
Hängen noch halbnackte Leiber,
Schwanken hin und her im Winde,
Für das Rabenvolk ein Fest.

Alles still, verlöscht die Lichter ...
In der Halle sinnt der Kaiser,
Das Phantom, Ilioneus, sieht
Stumm er an, selbst ein Phantom.

Oben ziehn die ewigen Sterne,
Ziehen durch zerrißne Wolken,
Wie ein Schädel glänzt im Lichte
Her der kahle Weiße Berg.

Durch der Sterne Palimpseste
Fährt ein Meteor hernieder,
Wie die Schere, die zerschnitten,
Kaiser Rudolf, deinen Brief!


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