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Milon von Kroton

»Gruß, Erde, dir, der Mensch und Tier entsprossen!
Der Sonnengott steigt nieder mit den Rossen
Von Ost zum West zu dir in Liebessehnen,
Zu küssen Perlen Thaues, deine Thränen.
Wenn, Mutter, deinen Grund Kentauren schlagen,
Der Sturm darüber fährt in wildem Jagen,
Erwiderst du mit den erhabnen Chören
Von deinen Buchen, Ulmen, Eichen, Föhren,
Und für Zeus' Donnerschlag, der laut gefallen,
Schickst du empor das Lied der Nachtigallen!
Gruß, Erde, dir, der Löwen Nährerin!
Fliegst über Thymiane du dahin,
Gieb, Biene, ihr, gieb, Amsel, ihr den Gruß,
Du Nymphe, badend in dem Thau den Fuß,
Du Schnee von Edom, der oft niedersaust,
Darüber beutewild der Geier haust,
Sein Scepter schwingt geheimnisvolles Grauen –
Von Herzen seid gegrüßt, ihr Heimatsauen!«

So dachte Milon froh, und aus dem Haus
Ging er zum grünen Waldesrand hinaus
Und nahm das Beil, das wohlgeschärfte, mit.
Den Hain durch, über Felsen ging sein Schritt,
Bis er hinabgelangt zum ebnen Land,
Das breit sich streckt gleich einer braunen Hand.
Da pflegten stets die Löwen herzukommen
Mit mächtigem Gebrüll, sobald entglommen
Am Firmament des Mondes bleiches Licht.
Im Sand sah er die Stapfen, tief und dicht.
Hier wollt' er stellen seine Löwenfalle.
Er wählt die Eiche aus, mit starkem Schalle
Fällt dann sein Beil, daß rings die Erde bebt.
Dann trifft er noch einmal, und wieder hebt
Er auf das Beil. Dann bückt er sich zur Wunde,
Die ihren Harzduft sendet in die Runde.
Wie er den Arm nun einpreßt in den Spalt,
Den Baum entzweizureißen mit Gewalt,
Da schließt der Stamm sich plötzlich, und wie Zangen
Hält er den Arm von Milon fest gefangen.
Vergeblich sucht sich Milon loszuringen.
Es hält der Stamm ihn mit gewaltigen Zwingen,
Und keine Hoffnung, daß er hier sich rette;
Blau wird der Arm von seinem engen Bette.
Er reißt und reißt und braucht die ganze Kraft,
Der Baumstamm läßt ihn nicht aus seiner Haft,
Er sinkt aufs Knie ohnmächtig in das Moos
Und klagt der Erde sein entsetzlich Los.
Die Sonne brennt hernieder lavaheiß,
Das Gras wird unter seinen Lippen weiß,
Rings alles stille, und allein den schrillen
Gesang ertönen lassen weit die Grillen.
So harrt er knieend halb, halb liegend hier
Und seufzt und keucht und heult gleich einem Tier,
Und flucht in Ohnmacht und in wilder Qual –
Und schon sinkt Dämmrung nieder in das Thal.
Die Sonn' erlischt, rings webt das heilige Schweigen.
Des Mondes Licht beginnt emporzusteigen,
Die Zeit, da zu den Quellen ziehn die Leuen.
Von fern vernimmt ihr Heulen Milon dräuen
Und fühlt schon, der Verzweiflung hingegeben,
Die Erde unter ihren Schritten beben.

Da rafft er sich noch auf mit aller Macht
Und ruft die Klage in des Waldes Nacht:

»O Luft, o Erde! Nacht, und ihr, o Götter!
Was bin ich, ach? Ein Spielzeug für euch Spötter!
Die Ziegen, die verirrt von ihrem Stalle,
Sind glücklicher; frei sind die Glieder alle,
Sie können fliehen, wenn die Luft erfüllen
Der Wölfe Bellen und der Löwen Brüllen –
Ich bin ein Sklav; so schlau zu Werk gegangen,
Hab' ich mich, Nacht, in deinem Netz verfangen.
Was nützt die Starke mir, der Muskeln Kraft,
Der Sehnen Stahl, die Brust, so felsenhaft?
Mich hält der Stamm, und frei werd' ich nicht wieder!
Der Adler in der Höh' hat sein Gefieder,
Im Staub der Vielfuß seine flinken Beine;
Die Hilfe sind sie ihm, hat er sonst keine.
Der Vogel Schwingen, Flügel die Libelle,
Die Wolke jagt dahin, flink eilt die Welle –
Nur ich bin hier gefesselt und gekettet,
Und keine Hoffnung, daß mich jemand rettet!
Was ist mir Pein? Was mir die Hand, die lahm?
Was mehr mich schmerzt, mich übergießt mit Scham,
Daß jetzt die Leu'n, die ich so leicht gebunden,
Die meine Hand so mächtig überwunden,
So leichten Kaufs zu meiner Schande kommen,
Sich auf mich stürzen bald, von Gier entglommen
Und jubelnd heulen – o das schmerzt mich mehr,
Als daß der Morgen mir nicht wiederkehr'!«

Er schwieg im Schmerz, sein Haupt sank auf die Brust,
Und schon durchbricht mit Macht des Dickichts Wust
Der Löwen Zug und brüllt, dem Donner gleich.
Im Thale wittern sie die Beute gleich
Und nahen, auf ihr Opfer loszugehen.
Doch als sie den gewalt'gen Milon sehen,
Wie er gefangen stirbt in grimmer Pein,
Erschrecken sie und halten plötzlich ein
Und schleichen stumm – es faßt sie grauenhaft –
Zurück zum Wald vor der gebrochnen Kraft.


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