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Beim Untergang der Sonne

Warum spricht inniger des Tages Neigen
Zur Seele, als der Morgen, hell und offen? –
Ist's weil sie mehr die Nacht liebt und ihr Schweigen,
Und mehr zur Trauer hinneigt, als zum Hoffen?

Und diese Trauer ringt vielleicht nach Tönen,
Wenn sich der Flor der Schatten mählich breitet,
Und sie das Grab des Glücks, der Lieb', des Schönen
Im Wolkengrab sieht, drein die Sonne gleitet?

Mag lieblich sein und mild des Tages Sterben,
Und flammen in der Farbenpracht Vergeuden,
Mag es mit trübem Grau den Himmel färben,
Die Schmerzen weckt es früher, als die Freuden.

Ein Tag floh, wieder einer! Bot sein Dauern
Dir Frucht des Glücks, und kam dir hier entgegen
Ein Himmelsgast – es füllt dich doch nur Trauern,
Daß er nun schwindet und ein schmerzlich Regen

Bewegt die Seele, draus der Duft, der süße,
Mit jedem Tage immer mehr verwittert –
So kommt es, winken nachts der Sterne Grüße,
Daß wehmutsvolle Ahnung dich durchzittert.

Erfuhrst du Glück, warum muß es entfliehen?
Erfuhrst du keins, warum ward es den andern?
So fühlst du Bitternis dein Herz durchziehen
Und über deine Stirne Schatten wandern.

Du weißt, was stirbt mit jenem Zauberlichte,
Und was versinkt, du siehst es fliehn in Sorgen:
Das Stück von dir, vom göttlichen Gedichte
Nie bringt es wieder der banale Morgen.


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