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Der Traum des heiligen Paulus

Auf seinen Wegen, die so lang und weit,
Heut schlichter Gast der dunklen Synagoge
Und morgen Redner auf dem offnen Markt,
Im Schein der Sonne stürmisch hier begrüßt,
Und dort den Steinen seiner Gegner kaum
Entrinnend, sank einst der Apostel Paulus
Am Meeresufer müd in tiefen Schlaf.
Zehn Briefe hatt' er heute schon geschrieben
An die Gemeinden, wie's die Zeit verlangte,
Erklärte hier, ermunterte die Schlaffen,
Stärkte die Schwachen hier und warnte dorten,
Dann wieder mit dem Donner Sinais
Fuhr er in das Gewirr des Ketzerirrtums.
Ein Stündchen Ruhe hat er sich verdient.
Er wollte einmal schlafen gleich den Menschen,
Die traumlos schlafen, schlummern wie die Tiere,
In deren Schlaf kein Schatten und kein Bild dringt,
In einem Schlaf, wie ihn der Körper braucht,
Am nächsten Tag erfrischt sich zu erheben
Zu neuem Kampfe. Und so schlief er ein.
Da Plötzlich drang in seinen Schlaf ein Laut,
Erst leise wie das Rauschen nur der Welle,
Dann mächtiger so wie des Sturms Gebrauch,
Der an sein Ohr mit starkem Klange schlug.
Und ob er müde, wie er war, dagegen
Sich wehren mocht, vernahm er Liesen Sang:

Was jagt durchs Sein wie Flug des Wirbelwinds?
Die Ketzer sind's, die Ketzer sind's!
Ihr Leiden bringt kein bloßes Wort zur Ruh,
Ihr größter bist ja du!

Was stürmt in Flammen über Land und Flur?
Sektierer nur, Sektierer nur!
Ihr Suchen drangt sie alle zum Verein,
Warum gehst du allein?

Sieh nur das Meer! Ist eine Strömung drin?
Du lagerst dich zur Ruh am Ufer hin?
Wir Wellen drängen heulend an dein Ohr,
Der Ketzer Chor, der Ketzer Chor!

Blick auf zum Himmel! Stern an Stern sieh stehn!
Sprich selbst, wo mag durch sie die Straße gehn?
Was öffnet neue Bahn dir fort und fort?
Sektiererwort, Sektiererwort!

O faß es ganz! Das Leben sänke dumpf
In leere Öde, in der Fäulnis Sumpf,
Ins Leben bringen Gärung nur die zwei:
Sektierern und Ketzerei!

Er wurde wach. Nicht könnt' er weiter schlafen.
Er sah aufs Meer und in das Spiel der Wellen,
Und jeder Welle Haupt schien gegen ihn
Ein trotzig grinsend Antlitz zu erheben
Und nannt' ihn triumphierend ihren Bruder.
Und eine Stimme raunt' in seinem Herzen:
Was hast aus Christi Lehre du gemacht?
Was willst du weiter tun? – Paulus stand auf
Und irrte durch die Nacht wie sinnlos hin,
Und hinter ihm der Wellen stete Stimme,
Halb Weinen war sie und ein Vorwurf halb:

Die Ketzer und Sektierer nur,
Des Fortschritts Pfeiler bilden sie!
Der Irrtum zeigt der Wahrheit Spur.
Du willst sie einen? – Das glückt nie!


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