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Der Storch des heil. Franziskus

Aus der tödlich schweren Ohnmacht
Nach erschöpfend langem Kampfe,
Wachte Franz zum Leben auf.
Öffnete noch nicht die Augen,
Fühlte aber, wie sich linde
Heller Schein wie Rosenblüten
Drängt durch seine Augenwimpern,
Hörte süße, ernste Töne
Wie von Harfen und von Fluten,
Die ans Ohr von fern ihm schlugen,
Wie an blumigen Strand die Welle,
Fühlt' im Herzen Zauberduft,
Wie ihn selbst im Blumenherzen
Nicht die Rose, der Jasmin nicht
In den weißen Sternen trägt.
Seine Seele, erst erschrocken
Von des Todes Weh, ward ruhig,
Und er hörte leises Flüstern:
»Sieh umher! Du bist im Himmel!«

Als dann die Musik in Wogen
Eines Hymnus sich ergoß,
Schlug erstaunt er auf die Augen –
Ja, im Himmel war Franziskus!
Alles schwamm ringsum in Licht.
Er, der Sonne Hymnus singend,
Sah hinein ins Strahlenmeer,
Und sein Blick ertrug den Glanz.
Erst sah er von weißem Dampfe
Säulen steigen – doch das waren
Lichte Säulen heiligen Weihrauchs,
Die aus goldnen Weihrauchfässern
Wallten, ans den Weihrauchfässern,
Rings um Gottes Thron gereiht.
Bäume sah er seltner Formen,
Die als Blüten Sterne trugen
Und darunter weißgekleidet
Schritten, in den Händen Palmen,
Hin der Auserwählten Scharen,
Bischöfe und Märtyrer,
Kardinäle und Propheten,
Frauen, Witwen, Gläubige;
Mitten unter ihnen wandelnd
Viele schöne Himmelsengel,
Singend zu den Harfenklängen,
Andre sanft die Flöte blasend,
Andre hell den Cymbal schlagend.
Und des Glückes Lächeln glitt
Über das verhärmte, bleiche
Hagre Antlitz von Franziskus.
Er ein Mönch mit bloßen Füßen
Hier in solchem hohen Glanze!
Und er sah dann wie die Scharen
Freundlich bei ihm stehen blieben,
Im geheimen auf ihn wiesen
Und in Ehrfurcht flüsterten:
»Seht nur! er, das ist der Heilige,
Gottes Diener, ist Franziskus!«
Sah, wie dann vor ihm die Päpste
Die Tiaren schweigend zogen.
Seine Demut ließ die Ehren,
Ihm bezeugt, nicht weiter ansehn,
Und er heftete die Augen
Aufs Gewölk, das weiß und grade
Ans den Weihrauchfässern aufstieg.
Sieh, das fesselte zumeist ihn.
Denn die Wolken unterscheidend,
Fand er, daß es keine Wolken,
Sondern lauter Kinderköpfe,
Golden blond und ringellockig,
Pausbackig und buntgeflügelt,
Lauter Köpfe kleiner Engel,
Die da scherzten und da lachten;
Und das Lachen ging ins Herz ihm
Und er war unsäglich froh.

Keine Zeit zählt man im Himmel.
Doch inmitten all der Wonne
Fühlte sich doch bald Franziskus
Wie verlassen und verwaist.
Er stand auf vom goldnen Sessel,
Und schritt auf dem Himmelswege
Dorthin, wo des Weihrauchs Wolke
Leicht das ewige Licht verdeckte.
Und er fiel auf beide Knie,
Hob die Hände, die gezeichnet
Mit den blutigen Nägeln Christi,
Und vor allen Auserwählten,
Märtyrern, Propheten, Engeln
Und der ganzen Schar der Gläubigen
Hub er weinend so die Rede:

»Licht des Lichtes, Vater, Gott,
Du vergiebst und bist nicht böse,
Wenn ich dir ergebenst sage:
Hier im Himmel hab' ich Heimweh.
Mir zu viel der Liebe gabst du
Zu der Welt und zu den Menschen,
Stets lebt' ich mit der Natur
Als ein treuer Sohn und Bruder.
Fern bin ich ein dürrer Zweig.
Willst du wissen, lieber Gott,
Was mir Heimweh weckt im Himmel?
Hier fehlt mir der Bruder Feuer,
Hier fehlt mir der Bruder Wasser,
Hier fehlt mir die Mutter Erde,
Und was ich am meisten liebte,
Fehlt mir hier, die Schar der Vögel.
Labsal waren und Erquickung
Sie mir stets auf meiner Wandrung,
Trost für Auge, Ohr und Herz.
Möglich weißt, Allwissender,
Du noch nicht, was mir geschehen,
Als ich noch in Umbrien war.
Ging ich predigen dem Volke,
Doch umsonst – vergebne Mühe,
Taube Herzen, taube Ohren,
Und enttäuscht und müde ging ich
Vor die Stadt hinaus voll Trauer.
Eine große Wiese war dort,
Voll mit Bäumen, in der Mitte
Floß ein Wässerchen durchs Gras.
Hier ergoß sich nun in Klagen
Alle Bitterkeit der Seele.
Auf dem Rasen schritt ein Kibitz,
Schritt wie sinnend ans und nieder,
Und er richtete den Schopf auf,
Blieb auf seinem Wege stehen,
Gleich, als hält' er mich verstanden.
Aus dem Nest, das im Gebüsch sie
Mit dem letzten Laub gepolstert,
Streckte Nachtigall den Hals,
Näher hüpften her vom Ufer
Dann der Distelfink und Stieglitz,
Aus den Binsen kam der Star,
Von der Wiese Gimpel, Meise,
Von dem Feld der ernste Rabe,
Krähe flog herbei und Dohle,
Und, ihr Liedchen unterbrechend,
Blitzschnell nieder flog die Lerche,
Aus des Waldes Tiefe kamen
Wiedehopf heran und Drossel,
Amsel mit dem goldnen Schnabel,
Und der Specht, der klopft an Stämmen,
Kamen Würger, Mandelhäher,
Und der graue Mauersegler,
Kam die Dommel aus dem Rohre,
Kamen Bachstelze und Schwalbe,
Zaunkönig und Plauderelster.
Doch am frömmsten stand vor allen
Da der Storch auf einem Beine,
Lauschte andachtsvoll der Rede,
Lauschte, mit dem Kopfe nickend,
Und der Spatzen lärmend Häuflein
Wies zurecht er mit dem Schnabel,
Daß sie still und artig hören.
Ich, Franziskus, Diener Gottes,
Von dem Volk verlacht, hielt also
Vor den Vögeln meine Predigt.
Und so lieb gewann ich alle,
Daß ich ohne sie betrübt bin.
Nun, ich kann es nicht verlangen,
Daß du deinem Knecht zuliebe
Deinen Himmel machst zur Erde.
Aber eines bitt' ich, Vater:
Um die Fasten, die ich einhielt,
Um die Armut, die ich trug,
Um mein Leiden und Entbehren,
Um die Wunden meiner Hand,
Um die Wunden meiner Seele,
Heiliger, großer Gott, erlaube,
Daß den Storch ich bei mir habe,
Daß ich hier mit ihm mich freue,
Wie mit einem ernsten Bruder,
Wie mit einem treuen Freund!«
Ganz in Staunen und in Schrecken
Hörten an die Heiligen alle
Diese lange, kühne Rede.
Zwar sie schwiegen, doch Franziskus
Konnte in den Mienen lesen,
Was sie etwa von ihm denken.
Seine Stirn verzog St. Petrus,
Staunen wies Johann der Täufer,
Und der Papst Gregorius neigte
Zu Johann Chrysostomus sich,
Flüsternd und dabei den Finger
An die eigne Stirne legend:
»Sagt' ich es nicht stets! Franziskus
Ist und bleibt ein Sonderling!«

Die Versammlung war zu Ende.
Alle gingen und Franziskus
Schritt gar trüb vom Throne Gottes,
Fürchtend, daß der Herr sich ärgre.
Da zog etwas an dem Rock ihn,
Eilig wandt' er sich und traute
Staunend kaum den eignen Augen.
Vor ihm stand ein weißer Storch
Mit dem langen roten Schnabel,
Seine schwarzgefärbten Flügel
Glänzten nur; er klapperte
Und schritt würdig Franzen nach.
Der könnt' kaum die Blicke wenden
Von dem treuen Kameraden,
Küßte ihn mit feuchten Augen,
Zur Verwunderung der andern.
Auf dem Sessel saß Franziskus,
Hielt an seiner Brust des Storches
Haupt gelehnt, ihn linde streichelnd.
Und er war nun völlig glücklich.

Aber, was geschehn Franziskus,
Das geschah auch seinem Storche.
In des Himmels Glanz begann er
Sinnend seinen Kopf zu neigen.
Wechselte das Bein gar häufig,
Wenn ihn streichelte Franziskus,
Und er träumte bangen Herzens
Von den großen, weiten Wiesen,
Von den Sümpfen, von den Mooren,
Drüber hin die Wolken ziehen,
Von den Binsen, von dem Schilfrohr,
Die im Hauch des Windes säuseln,
Drin sich Millionen kleiner
Und behender Tiere tummeln,
Ihm als Beute sehr willkommen.
Und er träumte bangen Herzens,
Wie, von seinem Schritt verscheucht,
In den Bach der Frosch hinabspringt,
Der Natur lebendige Posse,
Welche Drolligkeit und Grauen
In grotesker Art vereinigt,
Sah, wie durch die Binsen glänzt
Schwarz und gelb der Salamander,
Wie die Eidechse davon huscht,
Die im Sonnenschein sich wärmte,
Sah die stillen grauen Häuschen,
In der Mitte drin den Kirchturm,
Und auf seinem roten Dache
Ein vermorschtes Rad, sein Nest.
Sah, wie bei des Herbstes Nahen
Kommen sämtliche Genossen
Und in langem Heerzug fliegen
Über Matten, über Fluren,
Über Wälder, Berge, Meere,
Eine Riesenkarawane,

Tag und Nacht bis an den Nil,
In das Land der Pyramiden.
Und in seiner tiefen Sehnsucht
Dacht' er nicht mehr an den Himmel,
Hieb mit seinem langen Schnabel
Rechts und links, obgleich im Wege
Häufig manch ein Heiliger stand,
Ja, zum Sturm wuchs die Entrüstung,
Als er einst die Gloriole
Magdalenens fing im Schnabel
Und im Himmel sie herumtrug.

Alsogleich vereinigt waren
Alle Heiligen in der Bitte,
Rasch den Storch hinauszuweisen.
Mit gesenktem bloßen Haupte,
Barfuß, im Habit der Mönche,
Stand, die Hände still gefaltet,
Vor dem Thron des Herrn Franziskus,
Bang den Urteilsspruch erwartend,
Der den Bruder und Genossen
Ihm auf immer nehmen sollte.

Stille herrschte. Lange Zeit
Sah die gute Mutter Gottes
Auf den Storch und auf Franziskus,
Und wie immer, war auch diesmal
Sie der Milde Hüterin,
Und sie sprach, und ihre Stimme
Klang wie helle Silberglöckchen:

»Beiden Teilen sei geholfen,
Franz und seinem Freund, dem Storche,
Franz und allen andern Heiligen.
Weise ist der Storch und klug.
Wenn's ihn heimzieht nach der Erde,
Gut, so mag er niederfliegen,
Fliegen als der Bote Gottes,
An den Teichen Umschau halten,
An den Sümpfen und Morästen
Und nach Lust dann wiederkehren
In den Himmel, zu Franziskus.«

Und sie nickte sanft und zeigte
Einen Busch von Himmelsrosen,
Unter denen in Umarmung
Schliefen fest zwei Rosenengel.
Und dann bog sie sich hernieder.
Ganz zerstoben war der Nebel,
Und die Glut der Sonne strahlte.
Und die Erde war zu sehen,
Wie sie an des Äthers Busen
Liegt gleich einer holden Rose,
Und man sah auf ihr die Wälder
So wie große, schwarze Streifen,
Ströme, so wie weiße Fäden,
Berge, so wie dunkle Flecken.

»Seht hinunter,« sprach nun wieder
Süßen Tons die Mutter Gottes,
»Dort beim Wald steht eine Hütte,
In der Hütte wohnen Leute,
Arme, aber fromme Leute,
Die ein Kindlein heiß erflehen.
Heut erfüll' ich ihren Wunsch.
Kluger, weiser Storch vernimm denn.
Diesen Engel, der hier schlummert,
Nimm in deinen Schnabel, fliege
Durch die Wolken, durch die Nebel,
Über Berg und Wald und leise
Fliege nieder zu der Hütte,
Klopfe dort ans kleine Fenster,
Ins Gemach, ans Herz der Mutter,
Die im Dunkel schlummert, fliege,
Leg' das Engelchen des Himmels
Eiligst in die leere Wiege,
Daß die armen guten Leute
Auf der Erde recht sich freuen!«

Und der Storch, der weise, kluge.
That, so wie ihm ward geheißen;
Alle blickten auf die Erde,
Wie er zu der Hütte flog
Und das Kind gab in die Wiege,
Und sie sahen, wie den Leuten
In den Augen Freude glänzte,
Daß der Herrgott wohlgefällig
Strich den Bart, den silbergrauen,
und vor allen laut belobte
Seine liebe Mutter Gottes.

Bald drauf kam der Storch zurück.
Auf dem Wege macht' er freilich
Halt am Teiche in den Binsen
Lauerte und that sich gütlich.
Kehrte dann zu Franz zurück,
Welcher glücklich und zufrieden
Streichelte das Haupt des Storches,
Küßte das Gewand Mariens.

So gewann der Storch den Himmel,
Und, hat er dort Langeweile,
Bringt er Engelchen den Menschen.


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