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Sonnenuntergang

Jarl Ivo zahlte nicht den Zins vom Meer.
Und schlimmer noch, nie kam als Lehnsmann er
Zu Königs Hof, obgleich im fünften Jahr
Schon Kanut trug den goldnen Reif im Haar.
Der König sandte Boten; was das Beste
Im Walde, bot der Jarl zum Willkommfeste,
Und frischen Trunk in seinem Saal von Stein.
Doch wollten sie den Zins, so sprach er Nein!
Und sandt' ein Blatt dem König. Drinnen stand:
»Gott, der durchs Meer die Welten all verband,
Gab uns, den Menschen, Grund und Boden preis,
Die Luft dem Geier und dem Bären Eis.
Wohin dein Fuß tritt, alles ist dein Gut,
Nur nicht das Meer! Denn Gottes ist die Flut,
Und steht dem Bettler, wie dem König offen –
All denen, die's durchziehn mit kühnem Hoffen,
All denen, die hinein die Netze senken,
All denen die dran sinnen, träumen, denken.
Verlang vom Forste Zins, glaub mir, ich zahle,
Verlange Zins vom Trunke und vom Mahle,
Doch nie vom Meer! Willst du den Quarz zerschlagen,
Du sprengst ihn nicht! Die Funken werden jagen,
Und aus der Faust spritzt dir das Blut empor.
So geht es dem, der sich Gewinn erkor
Anstatt des Diadems zur Königszier.
Ich halte stets mein Wort, das merke dir.«

So schrieb er und so hielt er's auch. Nicht lang,
Erdröhnt' auf seinem Hofe Schilderklang,
Zum Kampfe rief das Horn die Mannen auf,
Die Fahnen flogen, und im Sturmeslauf
Ging es auf Rossen in die Schlacht hinein.
Der Staub umzog des Himmels roten Schein,
Rot, wie ein Auge, drein das Blut sich drängt.
Ein wilder Kampf! Eh sich der Tag gesenkt,
War Ivo ein Gefangner. In dem Glühn
Des Streites drang er vorwärts allzukühn,
Für jeden kenntlich an dem langen Bart,
Der glich dem weißen Wasserfall. So ward
Umzingelt er und ward zuletzt gefangen.
Des Waldes Riesen sah mit Graun und Bangen
Des Königs Schar, obgleich er Fesseln trug.
Da stand er aufrecht in der Sieger Zug
Und ließ sich führen in des Königs Zelt.
Und, unbewegt das strenge Antlitz, hält
Er aus den Blick und sagt ihm noch einmal:
»Groß ist, o König, deiner Krieger Zahl.
Wohin dein Fuß tritt, alles ist dein Gut,
Nur nicht das Meer – denn Gottes ist die Flut!«

Da lachte Knut und alle Ritter lachten.
Doch die vermocht, den König zu betrachten,
Die sahn in seinen Augen Flammen glühen
Und unter seinen Brauen Funken sprühen,
Und maßen dran des wilden Grolles Kochen.
Das Urteil ward noch diese Nacht gesprochen:
»Jarl Ivo, angeklagt um Hochverrat,
Verdient den Tod für seine Frevelthat,
Und seine Schlösser fallen an die Krone.
Doch will der Fürst, daß man sein Leben schone,
Und ihm zur Strafe nur die Augen blende,
Vor allen Mannen, an des Meers Gelände,
Vor seiner Burg, hoch ragend ob der Flut.
Dann soll er bleiben in des Turmes Hut
Bis an den Tod. Und diese große See,
Die er verteidigt, stürme in sein Weh,
Und lache seiner Not. Es sei vollzogen,
Wenn niedersinkt die Sonne in die Wogen,
Daß er zuletzt ringsum die Schönheit sehe
Und in der Nacht dann hundertfach vergehe«.

Und es geschah, wie Kanuts Spruch erkannt.
Vor seiner Burg, auf steilem Fels am Strand,
Wo sich die Welle mächtig brüllend bricht,
Wählt' einen Stein man aus zum Hochgericht.
Ein Dreifuß, drauf die Glut aus Kohlen sprang,
Ward aufgestellt vor Sonnenuntergang,
Eh' auf dem Meer des Abends Streifen rannen.
Des Horns gezogner Laut berief die Mannen.

Der König kam, begrüßt von lautem Schalle,
Um ihn gereiht die starken Helden alle,
Der blonde Jüngling und der graue Greis.
Zuletzt trat Ivo in den weiten Kreis,
Daß er das Aug' am hehren Ausblick weide
Und dann vom Meer, dem ewigen Hymnus, scheide,
Das Licht noch grüße vor des Dunkels Graus.

Und er stand still, die Seele flog hinaus,
Und er sah Land und Meer!

                O Wunderpracht!
Breit teilt sich jetzt des Lichtes Strom und macht,
Daß dort die Felsen glühn im Doppellicht,
Und doppelt Gold den düstern Wald umflicht,
Der dunkel deckt der Höhen weiten Zug –
Vor ihm, so weit nur dringt der Blicke Flug,
Bis in die fernste Ferne, groß und hehr,
Wie eine Sage liegt das Meer, das Meer!
Die Silberflut durchblitzt von Demantstrahlen,
Der Mittnacht Grau durchleuchtet von Opalen,
Hier lachend Grün, dort tiefes Schwarz die Flut,
Der Schoß, in dem die Schar der Sterne ruht,
Ein Dämmern, draus heran ein Blitzen dringt,
Bis an den Strand die Welle schäumend springt,
Und hundert Wasserstürze überschlagend,
Und Regenbogen, Diademe tragend,
Cyanenblau, drein Rot des Mohnes leuchtet,
So daß der Atem stockt, der Blick sich feuchtet –
Und dort zieht fern, wie ein verlaßner Schwan
Ein weißes Segel einsam seine Bahn,
Es fährt hinaus, zieht schönrem Land entgegen.
Da fühlt der Jarl ein unbezwinglich Regen,
Und wischt die erste Thräne, ernst und stumm.

Dann wendet sich der Jarl zum Lande um.

O Gott, auch hier, welch Zauberanblick wieder!
Die Sonne schüttet lauter Rosen nieder,
Was Felsen ist, das wird zum Ametyst,
Ein herrlich Golddach, was ein Wipfel ist,
Mit blauen Schatten lockt der Bergeshang,
Der Wald ertönt von hellem Vogelsang!
Er kannte diese Tannen, streng erhaben,
Mit ihren Geiernestern, die dem Knaben
Errauscht gleich einem Heidenpriesterchor.
Jetzt schaun sie mild, die ernst geschaut zuvor,
Und ihre Stämme stehn im Feuerschein,
Und wie die Sonne strahlt auf ihre Reihn,
So werden sie zu Purpurfahnen alle!
Rings farbig Licht, wohin der Blick auch falle,
Und selbst der Staub ist reich mit Gold durchmischt

Und Ivo sieht's und tief ergriffen wischt
Die zweite Thräne er vom Auge.

                Dann
Erhebt er seine Augen himmelan.

O welche Fülle herrlicher Gesichte!
Die schwarze Wolke mitten in dem Lichte,
Zieht, ein gespenstisch Riesensegel, hin;
Die Sonne, die sich halb verborgen drin,
Entflammt die Wolke, die wie ein Vulkan
Hinausschickt wallend auf die Himmelsbahn
Ein Meer von Blitzen übers Meer von Wellen.
Dies Bild verschwindet, andre Bilder stellen
Sich dar dem Blick: ein Schild hier an der Seite
Des jungen Kriegers leuchtend in die Weite,
Und dort ein Mast, um den die Flammen schlagen,
Dann Trümmer eines Turms, die düster ragen,
Jetzt Augenhöhlen, die sich weit erschließen,
Aus denen Thränen bitter brennend fließen,
Ein Helmbusch jetzt und, groß und riesenhaft,
Der Zug der Götter in der alten Kraft:
Thor mit dem Hammer, Odin, blitzumgrollt,
Und alles schwimmt in Purpur und in Gold! –
Allein die Sonne senkt sich tiefer immer,
Dem Feuer gleich des Schäfers, dessen Schimmer
In Asche sinkt – und in des Leides Schwere
Tritt Ivo in das Aug' die dritte Zähre.

Er wandte sich. Und rings lag schon das Dunkel.
Zwei Stachel nur mit schrecklichem Gefunkel,
Die nahten jetzt; mit jeder Spitze schlich
Ein Mann herbei und stellte leise sich
Dem Jarl zur Seite, dann mit einem Mal
Stieß jeder ihm ins Aug' den spitzen Stahl –
Ein Aufschrei wie vom Ur, dann ewige Nacht!
»O König«, rief er, »du hast's schlecht gemacht!
Du glaubst, das Dunkel würde mehr mich schrecken,
Und größres Weh in meiner Armut wecken,
Und daß ich blind bin, schüfe mehr mir Leid,
Weil ich zuletzt der Sonne Herrlichkeit
Und Land und Meer gesehn in goldnem Licht!
Du irrst, mein König! Denn mein Auge nicht,
Mein Geist hat all gesehn und aufgenommen
Und ewig glüht's, wenn auch mein Blick verglommen
In meinem Innern draus es niemand reißt.
Ja selbst dem Tode trotzt noch dieser Geist,
Er, gleich dem Meer, das sich nicht fesseln läßt!«

Und in den Turm schritt Ivo stark und fest.


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