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Der Sarkophag

O Hellas, Land der Kunst und Lebenslust,
Dein Strahl scheint hell in meine dunkle Brust,
Und jene Sonne, die im Morgengrau
Geküßt einst der Hymettusblumen Thau
Und ihre Glut goß in die Traube nieder,
Vergoldet mir auch den Pokal der Lieder!

Einst sah im Schutt ich einen Steinsarg liegen,
Und noch bis heut', Zugvögeln gleichend, fliegen
Zu ihm die Träume, jagt der Sturm einher
Sie auf des Lebens aufgewühltem Meer.
Sein denk' ich, wenn ich seh, daß keine Brücke
Des Himmels Blau eint mit des Meergrunds Tücke,
Des Schmerzes Klüfte mit des Glückes Fächeln,
Das Leid des Menschen mit der Götter Lächeln;
Wenn ich an allem aus der Welt verzage,
Mich frage, wie so elend unsre Tage,
Wie uns die Hoffnung trügt mit falschem Licht,
Der Steg uns unter jedem Schritte bricht.
Wie ist es möglich, mit der Dichtung Rosen
Den Schleier zieren, der den bodenlosen
Und Lüstern Abgrund deckt, mit heitern Tönen
Den Wirbel, der unendlich tobt, verschönen?
Wie der Meduse Antlitz zu verklären?
Dem Leid zu leihen der Ergebung Zähren?
Den Glauben lehren, schwankt selbst der Verstand?
Wie aufwärts fliegen, wenn der Staub uns bannt?
Wie ist es möglich?
       Sieh den Steinsarg hier!
Der Wicke Kranz schafft ihm des Frühlings Zier;
Auf seinem Deckel übermütig zeigen
Die Satyrn und die Nymphen sich im Reigen,
Im Lockenhaar den immergrünen Kranz.
Drin schläft der Tote; draußen hascht im Tanz
Und küßt der Reigen sich in heißem Glühn.
Drin schläft der Tote; draußen fordert kühn
Der Satyr von der Nymphe Liebesdank.
Drin schläft der Tote; draußen schäumt der Trank.
Drin Staub und Asche, moderndes Gebein ...
Dem Deckel trotzend in die Nacht hinein
Dringt mächtig Lachen, Liebe, Duft – und sieh,
Das Leben überschwillt von Harmonie!


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