Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Thräne Twardowkis

»Was so unwirsch? Reichlich flossen
Dir doch heut' die besten Weine,
Und das Kind von gestern Abend
War doch Jungfrau, wie ich meine?

»Geister aller Reiche füllten
Deines Gastgelages Plätze,
Seine Sterne gab der Himmel
Und das Meer dir seine Schätze.

»Und du wünschest immer mehr noch,
Neue Wunder und Genüsse,
Nicht befriedigt Glück im Spiel dich,
Nicht der Trunk, nicht Weiberküsse.

»Da mag Gott dir selber dienen!
Meine Kunst ist nun zu Ende,
Wahrlich, für dein bißchen Seele
Rührt' ich schon zu sehr die Hände.

»Was schon wieder? Kleine Kinder
Will ich eh zur Ruhe kriegen –«
Hoch erhebt das Haupt Twardowski:
»Durch die Welt will ich heut' fliegen!« –

»Fliegen durch die Welt! Nichts weiter?
Wie du willst, es mag geschehen.
Siehst du droben jene Wolke?
Meinen Mantel siehst du wehen.

»Nun, er kommt, er fliegt hernieder!
Steig auf ihn, ich steh schon oben.
Halt dich fest, mein Freund, am Mantel;
Jetzt ins Grau, ins Blau erhoben!«

Auf den Mantel stieg Twardowski,
Satan faßte ihn geschwinde,
Und nun ging's durch das Gewölke,
Durch den Nebel, durch die Winde.

Und wie Schnee- und Blütenflocken
Steigen sie empor und schweben,
Und wie Fledermäuseflügel
Scheint der Mantel sich zu heben.

Und sie fliegen, höher steigend,
Über Thäler, Dörfer, Auen,
Bis sie sich im Wandelkreise
Flammender Gestirne schauen.

»Laß die Sterne!« ruft Twardowski.
»Nieder! Menschen will ich sehen.« –
»Willst du? Doch ich glaub', es kann dir
Ärgernis daraus entstehen!

»Es ist Nacht!« – in Satans Antlitz
Blitzt der Hohn, der rasch entgleitet –
»Nieder!« drängt aufs neu Twardowski.
»Unten sieh die Stadt gebreitet!«

Tiefer senkt sich jetzt das Fahrzeug;
Wie im Spiegel allerwegen
Durch den Nebel sieht Twardowski
Das Getrieb der Stadt sich regen.

Sieht die Säle voller Menschen,
Hell erleuchtet die Gemächer,
Sieht die Schenke, drin vereinsamt
Sitzt beim Glas ein stummer Zecher.

Sieht, wie Spieler Haufen Goldes
Flugs mit einem Satz erwerben,
Und wie in der Armut Hütte
Kinder elend Hungers sterben.

Sieht entblößt auf reichen Decken
Keck sich brüsten die Gemeinheit.
Sieht das Mädchen, das verzweifelnd
Ringt um seiner Ehre Reinheit.

Doch was hat dem luftigen Segler
Mit einmal den Flug verschlagen?
»Was bedeutet, Herr, der Seufzer?
Darf man nach dem Grunde fragen?« –

»Weiter, weiter, eilig weiter!«
Schrie Twardowski, »was ich eben
Sehen mußte, machte selbst mich
In der tiefsten Hölle beben.

»Schau doch dort, die arme Hütte,
Die erst jetzt dem Blick erschienen:
Kinder knien darin, die Mutter
Spricht das Nachtgebet mit ihnen.

»Siehst du nicht die Frohgesichter?
Hörst der Kinderstimmen Klingen?
Mutter! einst so fromm zur Ruhe
Pflegtest du auch mich zu bringen!

»Fort, Satanas! Fort!« – »Es geht nicht!
Etwas hemmt uns aufzusteigen –
Was nur immerfort den Mantel
Zwingt, zur Hütte sich zu neigen?« –

»Fort, Satanas, fort in Eile!
Meinem Herzen schlägt es Wunden!« –
»Was nur ist's, es sinkt der Mantel?
Ei, sieh da! es ist gefunden.

»So ein Ding! Nicht viel mehr fehlte,
Und es wär' uns schlimm ergangen:
Herr, du weintest, deine Thräne
Blieb am Saum des Mantels hangen.

»Und es lasten solche Thränen ...
Diese zog uns mächtig nieder.
Schon blies ich sie weg, da fliegt sie! ...
Weiter durchs Gewölk geht's wieder.«


 << zurück weiter >>