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Das ewige Evangelium

(1240.)

Bald wird erfüllt, was uns die Schrift verkündet.
Der Menschheit großer Morgen wird entzündet.
Ein Engel schwebt, die Schwingen hehr entfaltend,
In seiner Hand die ewige Botschaft haltend,
Sie anzusagen über Berg und Flut
Den Völkern allen in der Erde Hut.

Die Welt versinkt in Leichtsinn und in Blut.

Wer sieht den Engel schweben in der Ferne?
Den hehren Gast verdecken halb die Sterne.
Es schläft die Welt, wacht sie nicht Gott zum Hohne.
Nun drückt den Papst die Mitra, drückt die Krone
Des Königs Haupt, das Buch des Weisen Geist.
Ich schau' zum Himmel, der mir Licht verheißt.

Wie durchs Gewölk des Buches Spange gleißt!

Hier, wo sich wild Calabrias Felsen türmen,
Die heisern Wölfe heulen mit den Stürmen,
Hier bin ich nah des Himmels ewigen Pforten
Und richte mich nach des Apostels Worten:
Die Welt liegt mir vor Augen wie ein Bild.
Ein neuer Saft im welken Laube schwillt.

Hört schlaffe Herzen, neues Heil erquillt!

Der Engel spricht hoch in der Wolken Mitte:
Das Reich des Geistes naht, das wahre, dritte,
Da Land und Geld, da Gold und Schmuck der Erden
Und all ihr Gut zu niedrem Staube werden,
Da reich im Geist wird, wer von Not gedrückt,
Die Welt ein neuer, ewiger Frühling schmückt.

Die Nachricht hör' ich bebend und entzückt.

Er spricht im Sturme, spricht im Donnergrollen
Und ich versteh', was seine Zeichen wollen.
Zur Rechten seh' ich Sodom Roma blinken,
Byzanz Gomorrha sehe ich zur Linken,
Und Schuld und Irrtum wäge ich zumal
Und staune nicht mehr, daß die Welt in Qual.

Sein Wort zuckt nieder wie ein Wetterstrahl.

Das Reich des Vaters – mildes Sternenflimmern,
Das Reich des Sohnes – lächelnd Mondesschimmern,
Das Reich des Geistes wird als Sonne dauern:
Schon hör' ich seiner Boten Flug mit Schauern.
Zwei Reiche flohn, das dritte tritt hervor,
Schon steht es leuchtend an des Ostens Thor.

Es hebt das Buch der Engel hoch empor.

Das Reich der Satzung schwand, der strengen Pfade,
Das Reich des Glaubens schwand, der Buße, Gnade,
Das Reich der Liebe kommt für alle Zeiten!
Den Vorhof durftet ihr bis heut beschreiten,
Der Tag kommt, der ins Heiligste euch bringt;
Auf Rosen geht, die ihr auf Dornen gingt!

Ein Halleluja durch den Weltraum dringt.

O kommt zu einem Tische alle, alle!
Erst war die Bibel, dann erhob vom Falle
Die Botschaft der Apostel die Nationen –
Nun wird das ewige Evangelium thronen!
Dem Geiste bringt's die Freiheit und das Licht,
Das jede Fessel allgewaltig bricht.

Dies Reich des Geistes zeigt mir mein Gesicht.

Mein Wort will ihm die Wege offen halten!
Franziskus wird, sein Hohepriester, walten.
Was Christus anfing, wird von ihm vollendet.
Hat Christus mild zum Menschen sich gewendet,
Neigt' er zum Tier sich nieder herzensweich,
Hielt er in Liebe alle Wesen gleich.

Drum ist der Mittler er fürs dritte Reich. –

So sprach zu mir der Engel lichtumflossen,
Indessen ich den Rosenkranz beschlossen.
Dann wandt' ich mich, zur Welt hinabzuschauen.
Sie lag in Nacht und Dust, hier von den Klauen
Der Wölfin Rom gefaßt mit Grausamkeit,
Dort von Byzanz dem Henkertod geweiht.

Ich, Jachimo von Fior, künd' bessre Zeit.


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