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Vorwort zur zweiten Auflage

Es ist nun gerade dreißig Jahre her, daß diese Auswahl aus den Gedichten Jaroslav Vrchlickýs abgeschlossen wurde, und es war für den Dichter die Erfüllung eines Herzenswunsches, sie in Reclams Universal-Bibliothek eingereiht zu wissen. Denn dies bedeutete für ihn die größtmögliche Verbreitung und den Eintritt in die Weltliteratur. Tatsächlich ist der Name Vrchlický seither keinem literaraturkundigen Deutschen fremd und auch dem Auslande ist er dadurch vertraut geworden. – Als die Sammlung erschien, stand der Dichter im 42. Lebensjahre. Er hat seitdem noch eine ganze Reihe von Gedichtbüchern veröffentlicht, aus denen zur Vervollständigung des Gesamtbildes eine Auswahl geboten erscheint. Überdies hat das Leben des Dichters, dessen Daseinsfreude so hinreißend erklungen war, einen tieftragischen Abschluß erfahren, und auch dieser bleibt noch zu berichten, um so mehr, als er auch in den Gedichten einen erschütternden Ausdruck gefunden hat. So schien es angebracht, dem vorliegenden Neuabdruck einen Nachtrag anzuschließen, der in knappem Rahmen die erforderliche Ergänzung bringt.

Jaroslav Vrchlický (sprich: Wrchlitzki) ist ein Deckname, den der Dichter aus Schulrücksichten in jungen Jahren angenommen hat. Sein bürgerlicher Name war Emil Frida. Er wurde am 17. Februar 1853 in Laun geboren, wo sein Vater, ein regsamer, in allem Mißgeschick aufrechter Charakter, ein kleines Geschäft betrieb. Seine Mutter war eine stille, fromme Natur. Nach zurückgelegten Gymnasialstudien trat er ins theologische Seminar in Prag ein, das er jedoch bald verließ, um sich an der Universität den philosophischen Studien zu widmen. Nach deren Beendigung erhielt er eine Erzieherstelle beim Grafen Montecucoli-Laderchi, der er einen einjährigen Aufenthalt in Italien verdankte (1875-1876). Diese unmittelbare Berührung mit dem Süden und seiner Kultur war von entscheidendem Einfluß auf sein ganzes Leben. Wir besitzen dafür ein Zeugnis in seiner aufschlußreichen Korrespondenz mit der Romanschriftstellerin Sofie Podlipská, 1917 in Prag erschienen. Nach seiner Rückkehr übernahm er die Stelle an einem Pädagogium und wurde hierauf Sekretär der tschechischen Technik in Prag, welchen Posten er bis zum Jahre 1893 bekleidete. Im Bewußtsein dieser festen Stellung verheiratete er sich: seine Braut war die Tochter seiner mütterlichen Freundin Podlipská, Ludmilla (4. August 1871). Der Ehe entstammten zwei Töchter und ein Sohn. Die tschechische Universität erteilte dem Dichter in Anerkennung seiner literarischen Verdienste das Ehrendoktorat der Philosophie, und im Jahre 1893 wurde er zum Professor für moderne Literatur ernannt. Daneben war er als Theaterreferent tätig, redigierte mehrere literarische Unternehmungen und fungierte als Mitglied und Sekretär der 4. Sektion der tschechischen Akademie.

Seine Arbeitskraft schien unverwüstlich. Aber allmählich brauchte er seine Nerven doch auf. Trübe Anzeichen tauchten erst vereinzelt auf, am 16. September 1908 brach das Verhängnis herein. Ein Schlaganfall, dem bald andere folgten, machte seine geistigen Fähigkeiten völlig zunichte. Was er körperlich und geistig gelitten, ist furchtbar. »Er glaubt alle Qualen aus Dantes Hölle durchzumachen,« klagte mir einst seine Frau vor dem Krankenzimmer. Vier Jahre lebte der Dichter noch in der Umnachtung, bis ihn der Tod in Taus (Böhmerwald) am 9. September 1912 erlöste. – Schon vor der Katastrophe verdichteten sich die Beängstigungen Vrchlickýs zur Vorstellung, daß das Schwert des Damokles über seinem Haupte schwebe. Wie er sich in diesen schrecklichen Gedanken einbohrt, und wie er mit ihm ringt, gehört zu den ergreifendsten menschlichen Dokumenten, die wir besitzen. (Siehe den 2. Nachtrag.) Der Bruder des Dichters, der Dramaturg Friedrich Frida, der nach dem Tode Vrchlickýs die noch von ihm selbst betitelte Sammlung »Das Schwert des Damokles« herausgab, berichtet, daß der Dichter vor dem Zusammenbruch noch fieberhaft gearbeitet hat (bis zu zehn Gedichten an einem Tage!).

Vrchlickýs Persönlichkeit mußte jeden gefangennehmen. Sein schlichtes Wesen, dem auch nicht ein Stäubchen Pose anhaftete, seine fast kindliche Offenheit und seine grenzenlose Güte blieb jedem unvergeßlich. Seine äußere Erscheinung zeichnet der Dichter Antonin Klášterský in dem Gedicht: »Ein nächtlicher Gast« sehr anschaulich:

»Seine Gestalt im dunklen Havelok,
Ein Silbergreis, den Schnurrbart bis aufs Kinn,
Die Stirn in Falten, Furchen im Gesichte,
Doch gleich zwei blauen Sternen leuchtet drin
Ein Augenpaar von schönstem milden Lichte.«

Vrchlickýs schriftstellerische Fruchtbarkeit ist in neuerer Zeit beispiellos. Er hat 82 lyrische und lyrisch-epische Sammlungen, 36 dramatische Arbeiten, die Operntexte nicht mit eingerechnet, veröffentlicht, einen Roman »Puppen« und Novellen »Farbige Scherben« (übersetzt von Edmund Grün in der Universal-Bibliothek, Nr. 2567, 3137) und eine Reihe von literarhistorischen Studien. – Ein besonderes Blatt gebührt seinen Übersetzungen: es war seine deutliche Absicht, seinem Volke die größten Werke der Weltliteratur zu vermitteln. Seine ersten Arbeiten auf diesem Gebiete galten Victor Hugo, der ihm lange Muster und Meister war, und Dante ( Divina Commedia). Hierzu kamen, um nur das Wichtigste anzuführen, die Epen Tassos und Ariostos und die Gedichte von Michelangelo, Leopardi und Carducci, Corneilles »Cid«, Rostands »Cyrano«, Gedichte von Leconte de Lisle und Vigny, 15 Dramen von Calderon und einige von Lope, Camons' Lusiaden, Byrons »Manfred« und »Hebräische Melodien«, Shelleys »Gefesselter Prometheus«, Gedichte von Shelley, Tennyson und Whitman, Goethes »Faust« (siehe das Gedicht: »Nach der Beendigung der Faust-Übersetzung«), Schillers »Wilhelm Tell«, Hamerlings »Ahasver in Rom«, Gedichte von Lingg, K. F. Meyer, Mörike, »Dziady« von Mickiewicz und umfassende englische, französische und italienische Anthologien.

Das Hauptgebiet seiner Tätigkeit war die Lyrik und Ballade. Im Beginn stand er unter dem Einflusse französischer Muster, namentlich Victor Hugos, aber bald fand der Dichter seinen eigenen Ton, der sich durch machtvolle Intensität des Gefühls und kristallene Klarheit der Anschauung auszeichnet. Die Größe seiner Konzeption spricht sich vor allem in den Gedichten aus, in denen er gleichsam die Epopöe der Menschheit aufbaut, aber dichterisch noch höher stehen seine Naturstimmungen, deren tiefe Innigkeit kaum zu überbieten ist. Echte Leidenschaft glüht in seinen Liebesliedern. Und sie alle sind in eine Farbenpracht getaucht, die berauschend wirkt. Die Balladen umspannen alle Völker und Zeiten, aber vornehmlich spielen sie in der Antike und in der Renaissance, die heimatlichen Stoffe sind mit ungewöhnlicher Wucht behandelt. Eine besondere Vorliebe hat Vrchlický für das Sonett, das er meisterhaft handhabt. – Charakteristisch ist, daß er, wie er mir oft gesagt hat, nur im ersten Guß zu dichten vermochte: ein langes Feilen war seine Sache nicht. Gewiß hatte das auch Flüchtigkeiten zur Folge, aber die Unmittelbarkeit des ersten Wurfs sicherte den Schöpfungen den lebendigen Schwung, der den Leser mitreißt.

Von den längeren epischen Gedichten ist »Bar Kochba« (deutsch von Grafen Boos-Waldeck), eine Darstellung des Führers im jüdischen Aufstand gegen Kaiser Hadrian, das eindruckvollste, die bodenständige »Legende vom heil. Prokop« das frischeste, unter den Dramen ist das Verslustspiel: »Eine Nacht auf Karlstein«, in dessen Mittelpunkt Karl IV. steht, am volkstümlichsten geworden.

Wie jeder Führer, wurde schließlich auch Vrchlický von der nachdrängenden jungen Generation angefochten, und er hat es bitter genug empfunden. Heute gilt er unbestritten als die bedeutendste Erscheinung der tschechischen Literatur. Die Abhandlungen über ihn mehren sich von Tag zu Tag. Die erste eingehende Darstellung gab 1903 Dr. Jaromir Borecký, ihm folgten der Däne Alfred Jensen (1904) und F. V. Krej&#269;í (1913). Die »Gesellschaft Jaroslav Vrchlický«, dem Studium seiner Werke gewidmet, gibt seit 1915 ein Jahrbuch heraus.

Die ersten Übersetzungen von Gedichten Vrchlickýs gab 1886 Edmund Grün heraus. Eine umfassende Anthologie veröffentlichte 1893 Hofrat Eduard Albert mit mehreren Übersetzern, unter denen auch ich mich befand. Von anderen Übersetzern seien noch Br. Wellek und Marie Kwayßer genannt. Für meine Arbeit hat mir der Dichter handschriftlich eine Auswahl zusammengestellt, aus der ich dann die engere Auslese vornahm.

Am Schlusse stehe die vom Dichter selbst verfaßte Grabschrift, die sich im Nachlaß vorfand:

»Wanderer, halt hier Rast an Jaroslav Vrchlickýs Grabe,
Der, seiner Zeit Poet, fleißig, der Ameise gleich,
Mehrte der Heimat Schatz durch die schönsten Juwelen der Fremde,
Eigne Gedanken auch selbst prägte zu eherner Form.
Wenig ward ihm des Glücks, doch Freundschaft fand er und Liebe,
Jetzt in der Heimat Grund schläft er zufrieden und still.«

Prag, im August 1924.
Friedrich Adler.


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