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Freiheit für Westfalen

Vier Ansprachen. Münster, 10.8.1924

I.

Unsere Anwesenheit hier in der Hauptstadt Westfalens, der altehrwürdigen, für die Geschichte unseres Volkes so bedeutsamen Stadt Münster, soll Ihnen bekunden, daß die Reichsleitung wie die Preußische Staatsregierung sich mit dieser Provinz und ihrer Bevölkerung eng verbunden fühlen und mit Ihnen brüderlichen Herzens die Sorgen teilen, die Sie in besonderem Maße bedrängen. Seit anderthalb Jahren, seit dem Ruhreinbruch, liegen schwere Wolken auf diesem Lande, das die Schlagader unseres wirtschaftlichen Lebens in sich schließt; seit anderthalb Jahren sieht Westfalen und mit ihm die benachbarte Rheinprovinz, wie sinnlos Werte der Arbeit und der Kultur zerstört und vernichtet werden, wie verheerender Raubbau getrieben wird in einem Gebiet höchstentwickelter Arbeit, das in der Welt kaum seinesgleichen hat. Tausende haben die Treue zur Heimat, die Liebe zum Vaterlande mit Leben und Freiheit, mit der Vertreibung von Haus und Hof büßen müssen. Es ist Ehrenpflicht, auch heute mit Dankbarkeit und Bewunderung unserer Volksgenossen zu gedenken, die um Deutschlands willen Not und Verfolgung erduldeten. Erst nach langem Leiden ist nunmehr den Verfolgten – aber noch nicht allen – Freiheit und Rückkehr gegeben worden; Ihnen allen Freiheit, Heimat und Wohnstatt wiederzuerringen, wird nach wie vor unser rastloses Bemühen sein. Durch die Abschneidung vom Industriegebiet, durch die Rückwirkung vom besetzten Gebiet ist auch der unbesetzte Teil der Provinz Westfalen hart betroffen worden. Die einst so blühende Provinz sieht heute ihr Wirtschafts- und Kulturleben aufs schwerste geschädigt, auf eine harte Probe gestellt.

Das unverrückbare Ziel der Reichspolitik – das wissen Sie – ist, deutsches Land von fremder Besatzung zu befreien, Reichs- und Staatshoheit und die alte Selbstverwaltung wieder in ihre Rechte einzusetzen und der deutschen Bevölkerung Recht, freie Betätigung und wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeit wiederzugeben. Wir haben unseren Volksgenossen im besetzten und im Einbruchsgebiet immer und immer wieder gelobt, daß wir die opferbereite, selbstlose Treue, die sie dem Reiche, dem Vaterlande, in so bewunderungswürdiger Weise erwiesen haben, mit gleicher Treue erwidern werden. Treue um Treue! Das soll und darf kein klingender Spruch für festliche Versammlungen sein; Treue ist nicht Wort, sondern Tat! Sie fordert von uns, daß wir die Lasten, die unsere Brüder an Rhein und Ruhr bisher fast allein getragen haben, opferwillig und im Geiste sozialer Gerechtigkeit auf die Schultern aller Deutschen verteilen, daß wir bereit sind, schwere Bürden auf lange Jahre hinaus zu tragen, um so unseren Volksgenossen im Westen auf dem allein möglichen Wege ihre Menschenrechte und ihre Freiheit zu erkaufen. Nur in diesem Willen und nur für dieses Ziel können wir den Mut finden, die geforderte schwere Last auf uns zu laden, von der wir nicht wissen, ob wir nicht unter ihr zusammenbrechen werden. Aber neben allen Bedenken, neben allen ernsten Sorgen der Möglichkeit der Durchführung der übernommenen Verpflichtungen steht unsere Pflicht, die besetzten Gebiete in ihrer Not nicht allein zu lassen, und die Opferbereitschaft, alles zu tun, um den Brüdern und Schwestern an Rhein und Ruhr Leben und Freiheit zu gewinnen. Das ist die Treue, auf die sie Anspruch haben, die wir so oft ihnen gelobt haben und die nun opfervolle Tat des ganzen deutschen Volkes einlösen soll.

Nur die Tatsache, daß wir in all den Stürmen des Krieges und den Nöten des Nachkrieges unsere politische Einheit gewahrt und gerettet haben, daß uns das Reich geblieben ist, gibt uns die Kraft zum Vertrauen auf Deutschlands Zukunft. Nur ein gesunder, einheitlicher nationaler Wille, frei von allen Phantastereien, kann uns in der Welt die Achtung erzwingen, die unerläßlich ist, wenn Deutschlands Zukunft gesichert werden soll. In aller Not des unglücklichen Kriegsausganges und des Druckes außen- und innerpolitischer Machtfaktoren hat sich das Bewußtsein deutscher Schicksalsgemeinschaft stärker erwiesen als fremde Lockung und Gewalt, aber auch stärker als eigene Zwietracht. In allen diesen Kämpfen und Bedrängnissen hat unser Volk seine Einheit und seine staatliche Organisation gewahrt und hat diesem fundamentalen Grundgedanken, dem festgefügten Reiche, heute vor fünf Jahren in einem neuen Grundgesetz, der Verfassung von Weimar, Ausdruck gegeben. Schon deshalb haben wir ein Recht, des heutigen Tages zu gedenken und Herz und Sinne zu erheben zu unserem größten politischen Gute, der deutschen Einheit, dem Deutschen Reiche! Lassen Sie uns stets bei allem, was uns Deutsche sonst an Interessenwiderstreit und Weltanschauung trennt, dessen gedenken, daß nur in dieser Zusammengehörigkeit, einst schwer erkämpft und jetzt unter größten Opfern behauptet, die Wurzeln der Kraft liegen, die uns wieder aufwärts führen kann, und daß nur in dieser politischen Einheit auch der kulturelle und der ideale Geist wirken kann, der jeden wahren Aufstieg beseelen muß. In dieser Zusammengehörigkeit aller deutschen Stämme in Körper und Geist will die Reichsverfassung von Weimar die nationale Idee und den Gedanken der Demokratie vereinen: Die nationale Idee dadurch, daß die Einheit der Nation und ihre Bedeutung im Bewußtsein des ganzen Volkes lebt, den demokratischen Gedanken durch die verantwortungsbewußte Mitarbeit jedes Deutschen am Staate, durch die Betätigung des Willens des Volkes.

Nur auf dem festen und sicheren Rechtsboden, den vor fünf Jahren nach Monaten schwerer Wirrnisse die aus freier Wahl hervorgegangene Nationalversammlung in der Verfassung der Deutschen Republik uns gegeben hat, kann sich unsere weitere staatliche Entwicklung und unsere außenpolitische Zukunft vollziehen. Möge diese Erkenntnis immer weitere Wurzeln fassen und – unbeschadet der Weltanschauung und Parteimeinung – alle staatsbewußten Schichten unseres Volkes auf dieser Grundlage zusammenführen. Nur dann, wenn wir wenigstens in allen Grundfragen der Zukunft und des Lebens unserer Nation geschlossen zusammenstehen, können wir in diesem Drang der Zeit es wagen, unser Schicksal zu meistern und fest auf unsere Zukunft vertrauen.

II.

Deutschland ringt in dieser Stunde noch schwer um sein Dasein, um sein nacktes Leben, und wenn die Auseinandersetzungen, die in London von unseren Vertretern geführt werden, so außerordentlich hartnäckig und so furchtbar schwierig sind, so nicht zuletzt deshalb, weil es sich im Grunde darum handelt, Westfalen, dieses kerndeutsche Land, endlich frei zu machen, und zwar restlos frei zu machen von fremder Bedrückung. Es ist mir in dieser Stunde ein Bedürfnis, Ihnen zu sagen, daß es uns in der Reichsregierung und allen ein Herzensbedürfnis ist, diese Tage der Freiheit für Westfalen so schnell wie möglich herzustellen. Wir sind überzeugt, wenn wir erst diese große starke und wirtschaftlich mächtige Provinz mit ihrer kernhaften treudeutschen Bevölkerung frei haben und einstellen können in unser großes deutsches Befreiungswerk, daß dann auch die Stunde, wo wir sagen können: »Ganz Deutschland frei!«, nicht allzu fern sein wird.

III.

Wir von der Reichsleitung und der Preußischen Staatsregierung sind hierher gekommen, um mit den Vertretern Westfalens, und zwar mit den Vertretern aller Schichten der Bevölkerung, uns auszusprechen über die Verhältnisse und die Lage der Provinz und nach Mitteln und Wegen zu suchen, um die Sorgen und Wünsche, die dabei geltend gemacht werden, nach Möglichkeit zu berücksichtigen. Die Lage der Provinz ist besonders schwierig, und schon aus den kurzen Besprechungen, die wir bisher führen konnten, mußten wir ersehen, daß Abhilfe dringend geboten ist. Da darf ich Ihnen die Versicherung geben, daß wir von der Reichsleitung und der preußischen Staatsregierung alles tun werden, was in unserer Kraft liegt, um die Provinz Westfalen möglichst bald wieder freizumachen von allem fremden Druck und fremder Bedrückung, alles daran zu setzen, um unseren Gefangenen und Ausgewiesenen die Freiheit und die Heimat wiederzugeben, alle Fesseln der Wirtschaft in dieser industriell so außerordentlich wichtigen Provinz zu beseitigen, damit sie sich frei entfalten kann und damit sie die Möglichkeit hat, ihre sozialen Pflichten gegen die arbeitende und schaffende Bevölkerung zu erfüllen. Wir sind aber auch hierher gekommen, um an der Verfassungsfeier teilzunehmen, um mit Ihnen gemeinsam des Tages zu gedenken, wo heute vor fünf Jahren nach schwerem staatlichen Zusammenbruch Deutschlands die aus freier Wahl hervorgegangene Nationalversammlung in Weimar ein neues Grundgesetz, die demokratisch-republikanische Verfassung geschaffen hat. Nicht der Hang zur Festlichkeit führt uns dazu, diesen Tag zu begehen, sondern das Bekenntnis zu diesem Staat wollen wir ausdrücken, das Bekenntnis zu unserem demokratischen Volksstaat, das Bekenntnis zur Deutschen Republik und das Bekenntnis, daß wir entschlossen sind, sie mit aller Kraft zu verteidigen. Aber auch um das Bekenntnis abzulegen für unser Vaterland, für Deutschland, das Bekenntnis zu einem starken nationalen Willen, der zum Ziele hat, Deutschlands Leben und Dasein zu kräftigen, Deutschlands Zukunft sicherzustellen und glücklicher zu machen als heute.

IV.

Ich lege das größte Gewicht darauf, gerade mit den Herren, die aus dem Vertrauen der Bevölkerung hervorgegangen sind, sei es in parlamentarischer Tätigkeit, oder sei es in der Tätigkeit der Selbstverwaltung, zusammenzukommen. Ich stimme mit dem Herrn Oberpräsidenten darin überein, daß wir in politischer Meinung auseinandergehen können. Wir können unsere Weltanschauungen nicht ändern, aber das, glaube ich, sollte doch die Grundlinie für jeden sein, der gewillt ist, an den Lebensnotwendigkeiten, an der Zukunft unseres Vaterlandes mitzuarbeiten, daß man sich über gewisse Grundfragen, die für uns gleichmäßig Lebensfragen sind, verständigt und dann auf dieser Linie zusammenarbeitet ohne Rücksicht auf die Partei. Ich habe diese Auffassung immer vertreten und ich freue mich, daß sie in den Worten des Herrn Oberpräsidenten wiedergekehrt ist. Dann darf ich meiner Freude und Genugtuung Ausdruck geben, daß Sie als Vertreter der Provinz Westfalen, die so außerordentlich schwere Monate hinter sich hat, bei aller Anerkennung unseres behördlichen Apparates es nicht verkennen, daß dieser schwere Kampf nur geführt werden konnte, wenn auch die Führer des politischen und Wirtschaftslebens zusammen mit den behördlichen Organisationen sich in die vordere Kampffront gestellt haben. Das ist hier geschehen. Man darf sagen, ohne Rücksicht auf die soziale Stellung, ohne Rücksicht auf die politische Stellung haben alle Bevölkerungsschichten in diesen schweren Monaten gestanden wie ein Mann. Das ist etwas, auf das wir Deutschen stolz sein können, das Vorbild für uns alle.


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