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Der Geist von 1848.

Zwei Ansprachen bei der Gedenkfeier in Frankfurt am 18.5.1923

I.

Ihnen, Herr Oberbürgermeister, und der Stadt Frankfurt, die in ihrer reichen Geschichte vor 75 Jahren jene großen und hoffnungsfrohen Tage der Paulskirche verzeichnet hat, danke ich dafür, daß Sie trotz der schmerzenden Sorge dieser Tage uns zu der heutigen Feier hier versammelt haben, zu einer stillen Stunde der Erinnerung an die Vorkämpfer deutscher Einheit und deutscher Freiheit. Die Zeit, die wir erleben, ist nicht berufen, Feste zu feiern; aber gerade die gegenwärtigen schweren Anschläge und Anstürme unserer Gegner gegen unsere nationale Freiheit und den Bestand des Reiches müssen uns besonderen Anlaß geben, des Zusammentritts der ersten Deutschen Nationalversammlung und jener Tage in Dankbarkeit zu gedenken, in denen das deutsche Volk sich dazu aufraffte, sein Geschick und sein Leben in die eigene Hand zu nehmen.

In den Freiheitskriegen hatte das deutsche Volk in freiwilliger und bewußter Hingabe an den Gedanken einer deutschen Nation sich die äußere Freiheit errungen; sein Streben, nun auch aus der deutschen Vielstaaterei zum nationalen Staat auf freiheitlicher Grundlage, zum Reich zu kommen, scheiterte an dem Widerstand der deutschen Fürsten, dem nationalen Gedanken ein Opfer an Souveränitätsrechten zu bringen. Treulich bewahrte aber trotz alledem das deutsche Volk seit den Freiheitskriegen im Zeichen des schwarzrotgoldenen Banners das Ideal der Einigung der deutschen Stämme und der inneren Freiheit. In der großen Volksbewegung, die 1848 wie andere Nationen auch die Deutschen erfaßte, sollte an dieser Stätte das politische Streben der Besten und Bedeutendsten der Nation, sollte der Volksstaat des einigen und freien Deutschland Verwirklichung finden. Zum ersten Male ging aus allgemeinen Wahlen des ganzen deutschen Volkes eine Vertretung Deutschlands hervor, die Nationalversammlung, ein Parlament von hohem geistigen Schwung, von edelstem Wollen und starkem nationalen Bewußtsein. Dieser ersten Nationalversammlung gelang es, die Grundrechte des deutschen Volkes und die Verfassung des einigen Deutschen Reiches zu schaffen, aber es gelang ihr nicht, das Reich selbst aufzurichten. Dazu fehlten ihr die realen Machtmittel; am Geiste der Kleinstaaterei scheiterte ihr nationaler Wille. So wurde die Arbeit der Paulskirche nicht Wirklichkeit; sie ist aber ein Denkstein geworden, der weit und sichtbar hineinragt in die weitere Entwicklung des staatlichen Lebens der Nation, in die Zeit der Gründung des Reichs wie in die schweren Zeiten unserer neuesten Geschichte. Denn, als wiederum, 70 Jahre später, im Winter 1918/19 das deutsche Volk gezwungen war, sein Geschick selbst in die Hand zu nehmen, sein Staatswesen in den Nöten der Zeit neu aufzubauen, führte uns die Arbeit von Weimar zur Frankfurter Paulskirche zurück, zu den Leitgedanken, die einst an dieser Stätte geboren sind. So schlingt sich über gute und böse Tage hinüber das Band, das uns von heute mit den Kämpfern der Ersten Nationalversammlung verbindet.

Einheit, Freiheit und Vaterland! Diese drei Worte, jedes gleich betont und gleich wichtig, waren der Leitstern, unter dem die Paulskirche wirkte. Sie sind auch Kern und Stern des Daseinskampfes, den wir heute an Rhein, Ruhr und Saar zu führen gezwungen sind. Dort stehen wir in entschlossener Abwehr, um das einige Reich, um unsere Freiheit zu erhalten, dort kämpfen alle Volksgenossen mit äußerster Hingabe für den Staat des deutschen Volkes.

II.

Es gilt, des Tages zu gedenken, an dem hier vor 75 Jahren die Männer der Paulskirche die nationale Einheit schaffen wollten. Sie hatten einen Volksstaat auf demokratischer Grundlage zum Ziele. Dieses Ziel wurde damals nicht erreicht, aber wir sind jenen Bestrebungen treu geblieben. Heute haben wir den demokratischen Volksstaat, ein Volk, ein Vaterland. Legen wir das Gelöbnis ab, ihn zu bewahren und zu stärken! Unser Vaterland ist bedroht und bedrückt. Es ist unsere Pflicht, alle Kräfte zusammenzuhalten, alle Arbeit dem Vaterlande und seiner Zukunft zu leisten.


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