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Die Nöte der Rheinlande

Begrüßung des Kölner Männergesangvereins. Berlin, 25.4.1922

Einen recht herzlichen Willkommensgruß rufe ich Ihnen, meine Herren vom Kölner Männergesangverein, zu. Sie sind vom Rhein in die Reichshauptstadt gekommen, um heute Bande zu knüpfen und das Interesse für die Nöte unserer Rheinlande zu stärken. Groß sind Ihre Sorgen und Kümmernisse, die Sie neben der allgemeinen Not unseres Volkes tragen müssen. Seien Sie versichert, daß auf uns allen schwer das Bewußtsein lastet, daß unsere regsamen und arbeitsfreudigen Volksgenossen im Westen gehindert werden, ihre Kräfte frei zu entfalten, und ungehemmt mitzuarbeiten an der Wiederaufrichtung unseres staatlichen und wirtschaftlichen Lebens. Die fremde militärische Besetzung im Frieden und die Art ihrer Durchführung ist für ein Volk von der kulturellen und wirtschaftlichen Bedeutung des deutschen ein hartes Schicksal, ein Schicksal, das in der Geschichte wohl ohne Beispiel ist. Ich erinnere nur an die zermürbende Wirkung der Rechtsunsicherheit, an die riesigen Kosten für die übergroße Zahl der Besatzungsstreitkräfte, an die Ansprüche auf Unterbringung, die die Wohnungsnot außerordentlich steigern. Dazu kommt, daß wir trotz äußerster Anstrengungen für die Erfüllung der Friedensbedingungen fortgesetzt mit weiteren Gewaltmaßregeln bedroht werden. Wie soll dabei die Atmosphäre des Friedens aufkommen? Und doch braucht die Welt, braucht jedes Volk den Frieden so notwendig wie das tägliche Brot. Ohne gegenseitiges Vertrauen, ohne friedliche Zusammenarbeit aller Völker ist das Schicksal Europas besiegelt. Diese Gefahr für die Anbahnung eines wahrhaften Friedens muß immer wieder der Welt vor Augen geführt werden.

Die rheinische Bevölkerung ist in erster Linie von diesen Leiden betroffen; ich bitte Sie aber, überzeugt zu sein, daß wir in brüderlichem Mitgefühl Ihre Last mittragen und im Gefühl unserer nationalen Zusammengehörigkeit mit ihr unter dem Druck fremder Gewalten leiden. Das Rheinland hat im Laufe dieser schweren Jahre immer erneute Beweise seiner Treue zum Vaterlande gegeben. Die von außen in das Land hineingetragenen und von einigen phantastischen Eigenbrötlern und Abenteurern bedenklichster Art im Land geförderten Wahngedanken einer Trennung vom Reiche hat das rheinische Volk mit Entrüstung von sich gewiesen. Es hat deshalb den Mahnruf »Seid treu« nicht nötig. Für dieses unerschütterliche Aushalten danke ich Ihnen und allen Rheinländern von ganzem Herzen und gebe Ihnen die Versicherung, daß ebenso das übrige Deutschland stets Treue um Treue vergelten wird.

Sie bringen uns nun Grüße Ihrer liederfrohen Heimat; deutsche Kunst hat von jeher in jeder Form und Betätigung am Rhein besondere Pflege gefunden. Sie wollen uns zeigen, daß das deutsche Lied wie in besseren Tagen so besonders in dieser Zeit der Not noch Herz und Sinne erheben kann. Der Kölner Männergesangverein blickt in diesen Tagen auf eine achtzigjährige überaus erfolgreiche Vergangenheit zurück. Weit über seine Heimatstadt hinaus ist sein Ruf als einer der allerersten und besten Männerchöre bekannt und gefestigt. So bieten Ihre hiesigen Sangesbrüder, mit denen Sie manch edlen Wettstreit ausgefochten haben, und die Reichs- und Staatsbehörden Ihnen heute freudig herzlichsten Empfang. Ich wünsche und hoffe aufrichtig, daß Sie aus diesen Tagen in Ihre schöne engere Heimat die Gewißheit mitnehmen: So weit deutsches Wort und deutsches Lied klingt, so stehen wir auch in bösen wie in guten Tagen als Glieder eines Volkes, eines Reiches treu zusammen, geeint in dem Wunsche nach der Erhaltung und dem Wiederaufbau unseres geliebten Vaterlandes.


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