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Kampf gegen die Regierung

Aus einer Reichstagsrede. 9.10.1917

Ich habe nicht die Absicht, in die Debatte selbst einzugreifen. Mein Parteifreund David hat vorhin unsere Stellung zu den Kriegszielen und zu den Fragen, die uns seit Sonnabend hier beschäftigen, eingehend dargelegt. Ich habe mich nur namens meiner Freunde zu den Vorgängen zu erklären, die vorhin im Hause mit Recht großes Aufsehen erregten. Der Herr Reichskanzler und der Herr Staatssekretär der Marine haben gegen einzelne Mitglieder der Partei der Unabhängigen Sozialdemokraten und gegen die Partei selbst die allerschwersten Anklagen erhoben. Der Herr Reichskanzler ist sogar soweit gegangen, die weitestgehenden politischen Konsequenzen gegenüber dieser Partei zu ziehen. Wenn die Reichsleitung überhaupt diesen Schritt hier unternehmen wollte, dann hätte sie nach meiner Ansicht zunächst doch einmal die innen- und außenpolitische Wirkung eines solchen Vorgehens beurteilen müssen. Man hätte überhaupt den Gedanken, hier in die Debatte des Parlaments plötzlich mit dieser Anklage hineinzufahren, nur dann erwägen dürfen, wenn absolut einwandfreies und in sich selbst zweifellos schlüssiges Material vorhanden gewesen wäre. Aber auch selbst dann hätte dieses Vorgehen noch zurückgewiesen werden müssen. Wenn die Reichsregierung glaubt, daß einzelne Mitglieder dieses Hauses sich gegen die Strafgesetze vergangen haben, dann hat der Reichstag in seiner Geschäftsordnung einen geregelten Weg vorgeschrieben, wie das Verfahren einzuleiten ist. Es ist unerhört, ohne die Angeschuldigten vorher zu unterrichten, plötzlich mit so schweren Anklagen vor aller Öffentlichkeit im Parlament hervorzutreten. Dieses Vorgehen müssen wir auf das allerentschiedenste verurteilen.

Wie ist nun das Vorgehen an sich sachlich begründet? Nach dem Material, das der Herr Staatssekretär der Marine hier vorgetragen hat, muß ich erklären, daß die von ihm erhobenen Anklagen nicht gerechtfertigt sind. Daß Soldaten mit Parlamentariern verhandeln, ist eine Erscheinung, die im Kriege besonders lebhaft zutage getreten ist. Mit den Kollegen meiner Fraktion, mit der Fraktionsleitung verkehren Hunderte und Tausende von Soldaten schriftlich und mündlich. Wir haben es immer als unsere Pflicht betrachtet, die Klagen und Wünsche unserer Feldgrauen auf das sorgfältigste zu prüfen, soweit sie berechtigt sind, auf die richtigen Wege zu leiten, und für die berechtigten Beschwerden einzutreten. Dieses Recht würden wir uns von keiner Seite streitig machen lassen. Wir werden es immer als unsere Pflicht betrachten, ganz offen und energisch für die Rechte unserer Soldaten einzutreten. Daraus irgend etwas politisch Verdächtiges herzuleiten, ist durchaus falsch.

Was weiter vom Herrn Staatssekretär vorgetragen worden ist, läßt darauf schließen, daß die Partei der Unabhängigen Sozialisten in der Marine Agitation für ihre Bestrebungen entfaltet hat. Ja, meine Herren, es steht jeder Partei dieses Hauses offen, für ihre Aufgaben und Ziele Propaganda zu treiben. In den letzten Tagen haben wir hier festgestellt, daß im Heer und in der Marine vor den Augen ihrer Leiter eine wüste Agitation betrieben wird, die vielfach von militärischen Stellen getragen ist, die sich gegen die Politik der Mehrheit des Reichstags und der überaus großen Mehrheit unseres Volkes richtet. Wenn nun die Heeresleitung die Politik selbst in das Heer hineinträgt, dann darf sie sich nicht beschweren, wenn andere Parteigruppen ebenfalls im Heere Propaganda treiben. Weiter aber ist, soweit ich das Material beurteilen kann, das der Herr Staatssekretär der Marine vorgetragen hat, gegen die Unabhängige Partei nichts festgestellt. Deshalb scheint uns auch sachlich das ganze Vorgehen durchaus ungerechtfertigt zu sein, und wir müssen es entschieden mißbilligen.

Der Herr Reichskanzler hat mit seiner Erklärung der ganzen Sache noch die Krone aufgesetzt. Er hat kurzerhand aus dem Armgelenk heraus eine Partei außerhalb des Rechts gestellt. Mein Freund David hat sofort nach ihm darauf hingewiesen, daß meine Partei immer die politische Gleichberechtigung aller Staatsbürger verfochten hat. Es ist geradezu unbegreiflich, wie in einer Zeit, wo sich unser Land in der schwersten Situation befindet, wo die Zusammenfassung aller Kräfte unseres Volkes die höchste Aufgabe der Regierung sein müßte, die Regierung einen Teil unseres Volkes – mag er groß oder klein sein, das kommt hier nicht in Betracht – außerhalb des Rechts zu stellen versucht. Das ist ein Rückfall in die alte Auffassung der Ausnahmegesetzgebung, die wir auf das allerschärfste verurteilen müssen. Ein solches Vorgehen, eine solche Erklärung konnte nur von einer Regierung erfolgen, die sich – nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich will es offen aussprechen – ihrer großen Verantwortung nicht bewußt und ihrer hohen und großen Aufgabe, die auf ihr lastet, in keiner Weise gewachsen ist, und ich spreche es weiter offen aus: Jeder Tag, der das deutsche Volk früher von dieser Regierung befreit, wird von uns begrüßt werden. Sollte aber die Reichsleitung wirklich eine solche Politik einschlagen, wie sie der Herr Reichskanzler angekündigt hat, so werden wir es als unsere höchste Aufgabe betrachten, sie mit dem Einsatz unserer ganzen Kraft und unseres ganzen Pflichtbewußtseins auf das rücksichtsloseste zu bekämpfen.


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