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Drei Kundgebungen bei Bekanntgabe der Friedensbedingungen

Berlin, 9. und 18.5.1919

I.

Der ehrliche Friedenswille unseres schwer duldenden Volkes fand die erste Antwort in ungemein harten Waffenstillstandsbedingungen. Das deutsche Volk hat die Waffen niedergelegt und alle Verpflichtungen des Waffenstillstandes, so schwer sie waren, ehrlich gehalten. Trotzdem setzten unsere Gegner 6 Monate lang den Krieg durch Aufrechterhaltung der Hungerblockade fort. Das deutsche Volk trug alle Lasten im Vertrauen auf die durch die Note vom 5. November von den Alliierten gegebene Zusage, daß der Friede ein Frieden des Rechts auf der Grundlage der 14 Punkte Wilsons sein würde.

Was uns statt dessen jetzt in den Friedensbedingungen geboten wird, widerspricht der gegebenen Zusage, ist für das deutsche Volk unerträglich und auch bei Aufbietung aller Kräfte unerfüllbar. – Gewalt ohne Maß und Grenzen soll dem deutschen Volk angetan werden. Aus solchem aufgezwungenen Frieden müßte neuer Haß zwischen den Völkern und im Verlauf der Geschichte neues Morden erwachsen. Die Welt müßte jede Hoffnung auf einen die Völker befreienden und heilenden, den Frieden sichernden Völkerbund begraben. Zerstückelung und Zerreißung des deutschen Volkes, Auslieferung der deutschen Arbeiterschaft an den fremden Kapitalismus zu menschenunwürdiger Lohnsklaverei, dauernde Fesselung der jungen deutschen Republik durch den Imperialismus der Entente sind das Ziel dieses Gewaltfriedens.

Die deutsche Volksregierung wird den Friedensvorschlag der Vergewaltigung mit dem Vorschlag des Friedens des Rechts auf der Grundlage eines dauernden Völkerfriedens beantworten. Die tiefe Erregung, die alle deutschen Volkskreise ergriffen hat, legt Zeugnis dafür ab, daß die deutsche Regierung den geschlossenen Willen des Volkes zum Ausdruck bringt. Die deutsche Regierung wird alle Kräfte anspannen, um für das deutsche Volk dieselbe nationale Einheit und Unabhängigkeit und dieselbe Freiheit der Arbeit in Wirtschaft und Kultur zu erringen, welche die Alliierten allen Völkern Europas geben wollen – nur unserem Volke nicht.

Unser Volk muß sich durch eigenes Handeln retten. Angesichts dieser Gefahr der Vernichtung müssen das deutsche Volk und seine von ihm selbstgewählte Regierung zusammenstehen. Ohne Unterschied der Partei möge Deutschland sich zusammenschließen in dem einmütigen Willen, das deutsche Volkstum und die gewonnene Freiheit zu bewahren. Jeder Gedanke, der ganze Wille der Nation gehören jetzt der Arbeit für die Erhaltung und Wiederaufrichtung unseres Vaterlandes. Die Regierung ruft alle Volksgenossen auf, in dieser schweren Stunde mit ihr auszuharren in wechselseitigem Vertrauen auf dem Wege der Pflicht und im Glauben an den Sieg der Vernunft und des Rechts.

II.

Ich danke Ihnen herzlich für die machtvolle Kundgebung, die Sie, wie ich höre, in allen Stadtteilen mit großem Erfolg veranstaltet haben. Wir müssen uns rühren und handeln. Wir müssen unsere letzte Kraft einsetzen gegen die drohende Vergewaltigung. Millionen Volksgenossen in Deutschland und Deutsch-Österreich sollen ihrer Rechte beraubt und geknechtet werden. Unser Volk, wir alle, sollen bettelarm werden. Unsere Industrie, unsere Wirtschaft sollen vernichtet, politisch sollen wir für vogelfrei erklärt werden. Rechtlos macht man uns allen anderen Nationen gegenüber. Wir wären ehrlos, wenn wir uns nicht dagegen mit aller Kraft wenden würden, die in uns wohnt. Im Namen der Regierung kann ich Ihnen versichern: Wir können und werden diesen Frieden nicht unterschreiben! Schwere Tage stehen uns bevor. Helfen Sie uns! Lassen Sie es nicht bei dieser einen Demonstration bewenden. Das ganze deutsche Volk muß sich hinter uns stellen und uns stützen in dem Kampf um den Frieden, der uns Recht und Lebensmöglichkeit sichern soll.

III.

Meine Damen und Herren! Ich habe mit Ihrer Deputation gesprochen und gehört, daß sie in den verschiedensten Stadtteilen machtvolle und eindrucksvolle Kundgebungen gegen den Frieden, den man uns zumutet, veranstaltet haben. Ich sehe auch, daß Sie zu Zehntausenden hier erschienen sind, um Ihrem Protest Ausdruck zu verleihen. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für diese Kundgebung. Es geht ein Schrei der Entrüstung und Empörung durch unser ganzes Volk – und mit Recht. Wir wären ehrlos und würdelos, wenn wir nicht unsere ganze Kraft aufbieten gegen die Schmach, die uns angedroht wird. Man will nicht allein Millionen deutscher Volksgenossen vergewaltigen, man will uns finanziell erwürgen, man will uns wirtschaftlich ruinieren, man will uns rechtlos machen in der ganzen Welt. Die Arbeiterklasse vor allem wäre es, die unter diesen schmachvollen Bedingungen elend und jämmerlich zusammenbrechen würde. Wir wären nicht in der Lage, unsere industrielle Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Die Arbeitslosigkeit, die heute schon durch die Straßen heult, würde sich vermehren. Tausende und Abertausende deutscher Arbeiter wären gezwungen, das Vaterland zu verlassen und draußen in der Welt jämmerliche Arbeitsbedingungen aufzusuchen, um dann schmählich unterzugehen. Niemals darf sich ein Volk von siebzig Millionen solche schmachvollen Bedingungen gefallen lassen! Die deutsche Regierung wird diese Bedingungen nie und nimmermehr annehmen. Wir lehnen sie ab, mag da kommen, was auch kommen mag. Und in diesen schicksalsschweren Tagen, die uns bevorstehen, in dem Kampf um Sein oder Nichtsein des deutschen Volkes ist es notwendig, daß Mann und Frau, jung und alt, sich hinter uns stellen und mit uns gemeinsam für Menschenwürde, Freiheit und Dasein kämpfen. In diesem Sinne fordere ich Sie auf, einzustimmen: Das junge republikanische Deutschland, die Völkerversöhnung und der Friede, sie leben hoch!«


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