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Goethe und wir

26.-28.2.1922

Zwei Reden zur Eröffnung der Frankfurter Goethe-Woche

I.

Die Bedeutung der Frankfurter Goethetage wurde dahin gekennzeichnet, daß das deutsche Volk in der Erinnerung an Goethe als einen seiner größten Söhne den Begriff echter und wahrer Kulturwerte vor aller Welt klarstellen wolle. Damit ist Goethe, seine dichterische Gestalt sowohl als sein ganzes bedeutendes Erdenleben als Mensch, gewissermaßen als Symbol aufgestellt für das, was wir selbst unter deutschem Wesen verstehen und was die Welt darunter verstehen sollte.

Diese Forderung ist nicht neu an sich. Ein kleiner, freilich immer wachsender Kreis des geistigen Deutschlands hat dies stets so empfunden und die Meinung vertreten, daß Goethe, der wie jedes Genie seiner Zeit vorauslebte, erst von späteren Geschlechtern voll gewürdigt und als ein Führer der ganzen Nation angesehen werde.

Neu ist aber, daß wir jetzt Lebenden das Bewußtsein haben, daß diese Zeit erfüllt ist und daß wir entschlossen sind, Goethe aus dem kleinen Kreis fachgelehrter Bewunderer herauszuführen und ihn der ganzen Nation zu geben, für die er gelebt hat.

Darin sehe auch ich die besondere Bedeutung Ihrer Veranstaltung und deshalb bin ich und sind mit mir die offiziellen Vertreter der Reichs- und preußischen Regierung Ihrer freundlichen Einladung gern gefolgt. Wo der Versuch unternommen werden soll, Goethe als den großen Menschen zu feiern, in dessen Licht und Wärme sich die ganze lebende Generation, das ganze Volk und auch seine politische Organisation, das Reich, die Länder, stellen sollen, darf auch die amtliche Leitung des Reiches und des Landes nicht fehlen. Nach dem, was wir im letzten Jahrzehnt erlebt haben, haben wir es bitter nötig, nach solchen Wegweisern für unsere Gegenwart und Zukunft zu suchen. Goethe ist ein solcher Wegweiser, nicht allein weil er ein großer Dichter war und die bedeutendsten Geschenke an die Menschheit hinterlassen hat, sondern weil in diesen Werken und in seinem Leben alles auf das Glücklichste entwickelt worden ist und sich offenbarte, was der Deutsche nach seiner ganzen Veranlagung und nach seiner Stellung im Kreise der Kulturvölker zu leisten vermag.

Lassen wir uns in dieser Auffassung durch nichts beirren. Wohl ist richtig, daß Goethe das Nationale in das Menschliche hinausentwickelt und an fremden Kulturquellen gerne und freudig geschöpft hat. Aber das soll uns nicht hindern, auch hierin seinen großen objektiven Weltgeist zu achten und zu bewundern. So wollen wir Goethe für unsere Zeit gewinnen, weil wir glauben, daß in ihm das deutsche Volk ein Fundament findet, auf dem es seine Gegenwart und Zukunft sicher errichten kann.

In diesem Sinne möge von den Frankfurter Tagen ein neuer Impuls für das geistige und politische Deutschland ausgehen und Goethe zum zweiten Male von Frankfurt aus seinen Weg in das deutsche Volk gehen, von der Stadt aus, die wie keine andere in Deutschland geeignet und berufen ist, die Tradition ihres großen Sohnes zu pflegen und in ihrer glücklichen Lage an dem Flusse, der den Süden und Norden Deutschlands trennt, ein festes Bindeglied zu sein zwischen Ländern, Stämmen und Menschen verschiedener Eigenart. Wie Goethe nicht der Frankfurter Bürgersohn geblieben ist, sondern sich zu einem Geist entwickelte, in dem ganz Deutschland, die ganze Welt sich spiegelte, so ist auch das heutige Frankfurt nicht mehr das Frankfurt der Goethe-Zeit, sondern eine Stadt, deren Horizonte weit über Deutschland in die Welt hinausgewachsen sind. Mögen beide, die Stadt und ihr großer Sohn, unserem Volke dergestalt Führer sein, daß es Herkunft, Vergangenheit und Heimatliches treu bewahrt, diesen festen Besitz aber so entwickelt, daß er mehr und mehr auch fremder Achtung und Bewunderung zugänglich wird.

II.

Ich bin gern wieder nach Frankfurt gekommen, dieser schönen Stadt am Main, die so recht als Furt Nord- und Süddeutschland verbindet. Als ich im Herbst 1919 zum Besuche der ersten Frankfurter Messe hier weilte, hatte ich das Gefühl, daß Frankfurt, seiner großen Geschichte getreu, alles daran setzt, um auch unter ungünstigen Verhältnissen sich weiter zu entfalten. Frankfurt hat sich schon lange durch eine weitausschauende und großzügige Kommunalpolitik ausgezeichnet, und diese hat sich gerade in den schweren Jahren der Nachkriegszeit glänzend bewährt. Handel und Industrie der Stadt haben sich, von Unternehmungsgeist und Tatkraft seiner Bewohner neu belebt, nicht ungünstig entwickelt; mit der Veranstaltung von Messen hat Frankfurt schöne Erfolge erzielt und seinen Ruf als alte, bedeutende Handelsstadt befestigt. Die Universität konnte, wie ich zu meiner Freude gehört habe, überraschend schnell ausgebaut werden und zählt eine stattliche Schar von Besuchern; so ist Frankfurt, in dem die Pflege der Wissenschaften stets opferwillige Förderer fand, auch eine geistige Pflanzstätte geworden, nicht die geringste unter ihren Schwestern im Reiche.

Wir sind hier zusammengekommen, um Frankfurts größten Sohnes zu gedenken und in der Erinnerung an ihn aufs neue die großen Kulturgüter zu würdigen, die er und der Geist, der von ihm ausging, unserem Volk als unvergänglichen und bleibenden Besitz gegeben hat. Das Bewußtsein dieser hohen geistigen und kulturellen Werte unseres Volkes gibt uns auch den Mut und das Recht, der Zukunft Deutschlands zu vertrauen. Das deutsche Volk macht wahrlich eine bittere Schule der Leiden und Prüfungen durch, aber wenn wir die feste Hoffnung haben, daß wir uns hindurchringen werden, so wissen wir, daß wir in der Hauptsache doch nur auf uns gestellt sind und alle Kräfte zusammenfassen und anspannen müssen.


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