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Zur Eröffnung der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung

Rede. Weimar, 6.2.1919

Meine Damen und Herren, die Reichsregierung begrüßt durch mich die Verfassunggebende Versammlung der deutschen Nationen. Besonders herzlich begrüße ich die Frauen, die zum erstenmal gleichberechtigt im Reichsparlament erscheinen. Die provisorische Regierung verdankt ihr Mandat der Revolution; sie wird es in die Hände der Nationalversammlung zurücklegen. In der Revolution erhob sich das deutsche Volk gegen eine veraltete, zusammenbrechende Gewaltherrschaft. Sobald das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes gesichert ist, kehrt es zurück auf den Weg der Gesetzmäßigkeit. Nur auf der breiten Heerstraße der parlamentarischen Beratung und Beschlußfassung lassen sich die unaufschiebbaren Veränderungen auch auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiete vorwärts bringen, ohne das Reich und sein Wirtschaftsleben zugrunde zu richten. Deshalb begrüßt die Reichsregierung in dieser Nationalversammlung den höchsten und einzigen Souverän in Deutschland. Mit den alten Königen und Fürsten von Gottes Gnaden ist es für immer vorbei. Wir verwehren niemandem eine sentimentale Erinnerungsfeier, Aber so gewiß diese Nationalversammlung eine große republikanische Mehrheit hat, so gewiß sind die alten gottgegebenen Abhängigkeiten für immer beseitigt. Das deutsche Volk ist frei, bleibt frei und regiert in aller Zukunft sich selbst. Diese Freiheit ist der einzige Trost, der dem deutschen Volke geblieben ist, der einzige Halt, an dem es aus dem Blutsumpf des Krieges und der Niederlage sich wieder herausarbeiten kann.

Wir haben den Krieg verloren. Diese Tatsache ist keine Folge der Revolution. Meine Damen und Herren, es war die Kaiserliche Regierung des Prinzen Max von Baden, die den Waffenstillstand einleitete, der uns wehrlos machte. Nach dem Zusammenbruch unserer Verbündeten und angesichts der militärischen und wirtschaftlichen Lage konnte sie nicht anders handeln. Die Revolution lehnt die Verantwortung ab für das Elend, in das die verfehlte Politik der alten Gewalten und der leichtfertige Übermut der Militaristen das deutsche Volk gestürzt haben. Sie ist auch nicht verantwortlich für unsere schwere Lebensmittelnot. Die Tatsache, daß wir durch die Hungerblockade Hunderttausende von Menschenleben verloren haben, daß ihr Hunderttausende von Männern, Frauen, Kindern und Greisen zum Opfer gefallen sind, widerlegt die Redensart, daß wir ohne die Revolution mit unsern Lebensmitteln ausgereicht hätten. Niederlage und Lebensmittelnot haben uns den gegnerischen Mächten ausgeliefert.

Aber nicht nur uns, auch unsere Gegner hat der Krieg ungeheuer erschöpft. Aus dem Gefühl der Erschöpfung bei unseren Gegnern entspringt ihr Bestreben, sich schadlos zu halten am deutschen Volke, wird der Ausbeutungsgedanke in das Friedenswerk hineingetragen. Diese Rache- und Vergewaltigungspläne fordern den schärfsten Protest heraus. Das deutsche Volk kann nicht auf 20, 40 oder 60 Jahre zum Lohnsklaven anderer Länder gemacht werden. Das furchtbare Unglück des Krieges für ganz Europa kann nur wieder gutgemacht werden durch Handinhandgehen der Völker. Angesichts des Massenelends auf allen Seiten erscheint die Schuld beinahe klein. Gleichwohl ist das deutsche Volk entschlossen, selbst alle zur Verantwortung zu ziehen, denen ein absichtliches Verschulden oder eine absichtliche Niedertracht nachgewiesen werden kann. Aber man soll nicht diejenigen strafen, die selbst Opfer waren, Opfer des Krieges, Opfer unserer früheren Unfreiheit.

Weshalb haben nach ihren eigenen Zeugnissen unsere Gegner gekämpft? Um den Kaiserismus zu vernichten. Es gibt ihn nicht mehr, er ist für immer erledigt. Die Tatsache dieser Nationalversammlung selbst zeigt es. Sie haben gekämpft, um den Militarismus zu zerstören. Er ist in Trümmer gestürzt und wird nicht wieder erstehen. Für Gerechtigkeit, Freiheit und einen Dauerfrieden haben unsere Gegner nach ihren feierlichen Proklamationen kämpfen wollen. Die Waffenstillstandsbedingungen aber sind bisher unerhört hart und schonungslos durchgeführt worden. Elsaß wird ohne weiteres als französisches Land behandelt. Die von uns ausgeschriebenen Wahlen zur Nationalversammlung sind widerrechtlich verhindert worden. Die Deutschen werden aus dem Lande getrieben, der deutsche Besitz sequestriert. Das besetzte linksrheinische Gebiet wird vom übrigen Deutschland abgeschlossen und getrennt. Die Bestimmung des Waffenstillstandsvertrages, daß keine öffentlichen Werte verschleudert werden sollen, wird ungeheuerlich auszuweiten versucht zu einer allgemeinen geldwirtschaftlichen Versklavung des deutschen Volkes.

Während wir längst außerstande und ohne Aussicht sind, den Waffengang zu erneuern, werden unsere 800 000 Kriegsgefangenen noch immer zurückgehalten, sind vom seelischen Zusammenbruch und harter Zwangsarbeit aufs schwerste bedroht. Aus diesen Akten alter Gewaltpolitik spricht kein Geist der Versöhnlichkeit. Die Waffenstillstandsbedingungen wurden damit begründet, daß sie dem alten Regime der Hohenzollern auferlegt waren. Wie will man es rechtfertigen, daß man sie der jungen sozialistischen Republik fortdauernd verschärft, obwohl wir alle Kräfte einsetzen, den uns auferlegten schwerdrückenden Verpflichtungen gerecht zu werden! Wir warnen die Gegner, uns nicht zum Äußersten zu treiben. Wie General Winterfeldt könnte eines Tages jede deutsche Regierung gezwungen sein, auf weitere Mitwirkung an den Friedensverhandlungen zu verzichten und den Gegnern die ganze Last der Verantwortung für die Neugestaltung der Welt zuzuschieben. Man stelle uns nicht vor die verhängnisvolle Wahl zwischen Verhungern und Schmach. Auch eine sozialistische Volksregierung und gerade diese muß daran festhalten: Lieber ärgste Entbehrung als Entehrung. Wenn zu den Millionen, die im Kriege alles verloren haben und nichts mehr zu verlieren fürchten, auch diejenigen kämen, die glaubten, Deutschland habe nichts zu verlieren, dann wird sich unwiderstehlich die Taktik der Verzweiflung durchsetzen.

Im Vertrauen auf die Grundsätze des Präsidenten Wilson hat Deutschland die Waffen niedergelegt. Jetzt gebe man uns den Wilson-Frieden, auf den wir Anspruch haben. Unsere freie Volksrepublik, das ganze deutsche Volk erstrebt nichts anderes, als gleichberechtigt in den Bund der Völker einzutreten und sich dort durch Fleiß und Tüchtigkeit eine geachtete Stellung zu erwerben.

Deutschland kann der Welt noch vieles leisten. Ein Deutscher hat den Arbeitern aller Länder den wissenschaftlichen Sozialismus geschenkt. Wir sind auf dem Wege, der Welt noch einmal sozialistisch voranzuschreiten, indem wir dem Sozialismus dienen, der allein Dauer haben kann, der den Wohlstand und die Kultur des Volkes hebt, dem Sozialismus der werdenden Wirklichkeit. Wir wenden uns deshalb noch einmal an alle Völker der Welt mit dem dringenden Appell, dem deutschen Volk Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, durch Vergewaltigung unseres Volkes und unserer Wirtschaft nicht zu vernichten, was sich trotz alledem hoffnungsvoll bei uns anbahnt. Das deutsche Volk hat sich sein Selbstbestimmungsrecht im Innern erkämpft. Es kann es jetzt nach außen nicht preisgeben.

Wir können auch nicht darauf verzichten, die ganze deutsche Nation im Rahmen eines Reichs zu einigen. Unsere deutsch-österreichischen Brüder haben auf ihrer Nationalversammlung bereits am 12. November vorigen Jahres sich als Teil der großdeutschen Republik erklärt. Jetzt hat die deutsch-österreichische Nationalversammlung erneut unter stürmischer Begeisterung uns ihren Gruß entboten und die Hoffnung ausgesprochen, daß es unserer und ihrer Nationalversammlung gelingen wird, das Band, das die Gewalt 1866 zerrissen hat, wieder neu zu knüpfen. Deutsch-Österreich müsse mit dem Mutterland für alle Zeiten vereinigt werden.

Meine Damen und Herren! Ich bin sicher, im Sinne der gesamten Nationalversammlung zu sprechen, wenn ich diese historische Kundgebung aufrichtig und voll Freude begrüße und sie mit gleicher, herzlicher Brüderlichkeit erwidere. Unsere Stammes- und Schicksalsgenossen dürfen versichert sein, daß wir sie im neuen Reich der deutschen Nation mit offenen Armen und Herzen willkommen heißen. Sie gehören zu uns, und wir gehören zu ihnen.

Ich darf auch wohl die Erwartung aussprechen, daß die Nationalversammlung die künftige Reichsregierung ermächtigt, baldigst mit der Regierung des deutsch-österreichischen Freistaates über den endgültigen Zusammenschluß zu verhandeln. Dann soll kein Grenzpfahl mehr zwischen uns stehen. Dann wollen wir sein ein einig Volk von Brüdern.

Deutschland darf nicht wieder dem alten Elend der Zersplitterung und Verengung anheimfallen. Geschichte und Anlage hemmen zwar, einen straff zentralisierten Einheitsstaat zu bilden. Viele Stämme und viele Dialekte sind in Deutschland vereinigt, aber sie müssen zu einer Nation und einer Sprache zusammenklingen. Die Abgrenzung zwischen Reichsrecht und Stammesrecht mag im einzelnen umstritten bleiben. Im Großen müssen wir uns aber alle einig sein, daß nur eine ungehemmte einheitliche Entwicklungsmöglichkeit unseres Wirtschaftslebens, ein politisch aktionsfähiges, festgefügtes, einiges Deutschland die Zukunft unseres Volkes sicherstellen kann. In diesem starken deutschen Volksstaat soll jeder Stamm seine wertvollsten Eigenschaften frei zu schöner Blüte entfalten können. Nur so können wir hoffen, aus all dem Drang und all der Not der Zeit den Aufstieg zu den Höhen der Menschheit wiederzufinden.

Eine Nationalversammlung, die einer Regierung die unanfechtbare Legitimation gibt, im Namen des ganzen deutschen Volkes zu handeln, fördert schon dadurch den Frieden nach außen und innen in hohem Maße.

Meine Damen und Herren, die provisorische Regierung hat eine sehr üble Herrschaft angetreten. Wir waren im eigentlichsten Wortsinne die Konkursverwalter des alten Regimes: Alle Scheuern, alle Läger waren leer, alle Vorräte gingen zur Neige, der Kredit war erschüttert, die Moral tief gesunken. Wir haben, gestützt und gefördert vom Zentralrat der Arbeiter- und Soldatenräte, unsere beste Kraft eingesetzt, die Gefahren und das Elend der Übergangszeit zu bekämpfen. Wir haben der Nationalversammlung nicht vorgegriffen. Aber wo Zeit und Not drängten, haben wir die dringlichsten Forderungen der Arbeiter zu erfüllen uns bemüht. Wir haben alles getan, um das wirtschaftliche Leben wieder in Gang zu bringen. – Viele Unternehmer haben, verwöhnt durch den großen nationalen Markt der Kriegswirtschaft und die hohen sicheren Gewinne, die der alte monarchisch-militaristische Staat ihnen einräumte, verlernt, die notwendige Initiative zu entfalten. Wir richten deshalb an die Unternehmer den dringenden Appell, die Wiederbelebung der Produktion mit allen Kräften zu fördern.

Auf der anderen Seite rufen wir die Arbeiterschaft auf, alle Kräfte anzuspannen zur Arbeit, die allein uns retten kann. Wir haben Verständnis für die seelischen Stimmungen derer, die nach übermäßiger Kraftausgabe in der Kriegszeit jetzt eine Entspannung suchen. Wir wissen, wie schwer es denen ist, die jahrelang im Felde gelebt haben, sich wieder in das friedliche Arbeitsleben hineinzufinden. Aber es muß sein! Wir müssen arbeiten und Werte schaffen, sonst gehen wir zugrunde. Sozialismus ist nach unserer Auffassung nur möglich, wenn die Produktion eine genügend hohe Stufe der Arbeitsleistung innehält. Sozialismus ist uns Organisation, Ordnung und Solidarität, nicht Eigenmächtigkeit, Egoismus und Zerstörung. Auch der alte Staat hätte es nicht vermeiden können, zur Deckung der ungeheuren Kriegsschulden die Staatswirtschaft weiter auszudehnen. In der Zeit der allgemeinen Not darf es für Privatmonopole und mühelosen Kapitalprofit keinen Raum mehr geben. Wir wollen planmäßig den Profit dort ausschalten, wo die wirtschaftliche Entwicklung ein Gewerbe zur Vergesellschaftlichung reif gemacht hat.

Sorgenvoll blickt uns die Zukunft an. Wir vertrauen aber trotz alledem auf die unverwüstliche Schaffenskraft der deutschen Nation. Die alten Grundlagen der deutschen Machtstellung sind für immer zerbrochen. Die preußische Hegemonie, das Hohenzollernsche Heer, die Politik der schimmernden Wehr sind bei uns für alle Zukunft unmöglich geworden. Wie der 9. November 1918 angeknüpft hat an den 18. März 1848, so müssen wir hier in Weimar die Wandlung vollziehen vom Imperialismus zum Idealismus, von der Weltmacht zur geistigen Größe. Es charakterisiert durchaus die nur auf äußeren Glanz gestellte Zeit der Wilhelminischen Aera das Lassallesche Wort, daß die klassischen deutschen Denker und Dichter nur im Kranichzug über sie hinweggeflogen seien. Jetzt muß der Geist von Weimar, der Geist der großen Philosophen und Dichter, wieder unser Leben erfüllen. Wir müssen die großen Gesellschaftsprobleme in dem Geiste behandeln, in dem Goethe sie im zweiten Teil des Faust und in Wilhelm Meisters Wanderjahren erfaßt hat: Nicht ins Unendliche schweifen und sich nicht im Theoretischen verlieren. Nicht zaudern und schwanken, sondern mit klarem Blick und fester Hand ins praktische Leben hineingreifen!

»Denn der Mensch, der zur schwanken Zeit auch schwankender Gesinnung ist,
Der vermehrt das Übel und leitet es weiter und weiter.
Aber wer fest auf dem Sinne beharrt, der bildet die Welt sich.«

So wollen wir an die Arbeit gehen, unser großes Ziel fest vor Augen, das Recht des deutschen Volkes zu wahren, in Deutschland eine starke Demokratie zu verankern und sie mit wahrem sozialen Geist und sozialistischer Tat zu erfüllen. So wollen wir wahr machen, was Fichte der deutschen Nation als ihre Bestimmung gegeben hat: »Wir wollen errichten ein Reich des Rechtes und der Wahrhaftigkeit, gegründet auf Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt.«


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