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Eberts Rechenschaft über seine Tätigkeit in der ersten Revolutionszeit

Rede auf der Reichskonferenz. 25.11.1918

Im Namen der Reichsleitung heiße ich Sie alle herzlich willkommen und hoffe, daß unsere Arbeit, die von größter Bedeutung für unser Land und Volk ist, mit Erfolg abgeschlossen werden kann. Zur Zeit durchleben wir eine grundstürzende Umwälzung Deutschlands. Vier Jahre wahnsinnigen Krieges mit dem Aufgebot der Volkskraft bis zum Äußersten, mit den entsetzlichsten Blutopfern und Zerstörungen an Kulturgütern, haben zu einem völligen Zusammenbruch Deutschlands geführt. Einem Zusammenbruch nicht nur auf militärischem Gebiete; auch wirtschaftlich ist unser Land völlig ausgesaugt. Als wir die politische Macht des Reiches übernahmen, standen wir vor einem Trümmerhaufen. Wir waren nicht im Zweifel über die ungeheuren Schwierigkeiten, denen wir entgegengestellt wurden. Wir waren uns auch der großen Last der Verantwortung bewußt, die uns aufgebürdet worden ist. Unsere Pflicht gegen die Arbeiterklasse und gegen unser Volk gebot uns aber zu handeln.

Die Revolution hat die Monarchie im Reiche und in den Einzelstaaten beseitigt; an ihre Stelle ist die demokratisch-sozialistische Republik getreten. Die Exekutive der Republik, die politische Leitung des Reiches liegt in den Händen des Rates der Volksbeauftragten, der Beauftragten der Arbeiter und Soldaten des Reiches, die die Träger der politischen Macht sind. Das Ziel der Politik der Reichsleitung ist die Durchführung und Sicherung der sozialistischen Demokratie.

Unsere nächsten Aufgaben müssen sein die schnelle Herbeiführung des Friedens und die Sicherstellung unseres Wirtschaftslebens.

Unsere erste Handlung war die Annahme der Waffenstillstandsbedingungen. Die Bedingungen sind hart, überaus hart, bedrohen unser Volk mit Hungertod und mit der Vernichtung seines wirtschaftlichen Lebens. Gleichwohl mußten wir uns mit ihnen abfinden – einen anderen Ausweg gab es nicht. Unserer Waffenstillstandskommission gebührt großer Dank. Mit Energie und Geschick hat sie wenigstens einige Erleichterungen der Bedingungen erreicht. Gleichwohl sind die Bedingungen unerträglich. Man nimmt uns Verkehrsmaterial, das unerläßlich ist für die Aufrechterhaltung unserer Volksernährung, und hält gleichzeitig die Hungerblockade gegen uns aufrecht, der bereits Hunderttausende von Greisen, Frauen und Kindern zum Opfer gefallen sind. Schon deshalb müssen wir schnell zum Frieden kommen. Die Verhandlungen der Friedenskonferenz werden so kompliziert und umfangreich sein, daß mit einem schnellen Abschluß nicht zu rechnen ist; sie wird längere Zeit in Anspruch nehmen. Werden wir nicht vor Abschluß der allgemeinen Friedensverhandlungen von den Waffenstillstandsbedingungen befreit, dann muß unser Volk in tiefes Elend und in wirtschaftliche Anarchie versinken. Rettung kann nur ein baldiger Präliminarfriede bringen, auf ihn müssen wir mit allen Mitteln hinarbeiten. Erst dann bekommen wir die Möglichkeit, die Volksernährung sicherzustellen und unser Wirtschaftsleben weiterzuführen.

Schon jetzt aber muß an jeden Arbeiter und Soldaten der dringende Appell gerichtet werden, alle Kräfte einzusetzen für den Wiederaufbau unseres Wirtschaftslebens. Die politische Freiheit hat sich im ganzen Reiche mit Wucht durchgesetzt. Jeder Versuch, diesen Erfolg streitig zu machen oder zu beseitigen, wird scheitern an dem entschlossenen Willen der Arbeiter und Soldaten. Die Freiheit allein kann uns aber nichts nützen, wenn wir nicht Brot und Arbeit haben. Deshalb muß alles geschehen, um die vorhandenen Verkehrsmittel, Eisenbahnen, Schiffe usw. in den Wirtschaftsdienst des Reiches zu stellen. Unsere Eisenbahner dürfen nicht verzagen. Unsere Matrosen, Werft- und Hafenarbeiter an der Wasserkante müssen alle Kräfte einsetzen, um schnellstens unsere Schiffe flott zu machen. Von dem ungestörten Fortgang unserer Kohlenförderung hängt es ab, ob wir unsere Güterbeförderung aufrechterhalten, ob wir die Arbeit in den Werkstätten und Fabriken fortsetzen und unser darbendes Volk vor Kälte schützen können. Nur solidarisches Zusammenwirken aller Arbeiter kann das Schlimmste abwenden.

Die Arbeiter und Soldaten brauchen nicht besorgt zu sein um die sozialen Erfolge der Revolution. Wir haben bereits Maßnahmen ergriffen, die Sozialisierung gewisser Industriezweige in die Wege zu leiten. Allerdings nur solcher, die dazu reif sind. Nicht Experimente im einzelnen Betriebe haben wir im Auge, die halten wir für die Fortsetzung unseres Wirtschaftslebens für gefährlich. Die Vergesellschaftung ganzer Industriezweige nach sachkundiger Vorbereitung und nach Sicherung des Erfolges haben wir allein im Auge.

Freilich jetzt, wo die Produktivkräfte fast völlig erschöpft sind, ist es ungemein schwer, ja fast unmöglich, diese Absicht in die Tat umzusetzen. Deshalb gilt es zunächst, unseren Arbeitern und den von der Front zurückströmenden Soldaten Arbeit und Lebensmöglichkeit zu schaffen. Dazu bedarf es der Einsicht, des guten Willens und der Tatkraft aller, in Süd und Nord, in Ost und West. Nichts wäre in dieser Situation verhängnisvoller als ein Auseinanderstreben des Reiches. Nie war die Einheit aller deutschen Stämme notwendiger, gebieterischer als in dieser Stunde. Nur ein innerlich gefestigtes Deutschland vermag in einheitlichem und geschlossenem Handeln das Unglück zu meistern, das ohne Schuld unseres Volkes über uns alle hereingebrochen ist. Nur so, aber auch nur so ist es möglich, Deutschland zu retten.

Die endgültige Regelung über das Zusammenwirken der Einzelstaaten mit dem Reiche muß der konstituierenden Nationalversammlung vorbehalten werden. Sie wissen, meine Herren, daß die Reichsleitung entschlossen ist, die Nationalversammlung baldigst zu berufen. Ich kann Ihnen mitteilen, daß bereits morgen in der politischen Reichsleitung das Wahlgesetz für die Nationalversammlung in Beratung genommen werden soll. Wir werden alles tun, um möglichst bald zur Nationalversammlung zu kommen. Bis dahin wird ein Provisorium für das Zusammenwirken der Einzelstaaten mit der Reichsleitung geschaffen werden müssen, und das ist eine der Fragen, die uns heute in besonderem Maße beschäftigen muß. Ich gestatte mir, eine Zwischenbemerkung über den Charakter der Reichsregierung zu machen, weil mir darüber nicht in allen Kreisen Klarheit zu bestehen scheint. Als wir die Regierung übernommen haben, sind wir von dem Grundsatz ausgegangen, daß die gesamte politische Leitung des Reichs in die Hände des Rats der Volksbeauftragten gelegt wird. Dieser Rat besteht lediglich aus Vertretern der sozialistischen Parteien. Alle politischen Entscheidungen des Reichs liegen in den Händen dieser Körperschaft. Aber Sie müssen eins beachten: Die Reichsmaschine ist ein etwas komplizierterer Apparat als der unserer Bundesstaaten, sei es auch der größte. Wir mußten, nachdem wir die politische Macht in die Hand genommen hatten, dafür Sorge tragen, daß die Reichsmaschine nicht zusammenbricht; wir mußten Sorge tragen, daß diese Maschine weiterläuft, um unsere Ernährung und Wirtschaft aufrechterhalten zu können. Und das war kein leichtes Stück Arbeit. Wir haben unter Aufgebot aller Kräfte Tag und Nacht gearbeitet, um schließlich nicht den Zusammenbruch und den Niedergang in einigen wenigen Tagen vor Augen zu sehen. Das konnten wir sechs Mann allein nicht machen; dazu brauchten wir die erfahrene Mitarbeit der Fachleute. Hätten wir die erfahrenen bisherigen Leiter der Reichsämter entfernt, hätten wir diese Stellen besetzen müssen mit Leuten, denen die erforderliche Kenntnis und Erfahrung fehlt, dann wären wir in einigen Tagen am Ende unseres Lateins gewesen. Wir haben deshalb an alle Reichsämter den dringenden Appell gerichtet, bis auf weiteres die Geschäfte weiterzuführen. Nur so war es möglich, den Zusammenbruch zu verhindern und über die Schwierigkeiten hinwegzukommen.

Das Auswärtige Amt ist besetzt mit dem Staatssekretär Solf. Herr Staatssekretär Solf hat während des ganzen Krieges – das bin ich schuldig, hier auszusprechen, und da befinde ich mich in Übereinstimmung mit meinen Kollegen – auf dem Boden der Verständigungspolitik gestanden, wie wir sie vertreten haben. Herr Staatssekretär Solf hat weiter die Waffenstillstandsverhandlungen unter seinem Namen eingeleitet und ist dabei, die Friedensverhandlungen vorzubereiten. Es wäre ein höchst gewagtes Experiment gewesen, mit einem Schlage diesen Mann vom Platze zu entfernen. Wir waren uns darüber einig, ihn zu bitten, zu bleiben und die Geschäfte mit uns zu führen, solange wir das Vertrauen zu ihm haben. Dafür bin ich ihm dankbar.

Herr Staatssekretär Erzberger ist von der früheren Regierung mit der Führung der Waffenstillstandsverhandlungen beauftragt worden. Bis in die letzte Stunde sind vom frühen Morgen bis in die tiefe Nacht hinein Verhandlungen zwischen Spaa und hier geführt worden. Da war es ganz unmöglich, daß einer von uns sechs Mann plötzlich diese Arbeit übernahm, um den Mann, der die Dinge bisher geleitet hat, in dessen Händen alle Fäden zusammenliefen, der allein die sehr komplizierte Materie beherrschte, vom Platze zu verweisen. Die Waffenstillstandsverhandlungen wären dadurch aufs höchste gefährdet worden. Wer wollte das verantworten? Wir haben auch hier gesagt, daß nichts geschieht ohne unsere Zustimmung. So ist verfahren worden. Ich sehe nicht ein und muß auf das entschiedenste bestreiten, daß was geschehen ist, was unserem Lande zum Schaden gereichen könnte. Im Gegenteil: Die Verhandlungen sind von der Kommission und Herrn Erzberger so geführt worden, wie es die Interessen unseres Landes erfordern. Das muß dankbar anerkannt werden.

Und nun die übrigen Ämter. Das Reichsamt des Innern haben wir neu besetzt mit einem Manne, der als einer der hervorragendsten Staatsrechtslehrer anerkannt wird, der durch die Kriegspolitik nicht belastet ist, mit einem Manne, von dem wir hoffen, daß er mit uns unser neues Staatswesen aufbauen kann.

Einige Ämter haben wir mit Leuten aus unserer Mitte besetzt: so das Reichsarbeitsamt und das Kriegsernährungsamt.

Dann die Reichsschatzverwaltung. Wir hatten in diesen Tagen überaus schwere Sorgen, daß das Reich finanziell zusammenbricht. Sie wissen, daß uns im Auslande vielfach Kredite aufgekündigt sind. Wir mußten mit der bisherigen Verwaltung des Reichsschatzamtes zu Rate gehen und Mittel und Wege suchen, um unsere Finanzwirtschaft aufrechtzuerhalten. Herr Staatssekretär Schiffer hatte sich gesträubt und war schließlich nicht ohne Bedenken bereit, unserem dringenden Wunsche zu folgen und die Geschäfte weiterzuführen.

Die übrigen Ämter sind Fachministerien. Niemand wird widersprechen, wenn sie von den gegenwärtigen Männern weitergeführt werden.

Wir haben aber noch weitergehende Sicherungen geschaffen: In jedes Reichsamt sind Beigeordnete geschickt worden, die in jeder Hinsicht Kontrollrecht haben. Ich kann mitteilen, daß alle Staatssekretäre sich bemüht haben, mit diesen Einrichtungen in ein geordnetes Verhältnis zu kommen. Ich habe Klagen von Beigeordneten und Staatssekretären bisher nicht gehört, ich habe nur das Bemühen gefunden, mit dieser Einrichtung im Sinne unserer Aufgaben gemeinsam zu arbeiten.

Die Oberste Heeresleitung hat uns erklärt, daß sie sich der neuen Regierung restlos unterstellt, daß sie die Republik anerkennt. Wenn es da hier und dort Differenzen gibt, so ist das begreiflich; aber Sie müssen doch auch in Betracht ziehen, daß wir uns inmitten einer Demobilisierung eines Heeres von 6 bis 8 Millionen Menschen befinden.

Eins habe ich vergessen: Wir haben ein Amt für die Demobilisation eingerichtet, das die wirtschaftliche Umstellung durchzuführen hat, eine außerordentlich schwierige Aufgabe. Es ist von Herrn Eisner gesagt worden, daß uns Rohstoffe und alles fehle, und da haben wir uns gesagt: Auch zu dieser Arbeit müssen wir einen Mann gewinnen, der große Erfahrungen hat, der großes Organisationstalent hat und gezeigt hat, daß er solchen Aufgaben gewachsen ist. Da haben wir Herrn Oberstleutnant Köth dringend gebeten, in dieses Amt einzuspringen und im Sinne unserer Wünsche zu wirken.

So kann man nicht mit Redensarten über das hinweggehen, was wir getan haben, man kann nicht einfach mit leeren Behauptungen sagen: Ihr habt nichts getan, euch fehlt die Energie und die Freude zur Durchführung der Revolution. Sie können sicher sein: Wir haben mit bestem Willen und äußerster Entschlossenheit alles getan, was wir glaubten im Interesse des Volkes und der Revolution tun zu sollen. Nichts ist versäumt. Wir haben gehandelt.

Wenn die deutsche Republik leben soll, dann ist es unsere erste Pflicht, Arbeit zu schaffen, ohne Arbeit gibt es kein Leben. Sozialismus ist Arbeit. Auch die Freiheit kann nicht leben ohne Selbstzucht. Da glaube ich an unsere deutschen Arbeiter und Soldaten noch einmal von dieser Stelle aus den Appell richten zu sollen, daß in diesen überaus wichtigen geschichtlichen Tagen die deutsche Arbeiterschaft der Welt zeigen muß, daß die fünfzigjährige Arbeit der Sozialdemokratie, nämlich die politische und wirtschaftliche Schulung, die Erziehung zur Disziplin, kein leerer Wahn ist.

Was wir gehört haben aus den Referaten, insbesondere aus denen über die wirtschaftliche Lage unseres Landes, macht uns zur heiligsten Pflicht, möglichst schnell für die neue Republik eine festgefügte staatsrechtliche Grundlage zu schaffen, die Nationalversammlung zu berufen. Ich bitte Sie, soweit es in Ihren Kräften steht, auch draußen im Lande in diesem Sinne zu wirken. Nur so können wir den Erfolg der Revolution sichern; nur so können wir der Republik die notwendige Lebensmöglichkeit geben.


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