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Die zielbewußte Erziehung zum Gemeinwesen

Ansprache. Leipzig, 16.10.1922

Es ist mir eine angenehme Pflicht, den neuen Präsidenten des Reichsgerichts persönlich in sein Amt einzuführen. Ich meine, es ist ein für die Nation bedeutsames Ereignis, wenn in die Stelle des höchsten Richters im Deutschen Reich ein neuer Mann eintritt. Wohl ist es bisher das Geschick der Rechtsprechung, ihr wohltätiges Werk in der Stille zu tun, ohne Dank und Ruhm und beachtet nur dann, wenn berechtigtes oder unberechtigtes Mißfallen die Beachtung der Allgemeinheit auf sie lenkt. Um unsere Justizkritik steht es ähnlich, wie es um eine jede Kritik stehen würde, die nur die schlechten Leistungen mit herbem Tadel verzeichnete, der guten aber mit keinem Worte der Anerkennung gedenken würde. Es sollte anders sein. Eine zielbewußte Erziehung zum Gemeinwesen müßte auch dies bewirken, daß Recht und Rechtspflege als ein gemeinsames Gut im Bewußtsein und Herzen unseres Volkes lebte und daß die Männer, welche die vornehmste Verkörperung deutscher Rechtskultur sind, in der öffentlichen Meinung einen ganz anders bedeutsamen Platz einnähmen, als dies heute der Fall ist.

Still und schlicht war auch der Mann, in dessen Händen zuletzt das Amt des Reichsgerichtspräsidenten ruhte; ernst und streng, ein Mann der Grundsätze und des Charakters, durch und durch ein Mann des Rechts. Ich habe in schwersten Tagen gemeinsamer Arbeit am Reiche seine Sachlichkeit, Tüchtigkeit und Gewissenhaftigkeit, seine hinter äußerer Herbheit verborgene tiefe Güte auf das höchste schätzen gelernt. Er war einer von jenen verantwortungsvollen Beamten, denen unser Gemeinwesen in seinen schwersten Tagen zu einem guten Teil seinen Weiterbestand zu danken hat, einer von jenen Männern, die tiefeingewurzelte, liebgewordene Empfindungen erkannten, geschichtliche Notwendigkeiten zum Besten des Vaterlandes unterzuordnen wußten. Ich werde seiner immer dankbar gedenken.


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