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156. An die Mutter.

Torino, via Carlo Alberto 6 III,
den 21. Dezember 1888.

Meine alte Mutter,

es gibt, wenn mich nicht alles täuscht, in den nächsten Tagen Weihnachten: vielleicht kommt mein Brief noch zur rechten Zeit (vielleicht auch hat Herr Kürbitz einen Wink verstanden, den ich ihm vor einigen Tagen gegeben habe) mit der Bitte, Dir etwas auszudenken, was Dir Vergnügen macht und wobei Du gerne an Dein altes Geschöpf denkst und, im übrigen, um Nachsicht bittend, daß es nicht mehr ist. – Wir haben auch hier ein wenig Winter, doch nicht so, daß ich hätte heizen müssen. Die Sonne und der helle Himmel werden nach ein paar Tagen Nebel immer wieder Herr. Es gab ein großes Leichenbegängnis, einer unsrer Prinzen, der Vetter des Königs; sehr verdient um Italien, auch um die Marine, denn er war der Admiral der Flotte.

Ich bin in jedem Sinne froh, mit Nizza fertig zu sein, – man hat mir indessen 3 Bücherkisten hierher gesandt. Auch die einzige wohltätige und liebenswürdige Gesellschaft, die ich dort hatte, die ausgezeichneten Köchlins, seine und an die besten Kreise gewöhnte Leute, fehlen zum ersten Male diesen Winter in Nizza. Es geht schlecht mit dem alten Köchlin, Madame Cécile hat mir ausführlich geschrieben: beständiges Fieber. Sie sind in Genua, in Nervi.– Dagegen habe ich aus Genf gute und heitere Nachrichten von Madame Fynn und ihrer russischen Freundin.

Das allerbeste aber bekomme ich von meinem Freunde Gast zu hören, dessen ganze Existenz sich erstaunlich verändert hat. Nicht nur, daß die ersten Künstler Berlins, Joachim, de Ahna, sich auf das tiefste für seine Werke interessieren, diese anspruchsvollste und verwöhnteste Art Künstler, die Deutschland hat: Du würdest vor allem verwundert sein, daß er in den reichsten und vornehmsten Zirkeln Berlins nur verkehrt. Vielleicht erlebt seine Oper ihre erste Aufführung in Berlin; Graf Hochberg steht den Kreisen nahe, die er frequentiert. –

Im Grunde ist dein altes Geschöpf jetzt ein ungeheuer berühmtes Tier: nicht gerade in Deutschland, denn die Deutschen sind zu dumm und zu gemein für die Höhe meines Geistes und haben sich immer an mir blamiert, aber sonst überall. Ich habe lauter ausgesuchte Naturen zu meinen Verehrern, lauter hochgestellte und einflußreiche Menschen, in St. Petersburg, in Paris, in Stockholm, in Wien, in Neuyork. Ach wenn Du wüßtest, mit welchen Worten mir die ersten Personnagen ihre Ergebenheit ausdrücken, die charmantesten Frauen, eine Madame la Princesse Tenicheff durchaus nicht ausgeschlossen. Ich habe wirkliche Genies unter meinen Verehrern, – es gibt heute keinen Namen, der mit so viel Auszeichnung und Ehrfurcht behandelt wird, als der meinige. – Siehst Du, das ist das Kunststück: ohne Namen, ohne Rang, ohne Reichtum werde ich hier wie ein kleiner Prinz behandelt, von jedermann bis zu meiner Hökerin herab, die nicht eher Ruhe hat, als bis sie das Süßeste aus allen ihren Trauben zusammengesucht hat.

Zum Glück bin ich jetzt allem gewachsen, was meine Aufgabe von mir verlangt. Meine Gesundheit ist wirklich ausgezeichnet; die schwersten Aufgaben, zu denen noch nie ein Mensch stark genug war, fallen mir leicht.

Meine alte Mutter, empfange zum Schluß des Jahres meine herzlichsten Wünsche und wünsche mir selber ein Jahr, das den großen Dingen, die in ihm geschehn müssen, in jeder Hinsicht entspricht.

Dein altes Geschöpf.

 


 

 

Aus technischen Gründen sind die Anmerkungen, im Buch mit Seitenverweisen,
am Ende des Textes, als Fußnoten wiedergegeben. Re.


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