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84. An Freiherrn von Seydlitz.

Basel, 18. November 1878.

Seien und bleiben Sie mir, mein geliebter Freund, mit Ihrer herzlichen guten Seele gesegnet! So, wie ich es hier sage, denke ich immer an Sie. Briefe schreiben geht nicht mehr, meine ältesten wie meine letzten Freunde dürfen es nicht mehr von mir erwarten. Ich habe meinem Amte und meiner Aufgabe zu leben – einem Herrn und einer Geliebten und Göttin zugleich: viel zu viel für meine schwache Kraft und tief erschütterte Gesundheit. Äußerlich gesehen, ist es ein Leben wie das eines Greises und Einsiedlers: völlige Enthaltung von Umgang, auch dem der Freunde, gehört dazu. Trotzdem bin ich mutig, vorwärts, excelsior!

Über Wagner empfinde ich ganz frei. Dieser ganze Vorgang mußte so kommen, er ist wohltätig, und ich verwende meine Emanzipation von ihm reichlich zu geistiger Förderung. – Jemand sagte mir: »der Karikaturenzeichner von Bayreuth ist ein Undankbarer und ein Narr« – ich antwortete: »Menschen von so hoher Bestimmung muß man in bezug auf die bürgerliche Tugend der Dankbarkeit nach dem Maße ihrer Bestimmung messen«. – Übrigens bin ich vielleicht nicht »dankbarer« als Wagner, – und was die Narrheit betrifft –

Aber vielleicht habe ich schon zu viel gesagt, der »Wagnerianer« regt sich in Ihnen und sucht nach Steinen ...

Nein, lieber Freund, Sie werfen nicht nach mir, das weiß ich. – Aber tun Sie mir auch die Ehre an, mich nie zu verteidigen. Meine Position ist dafür zu stolz, Verzeihung! – Ich denke, meine Freunde sollen mit mir zusammen auch stolz sein.

Der lieben Frau meines Freundes erwidere ich treulich alles Gute und Herzliche, was sie mir durch meine Schwester sagen ließ.

Ich bin und bleibe
der Ihrige
Friedrich Nietzsche.

18. November 1878.


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