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106. An Peter Gast.

Rapallo, 1. Februar 1883.

Lieber Freund, ich schrieb Ihnen lange nicht, und es war gut so. Meine Gesundheit hatte sich wieder an Zustände gewöhnt, welche ich hinter mir glaubte: es war eine große Leib- und Seelenquälerei – wobei das jetzige Europawetter keinen geringen Anteil hatte.

Inzwischen gab es aber wieder reine klare Tage, und sofort bin ich auch wieder meiner selber Herr geworden. Ein Glück bleibt es bei alledem, wenn man in der Einsamkeit mit sich selber fertig werden kann: aber wie viele sind gebunden und müssen ihr Elend im Verkehre mit Menschen verdoppelt tragen!

Gefroren habe ich übrigens wie noch niemals, und ebenfalls niemals schlechter gegessen. Eine Veränderung meines Aufenthaltortes ist jetzt nötig: ich hatte bereits das Zimmer wieder gemietet, welches ich im letzten Winter in Genua bewohnte – aber die neueste Nachricht ist, daß der Herr, welcher jetzt darin wohnt, sich anders entschlossen hat und bleiben will.

Nun hat mich die alte gute Freundin Meysenbug nach Rom eingeladen: und mir mit Bestimmtheit jemanden in Aussicht gestellt, der täglich 2 Stunden mit mir schreiben will. Da ich gerade auf das dringendste jemanden zum Schreiben und Diktieren nötig habe, so will ich nach Rom übersiedeln – so wenig es, wie Sie wissen, der Ort meiner Wahl ist.

Dieser bereitwillige »Schreiber« ist Fräulein Cécilie Horner, die Verwandte Brenners (ich habe sie nie gesehn).

Aber vielleicht haben Sie Vergnügen daran zu hören, was es zu schreiben und druckfertig zu machen gibt. Es handelt sich um ein ganz kleines Buch – hundert Druckseiten etwa. Aber es ist mein Bestes, und ich habe einen schweren Stein mir damit von der Seele gewalzt. Es gibt nichts Ernsteres von mir und auch nichts Heitreres; ich wünsche von Herzen, daß diese Farbe – welche nicht einmal eine Mischfarbe zu sein braucht – immer mehr zu meiner »Natur«farbe werde. Das Buch soll heißen

Also sprach Zarathustra.
Ein Buch für Alle und Keinen.
Von
F. N.

Mit diesem Buche bin ich in einen neuen »Ring« eingetreten – von jetzt ab werde ich wohl in Deutschland unter die Verrückten gerechnet werden. Es ist eine wunderliche Art von »Moralpredigten«.

Mein Aufenthalt in Deutschland hat mich vollkommen zu dem gleichen Gesichtspunkte gebracht, wie Sie, liebster Freund, der Ihrige – nämlich daß ich nicht mehr hineingehöre. Und jetzt wenigstens, nach meinem »Zarathustra«, geht es mir auch wie Ihnen: diese Einsicht und »Stellungnahme« hat mich ermutigt.

Wohin wir jetzt gehören? – Seien wir glücklich, daß wir eine solche Frage überhaupt stellen dürfen!

Unsre Erlebnisse waren ziemlich gleich: nur haben Sie ein besseres Temperament, eine bessere stillere einsamere Vergangenheit – und eine bessere Gesundheit vor mir voraus. Ich bin beinahe erstickt. –

Also bis zum 10. werde ich noch hier sein. Später Roma poste restante.

Ihnen immer sehr in Gedanken und Wünschen nahe

F. N.

Sie haben Overbecks entzückt! Wie mich!


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