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47. An Freiherrn von Gersdorff.

Basel, 1. Mai 1872.

Mein lieber guter Freund,

verarge mir es nur nicht, wenn ich hier und da einmal eine Pause mit Fermate Fermate in meinem Briefverkehr mache: es hat sicherlich Gründe, aber äußerliche, die für unsere Freundschaft ohne Beziehung sind. Es gab viel zu tun, und ich war auch einige Zeit recht angegriffen und unwohl. Der Winter wollte überstanden sein, und mancherlei wichtige Entscheidungen mußten getroffen werden, von denen ich Dich nicht unterhalte, weil ich Dich einmal mündlich darüber sprechen werde. Nämlich in Bayreuth! Dort werde ich am Sonnabend vor Pfingsten eintreffen: ich bitte Dich, es doch ähnlich einzurichten. Heute habe ich, der Wohnung wegen, an den Oberbürgermeister Muncker geschrieben. Ich höre, daß Frau von Muchanoff, Gräfin Krokow und Frl. von Meysenbug sich auch schon angemeldet haben: ebenfalls Frau von Schleinitz. Diese hat mir einen sehr liebenswürdigen Brief geschrieben, für den Du, lieber Freund, gelegentlich einmal recht schön danken kannst. Auch Rohde kommt hin, der mir gestern aus Kiel telegraphierte, er sei Professor dort geworden. Kannst Du ihm vielleicht ein Zeilchen der Gratulation schicken? Er hat Schönes vor, Rohde »hat Schönes vor«, bezieht sich auf eine Anzeige der »Geburt der Tragödie« durch Rohde in der Sonntagsbeilage der Norddeutschen Allgem. Zeitung vom 26. Mai 1872 (vgl. Rohde, Kleine Schriften II S. 340 ff.). was Wagner und mich zugleich betrifft – es ist aber noch nicht zu verraten. Die erste Anzeige meines Buches ist nun auch erschienen, aber wo! In der italienischen ›Rivista Europea‹! An Dohm habe ich neulich noch ein Exemplar geschickt. Habe ich Dir schon von Bülows Enthusiasmus erzählt? Und daß er mir die Dedikation eines Buches »Dedikation eines Buches«, die geplante Übersetzung der Dialoghi und Pensieri von Giacomo Leopardi. angekündigt hat? Auch daß er mir erzählte, es werde sehr bald eine zweite Auflage nötig sein? – Sehr schön sollen ja, nach Tribschener Urteil, die Publikationen des studentischen Wagnervereins sein. Ich halte den Gedanken für äußerst glücklich, daß er die »geistige Agitation« vor allem übernehmen will, die Aufklärung über die Bedeutung dieser bevorstehenden Feste. Mache doch dem Vorsitzenden Herrn Koerper einen Besuch und deute ihm an, er möge an mich und an Rohde, d. h. an die einzigen Wagnerschen Professoren die gedruckten Publikationen schicken. Vielleicht auch an E. von Hartmann (dessen Adresse ich haben möchte).

Was Du mir über Deinen Herrn Vater schreibst, hat mich sehr ergriffen: in solchen Anzeichen verehre ich den wundervollen deutschen, ja, wie ich lieber sagen möchte, preußischen Ernst, von dem nun einmal alles zu erhoffen ist, während ich gegen die obenauf schwimmende »deutsche Kultur« jetzt im höchsten Grade bedenklich bin.

Wie geht es Deinen künstlerischen Freunden? »deinen künstlerischen Freunden«, die Bildhauer Leopold Rau und Paul Otto.Kommt einer von ihnen nach Bayreuth? Wie sehr ich das wünsche!

Vorigen Sonnabend war trauriger und tiefbewegter Abschied von Tribschen. Tribschen hat nun aufgehört: wie unter lauter Trümmern gingen wir herum, die Rührung lag überall, in der Luft, in den Wolken, der Hund fraß nicht, die Dienerfamilie war, wenn man mit ihr redete, in beständigem Schluchzen. Wir packten die Manuskripte, Briefe und Bücher zusammen – ach es war so trostlos! Diese drei Jahre, die ich in der Nähe von Tribschen verbrachte, in denen ich 23 Besuche dort gemacht habe – was bedeuten sie für mich! Fehlten sie mir, was wäre ich! Ich bin glücklich, in meinem Buche mir selbst jene Tribschener Welt petrifiziert zu haben.

Wir beginnen hier das Sommersemester, – heute ist der Einweihungstag von Straßburgs Universität: ich denke an diese Feier mit den gemischtesten Empfindungen.

Das Sommerkolleg von Burckhardt »Das Sommerkolleg von Burckhardt« über griechische Kulturgeschichte. wird etwas Einziges: es entgeht Dir viel, daß Du es nicht erleben kannst. Hast Du gehört, daß Burckhardt in den letzten Wochen einen sehr ernsthaften Ruf nach Berlin hatte? Er schlug ihn aus.

Mein lieber Freund, wie schön ist es doch, daß wir uns so bald wiedersehen. Noch schöner aber, daß wir uns seit Jahresfrist so recht wieder zusammengefunden haben. Unsre schönsten Hoffnungen und Pläne laufen nun in einer Bahn. Ich höre mit herzlicher Freude, daß Du an den Klavierauszügen Dich erbaust: wir müssen unsre Nibelungenstudien jetzt höchst ernsthaft beginnen, um uns für so unerhörte Dinge würdig zu machen.

Schreib mir doch vor Bayreuth noch ein Wort der Vereinbarung über unser Wiedersehen.

In herzlicher Liebe
Dein F. N.

Basel, 1. Mai.


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