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40. An Freiherrn von Gersdorff.

Basel, 18. Sept. 1871.

Mein lieber Freund,
meinen herzlichsten Gruß zuvor!

Ich bin immer so zufrieden, wenn ich an Dich denke; denn es kommt mir so vor, als ob wir auch nach 5jährigem Intermezzo noch recht gut zusammenpassen. Unsere Wege sind doch, im letzten Grunde, nicht auseinandergegangen, und so haben wir uns wiedergefunden, und so werden wir uns in aller Zukunft wiederfinden. Wie wenig Menschen haben, nach solchen Zwischenräumen der Trennung, solch ein Glück mit ihren Freunden!

Ich danke Dir noch einmal für Deinen Besuch; es hätte mir in diesem Sommer nichts Angenehmeres und Tröstlicheres passieren können. Wir haben das Netz der Kultur wieder einmal gemeinsam über unsern Köpfen zusammengezogen, und es wird schwer halten, uns in dieser Gemeinsamkeit unsrer besten Absichten zu stören.

Du bist überall im besten Andenken. Frau Wagner hat mir über Dich geschrieben, sehr erfreut und dankbar: Burckhardt und Vischer senden Dir ihre besten Grüße. Kurz – mein Basel lob ich mir; meine Freunde sind mit Basel und Basel ist mit meinen Freunden zufrieden.

Deine letzten Mitteilungen haben mancherlei Schmerzliches. Dein armer Bruder!

Jene Auseinandersetzung über Religion und Philosophie, von der Du mir erzählst, gehört gewiß zu den traurigsten Notwendigkeiten des Lebens: ist man einmal dazu getrieben, so wappne man sich mit Weisheit und Milde. Es ist so überaus schwer, bei solchen Anfechtungen, von aller Bitterkeit sich frei zu halten: während doch, bei der großen Dunkelheit des Daseins, hier das eigentliche Bereich des Mitleidens ist. Betone nur immer durch die Tat Deine innerste Übereinstimmung mit dem Dogma der Liebe und des Mitleidens – das ist die feste Brücke, die auch über solche Klüfte geschlagen werden kann. –

Auch ist es eine edle Kunst, in solchen Dingen zur rechten Zeit zu schweigen. Das Wort ist ein gefährliches Ding und selten bei derartigen Anlässen das rechte. Wie vieles darf man nicht aussprechen! Und gerade religiöse und philosophische Grundanschauungen gehören zu den pudendis. Es sind die Wurzeln unseres Denkens und Wollens: deshalb sollen sie nicht ans grelle Licht gezogen werden. –

Im Herbst werden wir uns wiedersehen können: zwar schwerlich in Mannheim: »schwerlich in Mannheim«, die Mannheimer Wagnertage wurden aus dem Herbst 1871 in die Woche vor Weihnachten verschoben, das Konzert fand am 20. Dezember statt.denn Wagner ist jetzt in voller schaffender Tätigkeit und deshalb wohl nur mit großer Mühe zu solchen zerstreuenden Öffentlichkeiten zu bewegen.

Aber ich komme wahrscheinlich nach Leipzig, wo ich eine Zusammenkunft mit Rohde verabredet habe. Genaueres melde ich Dir noch. Denke Dir, daß ich vielleicht das Glück habe, alle meine Freunde in diesem Sommer und Herbst in einer Reihenfolge wiederzusehen.

Du hast dieses Glück inauguriert. Dann kam Romundt auf wenige Tage, aber doch zu unsrer großen beiderseitigen Ergötzung. Er war auf dem Wege nach Nizza und ist nun entschlossen, im nächsten Jahre sich für Philosophie zu habilitieren.

In Naumburg werde ich Pinder und Krug treffen, in Leipzig Windisch, Ritschls und Brockhausens und – Rohde. Auf meiner Rückkehr über Marburg will ich Deussen wiedersehn. – Und könntest Du nicht Mushacke mit nach Leipzig bringen, ungefähr am 10. Oktober? So wäre der Kreislauf vollständig. –

Nun noch eine Bitte. Kennst Du den jungen Fürsten Hatzfeld, »Kennst du den jungen Fürsten Hatzfeld?« Er beabsichtigte mit Nietzsche eine große Weltreise zu machen. Der Plan kam aber nicht zur Ausführung. den Bruder der Frau von Schleinitz? Er ist Referendar und Majoratserbe. Ich wäre Dir sehr dankbar, wenn Du mir etwas Genaues über seinen Charakter und seine Bildungsabsichten usw. mitteilen könntest. Den Grund zu dieser, mir sehr wichtigen Anfrage will ich Dir später mitteilen. Wenn Du ihn nicht kennst – mindestens wirst Du leicht etwas über ihn hören können.

Und nun, mein lieber treuer Freund, lebe wohl! Lebe Dich hinein in Wagnersche Kunst, wie Du Dich in Schopenhauer hineingelebt hast. Grüße mir Deine künstlerischen Freunde und denke gern

an Deinen Gebirgskameraden
Friedr. Nietzsche.

Basel, Montag, den 18. Sept. 1871.


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