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70. An Dr. Carl Fuchs.

Steinabad, bad. Schwarzwald, Mitte Aug. 1875.

Sie haben Leid erfahren, lieber und armer Herr Doktor, und billigerweise sollten die, welche Sie lieben, versuchen, Ihnen eine Freude zu machen. Aber wie schwer ist dies manchmal! Man möchte ja so oft verstummen, um nur nichts mitteilen zu müssen, da die Mitteilung gewöhnlich wieder einen Gran Leides enthält. Wir sind beide nicht in Bayreuth, sehen Sie, da steckt mehr als ein Gran; und jeder Brief, welchen ich von meinen dort weilenden Freunden Gersdorff, Overbeck und Rohde erhalte, bringt bei mir einen schmerzlichen Krampf hervor – bis ich mir endlich sage: »ein Glück, daß nur die andern dort sein können«. Da fallen aber Sie mir wieder ein! Es sind eben doch nicht alle »andern« dort, und mein Trost ist recht unvollständig!

Es ging schlimm zu, ich merke es immer an der Art, wie ich mich zu meinen großen Plänen und zum Zusammenhang meines Lebens verhalte. Diesmal war ich so weit herabgestimmt, daß ich fast ohne Pläne nur noch für heute zu morgen weiterzuleben beschloß. Hier habe ich gelernt, wieder mutiger zu sein, die vorsichtigste Existenz in manchem Betracht kann ja immer noch die mutigste sein in Beziehung auf eine Hauptsache. Und so lebe ich nun einmal und werde leben, sehr vorsichtig und für die Hauptsache sehr mutig; und nicht einmal der Tod ist es, was mich am meisten schrecken könnte, sondern nur das kranke Leben, wo man die causa vitae verliert

Hier bei meinem Herumschweifen in Bergen und Wäldern – immer allein und immer auf das beste unterhalten – dachte ich viel an Sie, an die eigentümlich schwer zu verstehende Leidensgeschichte Ihres bisherigen Lebens; ich fragte mich, woran es nur hangen möge, daß auf dem, was Sie gut und mit Aufopferung schaffen und tun, nicht das Wohlwollen und die Freude andrer ruhe, daß also alles recht-Vollbrachte Sie gleichsam rückwärts verwunde. Die Geschichte Ihrer »Logik der Hände« quält mich, wenn ich an sie denke (ich habe, erinnere ich mich recht, selbst dazu beigetragen, Sie nach der Vollendung jenes Werkes zu quälen, statt Sie zu erfreuen). Ebenso gedachte ich wieder Ihrer »Präliminarien«; dadurch, daß Sie dieselben als Dissertation Herausgaben, haben Sie einen Ihrer schönsten Pfeile verschossen, ich kann es nicht anders nennen und ärgere mich, weil ich immer noch glaube, daß der Gedankeninhalt dieser Schrift als einer ästhetisch-kritischen kaum seinesgleichen habe. Auch alles, was Sie dem Fritzsch für das Wochenblatt übergeben haben, war dort wie verzaubert und konnte Ihnen nicht einmal die verstehende Sympathie der Musiker sichern. Da zerbreche ich mir nun den Kopf, woran diese wunderliche Art von Nichterfolgen abhänge. Seien Sie nicht böse, wenn ich mich dabei an das Wort Liszts von den pressanten Freunden erinnerte, es kam mir so vor, als ob eine gewisse feurige Pressiertheit, ein Nicht-warten-wollen Ihnen manchen Erfolg geraubt hat. Man soll dem Schicksal nicht merken lassen, was man will; fünf Minuten später ist es dann von selber so gutwillig, ein Anerbieten zu machen. »Bereit sein ist alles«, »Bereit sein ist Alles«, aus Shakespeares »König Lear«. heißt es, denke ich, bei Shakespeare. Vielleicht ist aber das, was ich hier ziemlich altklug sage, nichts als die Theorie aus einem ziemlich mit Glücksfällen besäeten Leben? Aber Sie können mir glauben, daß es ganz meiner innersten Gesinnung entspricht, eine Sache jahrelang zu hegen und mir nicht anmerken zu lassen, dann aber, wenn sie mir in den Griff kommt, sie hinzunehmen; ich war »bereit«. Es kommt bei diesem »Hegen« noch nicht eigentlich zum Wunsche, es fehlt mir eben darin an Ihrem Feuer. Es ist nur wie eine Vorstellung, konditional empfunden, »es wäre für dich beglückend, wenn –«; Sie glauben schwerlich, was für große und herrliche Vorstellungen dieser Art ich mit mir herumtrage, für welche ich plötzlich bereit sein werde.

Nun ein Einfall. Erlösen Sie doch Ihre Präliminarien aus ihrer blutlosen Existenz bei Fritzsch und machen Sie etwas Neues daraus. »Briefe über Musik von Dr. Carl Fuchs« – so etwas schwebt mir vor der Seele, denn Sie haben das seltene Recht, daran zu denken, inwiefern die Briefform als wahre Kunstform behandelt werden könne. (Aristoteles galt den Alten als Klassiker der Prosakunst, nicht wegen der Schriften, die wir haben, sondern nur seiner Dialoge und Briefe wegen.) Wir andern Sterblichen haben kein Recht, Briefe zu veröffentlichen, wir wären denn affektierte Narren und wollten dies öffentlich zur Schau stellen. – In diese Briefe gießen Sie Ihre Erfahrungen über einzelne Meister und Meisterwerke, mit denen Sie unsereinem die größte Wohltat und Liebe erweisen können! Der dialektische Gang Ihrer »Kritik der Tonkunst« »Präliminarien zu einer Kritik der Tonkunst. Leipzig, E. W. Fritzsch 1870.« brauchte zu allerletzt an akademische Gangarten zu erinnern. Wenn Sie sich ein Publikum vor die Seele stellen wollen, dann nur ja keine Professoren, sondern etwa die Bayreuther Genossen, welche jetzt dort sind und im nächsten Jahre eine recht ungewöhnlich »gute Gesellschaft« machen werden.

Ihre Abfertigung Lotzes (samt einigem Neuen über Gervinum, wenn ich bitten darf) könnte anhangsweise zeigen, daß Sie auch gut auf Mensur mit Säbeln stehen können. –

Alles freundlich zu erwägen! Ich bin ferne davon, mit irgendeinem Rate zudringlich fallen zu wollen, aber mitunter trifft mans, etwas zu sagen, was ein andrer eben auf der Zunge hatte – da gibt es immer eine kleine Freude. Ich sagte Ihnen ja, wie es mein herzlicher Wunsch sei, Ihnen eine Freude zu machen.

Die Weimarischen Briefe – »Die weimarischen Briefe ... Liszt«, Dr. Fuchs hatte Liszt in Weimar vorgespielt und war von ihm mit großer Auszeichnung behandelt worden. ach wie gut ich mir alles vorstellen konnte, besonders Liszt – sind an die angegebene Adresse abgeschickt.

Was meinen Sie dazu, daß die Post fast alle Ihre Briefe nach Basel als »unzureichend frankiert« behandelt? Dabei beklage ich, daß die Marken, welche Sie darauf geklebt haben, immer gar nicht gerechnet werden, also vergeudet sind. Für den letzten Brief verlangte man z. B. von mir noch zwei Francs. Es verdrießt Sie doch nicht, daß ich dies erwähne? Lieber Himmel, gib, daß wir freien Geistes seien, alles andre kannst du für dich behalten!

Treugesinnt der Ihrige, immer noch patientenmäßige,
und patientiam brauchende, sowie empfehlende
F. Nietzsche.

Von morgen an bin ich in Basel bei der guten Schwester.


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