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67. An Freiherrn von Gersdorff.

Steinabad, 21. Juli 1875.

Ja, liebster Freund, Du kommst mir nur um ein klein wenig zuvor: denn als ich meinen letzten Brief an Dich abgelassen, fiel mir erst ein, wie es mit Deiner Zeit jetzt stehen werde »wie es mit Deiner Zeit jetzt stehen werde«, da Gersdorff zu den Orchesterproben (1. August) nach Bayreuth wollte, konnte er nicht gut vorher noch eine Reise nach Basel unternehmen. und wie Du ein Recht hättest, mich unbescheiden zu nennen »ob meines unverschämten Geilens willen« oder wie die schöne Wendung originaliter lautet. Nein, ich gehöre nicht zu den gewalttätigen Menschen, die immer recht haben wollen und fast immer auch haben, selbst in der Freundschaft; sondern meine Unüberlegtheit ist die Schuld, Dir etwas anzumuten, was, wie ich mir hätte selbst sagen sollen, Dir jetzt nicht möglich ist. Ich hätte nur so gern noch etwas vor Bayreuth über Bayreuth mit Dir geredet, da Du doch wohl nicht nur als Gersdorff, sondern auch als Nietzsche hingehen wirst – vermutlich wenigstens, wie die Anzeichen meines Schlechtbefindens erraten lassen.

Wie mirs geht, hat Dir mein letzter Brief erzählt; inzwischen haben wir die Diät sehr verändert (auf meine Bitte esse ich viel weniger – beiläufig eine der seltsamsten Möglichkeiten der Sprache –, ich habe das viele Fleischessen satt). Ein schönes Schwimmbad ist seit gestern meine Freude; es ist unmittelbar am Garten des Hôtels, ich benutze es allein, den andern Sterblichen ists zu kalt. Frühmorgens um sechs bin ich bereits darin, und kurz darauf laufe ich zwei Stunden spazieren, alles vor dem Frühstück. Gestern schweifte ich in den unglaublich schönen Forsten und verborgenen Tälern herum, gegen Abend, drei Stunden lang, und spann im Gehen an allem Hoffnungsvollen der Zukunft herum, es war ein Blick des Glücks, den ich lange nicht erhascht hatte. Wozu ist man nun noch aufgespart? Ich habe einen schönen Korb voll Arbeit für die nächsten sieben Jahre »Korb voll Arbeit für die nächsten sieben Jahre«, betrifft einen Plan von Vorlesungen für sieben Jahre, die zur Grundlage eines umfassenden Werkes über die Griechen dienen sollten. vor mir, und eigentlich wird mir jedesmal wohl zumute, wenn ich daran denke. Wir müssen unsre Jugend noch benützen und manches recht Gute noch lernen. Und allmählich wirds doch ein gemeinschaftliches Leben und Lernen, immer wieder kommt einer zur Gemeine hinzu, wie diesen Sommer ein sehr fähiger und früh gereifter (weil früh leidender) Schüler, der stud. jur. Brenner in Basel. Auch wurde mir von einem jungen Manne erzählt, der nach Australien abging und sich vorher mit meinen Schriften versah. Von einem Briefe des Fürsten Rudi Liechtenstein (in Wien) habe ich Dir erzählt? Heute mußte ich wieder einer Wiener Buchhandlung melden, daß eine Schrift von mir über Homer nicht veröffentlicht sei, sie fragte, wie nun schon mehrere, im Namen »eines treuen Anhängers«. Das weißt Du doch auch, daß ich nun ein zweites ausgearbeitetes und sehr inhaltreiches Manuskript über Jakob Burckhardts griechische Kultur habe, als Geschenk von dem kleinen guten Dr. jur. Kelterborn (der auch schon ein Amt hat).

Nun beginnt nach den Ferien meine Häuslichkeit und ein so vernünftig ausgedachtes Leben und Wirken, daß ich noch zu etwas kommen kann. Ich bin jetzt sehr hinterher, die argen Lücken unserer Erziehung (ich denke an Pforte und die Universitäten und andres) an mir selber nachträglich auszustopfen; und jeder Tag hat sein kleines Pensum, ganz abgesehn noch von dem Hauptpensum, welches mit dem Kolleg im Zusammenhange steht. Wir müssen noch eine gute Strecke Wegs immer steigen, langsam, aber immer weiter, um einen recht freien Ausblick über unsre alte Kultur zu haben; und durch mehrere mühsame Wissenschaften muß man noch hindurch, vor allem durch die eigentlich strengen. Aber dieses ruhige Vorrücken ist unsre Art von Glück, und viel mehr will ich nicht. Mit der Schriftstellerei ist es nun für längere Zeit vorüber, glaube ich. Aber mir scheint, zu einem rechten Weck- und Mahnruf reichen meine vier Schriftchen auch gerade aus, sie sind für Jünglinge und junges Streben.

Hast Du Schurés »le drame musical« in 2 voll. gelesen? Er sandte es mir zu und hat mir viel Freude damit gemacht: Band I enthält als Bild das griechische Theater von Egesta, Band II das Innere des Bayreuther. Und meine »Geburt« hat er verstanden und mitempfunden, daß es eine Lust ist, so frei und von Innen her. Für mein Gefühl ist alles Französische zu beredt und, bei Behandlung solcher Dinge wie der Musik, etwas zu lärmend und öffentlich. Aber das ist der Fehler der Sprache, nicht Schurés.

Liebster Freund, ich glaube jetzt wirklich, daß ich nicht nach Bayreuth kommen kann, die Zeit von vier Wochen ist für eine solche Kur an sich schon zu kurz; sollte es durchaus nötig sein, so würde ich sie auf fünf Wochen verlängern, nur um alles zu tun, was ich bei einer so ernsthaften Sache mir schuldig bin. Aber im Herbst, nicht wahr, da habe ich Dich wieder in Basel? Was wird sich da alles erzählen lassen! Und meines Studierzimmers sollst Du Dich freuen!

Herzliche Glückwünsche auf Deinen Weg! Ich folge Dir in treuer Liebe als

Dein Freund
Friedrich.

den 21. Juli.

Bonndorfs Lage: fasse Donaueschingen, die nächste Eisenbahnstation ins Auge. Von da nach Löffingen drei Stunden Post, von da bis Bonndorf zwei Stunden zu Fuße. Dabei ist das Steinabad. Diese Mitteilung als Korrektur meiner Angaben im letzten Briefe, aber keinesfalls als Ermunterungen zum Kommen! Ja nicht mißverstehen, teurer Freund.


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