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3. An Mutter und Schwester.

Bonn, vor Weihnachten 1864.

Meine liebe Mama und Lisbeth.

Mein Wunsch ist, daß Ihr das kleine Paketchen erst am Weihnachtsabende aufschnürt, damit Ihr doch eine kleine Überraschung habt, vielleicht auch nur eine Enttäuschung. Meine Bitte ist: nehmt fürlieb, ich gebe Euch von dem Besten, was ich vermag, aber das ist nicht viel. Ihr werdet meine Mühe und meinen Fleiß daran erkennen; immer dachte ich dabei an Euch und wünschte den Moment bei Euch zu sein, wo Ihr Euch vielleicht darüber freut.

»Und solche liebliche Gedanken laben
»Die Arbeit selbst; ich bin am müßigsten,
»Wenn ich sie tue«

so heißt es in Shakespeares »Sturm« und so heißt es auch bei mir; müßige Arbeit und arbeitsvolle Muße!

Was sollte ich Euch auch geben, wenn nicht etwas Eigenes, etwas, worin Ihr mich im Bilde wiederseht. Darum habe ich auch noch den Schattenriß meines jetzigen Äußern vorankleben lassen, damit Ihr meine Gabe gern in die Hand nehmt und vielleicht auch oft.

Ihr merkt es schon, daß ich mit einer gewissen Eitelkeit von meinem Werkchen »Werkchen«, ein Notenheft mit acht Liedern Nietzsches, vgl. Biogr.(Biogr. bedeutet »Das Leben Friedrich Nietzsches von Elisabeth Förster-Nietzsche, Leipzig, C. G. Naumann 1895-1904«. I S. 205.) spreche, und es hat doch seinen ganzen Zweck verfehlt, wenn es Euch nicht gefallen sollte. Wenn Ihr nur einen Christbaum mit Lichtern habt! Denn es muß sich hübsch ausnehmen im Lichterglanz. Ich werde an dem Christabende natürlich lebhaft an Euch denken, und Ihr jedenfalls auch an mich. Es ist zwar recht gemütlich in meiner Wohnung, und ich will auch jenen Abend sehr angenehm verleben. Auch wir werden uns auf der Kneipe einen Lichterbaum anzünden, auch wir werden uns gegenseitig kleine Geschenke machen. Aber freilich, das ist nur eine matte Nachahmung einer heimatlichen Gewöhnung, an der eben die Hauptsache, die Familie, der Kreis der Verwandten fehlt.

Bonn ist doch ziemlich leer an Studenten geworden, da alles, was Flügel hatte, natürlich ausgeflogen ist. Deussen ist gestern nach Hause abgezogen, schwer bepackt mit Büchern und einem alten Reisesack. Wilhelm und Gustav werden wohl auch Naumburg aufgesucht haben. Saget ihnen doch, daß sie ihre Rückreise ja über Bonn nehmen möchten, sie möchten mir aber vorher Nachricht davon geben. Gustav könnt Ihr bitten, daß er Euch die Noten einmal vorspielt, was er sehr gern tun wird.

Wißt Ihr noch, wie gemütlich wir zusammen das vorige Weihnachten in Gorenzen verlebt haben! Sagte ich nicht damals, daß wir über ein Jahr wahrscheinlich nicht beisammen sein würden? Das ist nun eingetroffen. Es war schön in Gorenzen: das Haus und das Dorf im Schneefall, die Abendkirchen, die Melodienfülle in meinem Kopf, der Onkel Oskar, »Onkel Oskar, das Bisamfell, die Hochzeit und ich im Schlafrock« bezieht sich auf verschiedene Anlässe zu harmloser Heiterkeit, die sich während einer Schlittenfahrt zur Hochzeit von Nietzsches Onkel, Pastor Edmund Oehler in Gorenzen, ergeben hatten. das Bisamfell, die Hochzeit und ich im Schlafrock, die Kälte und vieles Lustige und Ernste. Alles zusammen gibt eine angenehme Stimmung. Wenn ich meine »Sylvesternacht« »Sylvesternacht« vgl. S. 128. spiele, höre ich diese Stimmung aus den Tönen heraus.

Und so sollt Ihr auch aus meinen jetzigen Kompositionen die Stimmungen dieses Vierteljahres heraushören. Sie sind sehr mannigfaltig, und ich freue mich, daß meine Seele mehr und häufiger musikalischen und lyrischen Schwung hat als früher. Darum stellt mich auch meine Photographie dar, wie ich komponiere, und ich glaube, daß sie deshalb besser geworden; denn ich dachte und empfand doch etwas in den Augenblicken der Aufnahme.

Nun lebt für heute recht wohl, genießt das schöne Fest und denkt meiner immer und besonders am Festabende gern und oft! Die mitgeschickten Briefe befördert Ihr wohl gefälligst! Grüße nach allen Seiten hin, auch an Frau von Busch, an Breslaus, an die Geheimrätin Lepsius, an Pinders und Krugs und die Frau Pastor Harseim, Grohmann und Caro! Adieu!

Euer
Friedrich Wilhelm Nietzsche
im Dezember 1864.


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