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58. An die Mutter.

Basel, 1. Februar 1874

Meine geliebte Mutter,

eben wird mir gesagt, daß heute schon der erste Februar sei: ich glaube es immer noch nicht recht, mache mich aber daran, sofort an Dich zu schreiben, damit ich noch einigermaßen zur rechten Zeit mit meinen Geburtstagswünschen in Naumburg eintreffe. Nun wollen wir einmal zusehen, was dieses Jahr bringt: hoffentlich für Dich und damit auch für uns Gutes oder Erträgliches. Ich schreibe heute bei schlechter Verdauung und Übelkeit: so denke ich denn zuerst an den Leib und wünsche von Herzen, daß es Dir mit der Gesundheit so fort ergehen möge, wie es Dir bis dahin ergangen ist; auch daß Du nicht etwa das absurde Beispiel Deines Herrn Sohnes nachahmest, der viel zu früh zu laborieren angefangen hat und der bereits wie ein altes Männchen sich über jeden Tag freut, wo er nicht an Unverdaulichkeit und Schmerzen erinnert wird. Im übrigen hast Du es in Naumburg so ruhig und angenehm, wie ich mich wieder Weihnachten überzeugte, daß mir auch da kein andrer Wunsch einfällt, als »es möge alles auch fernerhin beim alten bleiben«.

Es hat mir Weihnachten so gut bei Dir gefallen, daß ich wirklich bereits in meinem Gemüte die Möglichkeit erwogen habe, ob ich nicht vielleicht Ostern wiederkomme; vielleicht gelingt es Dir dann, mich wieder zu kurieren, durch Süppchen, Spazierengehen und ein Pferdchen vielleicht. Denke einmal darüber nach; oder meinst Du, es sei vernünftig, eine gute Kaltwasseranstalt in meiner Nähe zu besuchen? Ich muß jedenfalls etwas tun, die Schwäche des Magens nimmt zu sehr überhand. Auch eine Fußwanderung möchte sehr vernünftig sein. Es wird mir wohl möglich sein, von der Anwesenheit bei dem Osterexamen mich einmal ausnahmsweise dispensieren zu lassen: so daß ich ungefähr 4 Wochen Ferien hätte. Ach, ich hätte so gern ein kleines Landgut: da hinge ich auf einige Zeit meine Professur an den Nagel. Nun bin ich 5 Jahre Professor; ich dächte, es wäre bald genug. Wirklich, ich möchte es wie Gersdorff machen und Stoppelhopser werden.

Übrigens ruhe ich mich aus – was man so ausruhen nennt, eigentlich merke ich nichts davon. Das heißt, ich schreibe augenblicklich kein Buch. Von dem neu erscheinenden Das »neuerscheinende Buch« ist die 2. Unzeitgemäße Betrachtung »Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben«, die im Februar 1874 erschien. sind 4 Bogen gedruckt, es geht langsam. Die Augen sind öfters angegriffen.

Für unsre Lisbeth habe ich eine sehr hübsche Wohnung in meiner nächsten Nähe entdeckt: bei den vortrefflichen Hegars. Die haben zwei Häuser, das hintere Haus liegt in der Straße, in der bis jetzt Vischer-Heuslers wohnten: es ist das nächste Haus von dem Fenster meiner guten Stube aus: darin wohnt der junge Hegar mit seiner jungen allerliebsten Frau, einer Französin, vortreffliche Leute und gut eingerichtet. Da also wird unsre Lisbeth wohnen, und Frau Hegar freut sich schon darauf.

Das Befinden von Frau Vischer-Heusler ist recht befriedigend, auch die alte Frau Vischer erregt keine Besorgnis mehr, ihr Übel ist ein langwieriger Magenkatarrh.

Sonst weiß ich nichts Neues. Ich habe ein großes Bedürfnis, mich etwas auszuruhen und zu erholen, und dann denke ich immer an Euch. Auch noch ein neues Amt hängt mir auf dem Rücken: für dieses und das nächste Jahr bin ich Dekan meiner Fakultät. Ich habs satt.

Nochmals: ich bin bei Dir mit treulichem Gedenken und herzlichen Wünschen.

Dein alter Sohn.


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