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114. An Peter Gast.

Sils-Maria (Engadin), 1. Juli 1883.

Wie kommt es doch, lieber Freund Gast, daß ich so lange nicht an Sie geschrieben habe? – so fragte ich mich eben. Aber ich war so unsicher und unschlüssig inzwischen, ein Hauch von Krankheit lag noch auf mir: da wollte ich nicht schreiben (– ich habe diesen Winter leider viel zu viel Briefe geschrieben, die voller Krankheit sind –). Sodann mißriet mir einiges: so der Versuch, in Italien einen Sommeraufenthaltsort für mich zu finden. Einmal versuchte ichs im Volskergebirge und einmal in den Abruzzen (in Aquila). Nun ist mir verwunderlich gewesen, warum ich jetzt jedes Jahr, wenn der Frühling kommt, den heftigsten Trieb fühle, noch südlicher zu gehn: so dies Jahr nach Rom, voriges Jahr nach Messina; vor zwei Jahren war ich drauf und dran, mich nach Tunis einzuschiffen, – da kam der Krieg. Die Erklärung liegt wohl darin, daß ich die Winter über jedesmal so an der Kälte gelitten habe (drei Winter ohne Ofen!), daß mit dem Erwachen der Wärme ein wahrer Heißhunger nach Wärme in mir erwacht. – Dies Jahr kam noch ein Heißhunger nach menschlichen, ich meine humanen Beziehungen hinzu: und namentlich nach »menschlicheren«, als das vorige Frühjahr mir gebracht hat. In der Tat, so wie ich jetzt alles überschaue, so war das, was mir im vorigen Jahr und diesen Winter begegnet ist, »was mir im vorigen Jahr und diesen Winter begegnet ist«, die Erlebnisse mit Rée und Fräulein Lou Salomé, vgl. Biogr. II S. 403 ff. von der schauerlichsten und bösesten Art: und ich wundere mich, daß ich mit dem Leben davongekommen bin, – wundere mich und zittere jetzt noch dabei. – Man hat mir in Rom sehr viel Liebes und Herzliches erwiesen; und wer mir gut gewesen ist, ist es jetzt mehr als je.

Von »Zarathustra« höre ich jetzt eben, daß er noch »unversandt« in Leipzig wartet: sogar die Freiexemplare. Das machen die »sehr wichtigen Verhandlungen« und beständigen Reisen des Chefs der Alliance antijuive, des Herrn Schmeitzner: da muß »der Verlag einmal etwas warten«, so schreibt er. Es ist wahrhaftig zum Lachen: zuerst das christliche Hindernis, die 500 000 Gesangbücher, »Die 500 000 Gesangbücher«, der Druck des Zarathustra I hatte sich verzögert, weil die Firma Teubner bis Ostern eine halbe Million Gesangbücher fertigzustellen hatte. und nun das judenfeindliche Hindernis, – das sind ganz »religionsstifterliche Erlebnisse«.

Malwida und meine Schwester waren erstaunt, wie bitter (verbittert) »Zarathustra« ausgefallen sei; ich – wie süß. De gustibus usw. –

Nun habe ich wieder mein geliebtes Sils-Maria im Engadin, den Ort, wo ich einmal sterben will; inzwischen gibt er mir die besten Antriebe zum Noch-Leben. Ich bin im ganzen merkwürdig schwebend, erschüttert, voller Fragezeichen –: es ist kalt hier oben, das hält mich zusammen und stärkt mich. –

Ich will drei Monate hier sein: aber was wird dann? Ach Zukunft! – – –

Fast jeden Tag denke ich mir aus, wie ich einmal wieder zum Hören Ihrer Musik komme! sie fehlt mir, ich weiß so wenig Dinge noch, die mir von Grund aus wohltun. Aber Sils-Maria und Ihre Musik gehören dazu.

Ihr letzter Brief enthielt sehr schöne Gedanken, für die ich mich recht bedanke! Ich sah daraufhin mir noch einmal Epikurs Büste an: »sah daraufhin mir noch einmal Epikurs Büste an«, während der letzten Tage in Rom, im Museo Capitolino. Willenskraft und Geistigkeit sind im höchsten Grade an dem Kopfe ausgeprägt.

Ihnen nahe und von Herzen treu
F. N.


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