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39. An die Mutter.

Basel, 2. Sept. 1871.

Hier, meine liebe Mutter, sind Nachrichten von mir, mit eigner Hand geschrieben, nachdem die bisherige Führerin meiner Korrespondenz mit Dir mich verlassen hat. Auch weiß ich bereits aus einem eben empfangenen Brief Lisbeths, daß sie ohne Unfall Wiesbaden erreicht hat und dort alle Behaglichkeiten eines guten Hauses und einer zärtlichen Freundin zu genießen hat. Basel hat ihr wohl gefallen, ja, nach meinem Urteil, zu gut.

Ich lese Deine Briefe sehr gern: Du erzählst einem doch etwas, und aus der Menge der kleinen Züge macht sich mir dann ein anschauliches Bild: während unsereins nichts Rechtes schreibt, sondern immer auf persönliches Wiedersehen vertröstet, dann aber gewöhnlich erst recht nichts zu erzählen hat. Dieses persönliche Wiedersehen scheint auch jetzt wieder uns recht nahe bevorzustehen: wenn anders etwas aus meinem Plane wird, am 1. Oktober in Naumburg zu dreiwöchentlichem Aufenthalte einzutreffen. Jedenfalls gebe ich Dir bald genauere und bestimmte Nachricht. Zugleich soll damit ein Zusammentreffen mit Rohde in Leipzig verbunden werden usw.

Lisbeth hat diese Kombination mit großem Beifall begrüßt. Zuerst war davon die Rede, daß ich Weihnachten nach Naumburg käme. So sehr das wünschenswert wäre, so unbequem ist die Winterreise: vor allem aber hätte ich nur eine Woche Zeit. Deshalb habe ich mich für den Herbst entschieden, den ich nun einmal besonders in Thüringer Luft gern habe. Ich freue mich auf das Saaltal und die vielen Leipziger Erinnerungsstätten und möchte fast wähnen, ich lebte im Exil, weil ich diesen Gegenden so ferne bin. Mit meiner Gesundheit bin ich immer noch nicht zufrieden, und ich glaube mehr als je, daß mir die Basler Luft nicht bekommt. Es dauert recht lange, ehe ich die unwillkürliche Abneigung gegen die ganze schweizerische Existenz überwinde: bis jetzt bin ich noch nicht einmal auf dem Gefrierpunkt der Gleichgültigkeit.

Von Gersdorffs Besuch »Gersdorffs Besuch«, er war mit Nietzsche und seiner Schwester zusammen in Gimmelwald bei Mürren im Berner Oberland gewesen. wird Dir wohl Lisbeth geschrieben haben. Er hat mir ebensogut als Wagners gefallen, als ein echter und kräftiger Repräsentant aller tüchtigen Eigenschaften des norddeutschen Wesens. Romundt erwarte ich täglich zu sehen, da er auf seiner Reise nach Nizza, wo er den Winter verlebt, über Basel kommen muß. Deussen hat mich dringend gebeten, ihn zu besuchen: und ich will dies ausführen, wahrscheinlich auf meiner Heimreise von Naumburg nach Basel. Er ist jetzt in Marburg an der Universität Dozent. Windisch ist aus England zurückgekehrt und in Leipzig zum professor extraord. gemacht worden. Rohde ist augenblicklich in einem Seebade in Holstein und hat sich verschworen, mit mir dieses Jahr zusammenzutreffen, nachdem verschiedene Versuche von mir, ihn dauernd in meine Nähe zu bringen, mißlungen sind.

Es dürfte also doch sein, daß ich Dich durch meine Ankunft Deinem bisherigen schönen Aufenthalte »im Wald und auf der Heide« »Aufenthalt im Wald und auf der Heide«, in Altendammbach im Thüringer Wald, dem Pfarrdorf ihres Bruders Theobald. entzöge: weshalb ich den lieben Onkel Theobald recht um Verzeihung bitten muß. Grüße ihn recht von mir: irgendwann werde ich ihn doch einmal wiedersehen samt seiner vortrefflichen Frau und den mir noch ganz unbekannten Kindern. Ich höre, daß um diese Zeit sein Geburtstag ist: er lebe hoch!

Und Du auch!
Dein Fritz.


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